13. November 2020
Abschied vom Goethe-Institut
Abschiedsrede von Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann bei der digitalen Amtsübergabe am 13.11.2020
Wir stehen an der Schwelle eines bemerkenswerten Jubiläums. Nächstes Jahr wird das Goethe-Institut 70 Jahre alt. 20 Jahre durfte ich es mitgestalten, 12 davon als sein Präsident. Es war eine erfüllte und ungemein spannende Zeit. Warum war und ist mir das Goethe-Institut so nah, so vertraut und so wichtig?Das Goethe-Institut und ich sind geprägt durch die Folgen einer totalitären Zeit und den Satz: Nie wieder! Es war für die junge Bundesrepublik Deutschland eine ungewöhnliche Entscheidung, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in die Hände einer unabhängigen Organisation zu legen und nicht der staatlichen Zuständigkeit unmittelbar zu unterstellen. Deutschland hat aus der Vergangenheit gelernt. Es wurde eine Erfolgsgeschichte, auch wenn sie nicht nur Kapitel der Leichtigkeit des Seins, sondern auch Kapitel über die Mühen der Ebenen enthielt.
Die persönliche Unabhängigkeit war für mich ebenso ein Wert, sie zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Wir waren eine Generation, die mit dem Schweigen zur jüngsten Vergangenheit aufgewachsen war, eine politische Generation, die sich mit den demokratischen Möglichkeiten auseinandersetzte und sie nutzte, die neugierig auf die Welt war, die Grenzen überschritt, auch im buchstäblichen Sinn der staatlichen Grenzen. Wir waren wohl die erste Generation, für die Grenzen nicht unüberwindbare Barrieren waren, sondern Übergänge zur Begegnung – zumindest für einen Großteil der Welt - die begriff, dass man die Menschen erst kennenlernt, wenn man zu ihnen geht, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht. Per Anhalter sind viele von uns durch Europa getrampt, auch ich, waren Teilnehmer am Jugendaustausch, besonders mit USA und Frankreich. Das machte mich zu einem überzeugten Vermittler bei meinen verschiedenen beruflichen Stationen.
Was Eigenwilligkeit betrifft, sie war auch bestimmend für die Goethe-Institute. Die Institutsleiter machten die gesellschaftlichen Debatten in Deutschland zum Programm der Auslandsarbeit. Damit erreichten sie eine hohe Glaubwürdigkeit für das demokratische Deutschland. Dazu gehörten auch die bitteren Erkenntnisse aus dem Auschwitzprozess, der mit der ganzen Unmenschlichkeit der nationalsozialistischen Zeit konfrontierte. Kulturmittler zu sein ist keine repräsentative Aufgabe, sondern eine von Offenheit und Partnerschaft geprägte Haltung. Diese Auffassung bot die große Chance, Lerngemeinschaften in der Welt zu bilden. Und das Goethe-Institut hat sie genutzt.
Eine weitere Erfahrung, die ich auf meinem Berufsweg gemacht und bei den Goethe-Instituten wiedergefunden habe: Die kulturelle Szene und die Bildungsakteure gehören zu den wirkungsvollsten zivilgesellschaftlichen Kräften. Kunst und Kultur sind nicht die Spielwiese der Intellektuellen, sie sind nicht das dekorative Element der Wirtschaftsförderung und sie sind nicht die instrumentalisierte Propaganda. Sie sind ein essentieller Bestandteil der Gesellschaft, nicht nur als ästhetische Kategorie, sondern als eine gestaltende gesellschaftliche Kraft. Das Goethe-Institut ist Teil der Zivilgesellschaft und setzt sich mit Überzeugung für die Freiheit von Kunst und Wissenschaft ein.
Schließlich gehört zu meiner frühen Prägung im Denken und Handeln, Europa als geistige und kulturelle Basis zu begreifen. Für das Goethe-Institut ist es eine Selbstverständlichkeit, sich in einer europäischen Verantwortung zu sehen und gegen Nationalismus und gegenseitige Abschottung zu agieren.
Bei all den übereinstimmenden Grundauffassungen ist es kein Wunder, dass ich mich im Goethe-Institut heimisch fühle und so etwas wie eine geistige Gemeinschaft empfinde. Es sind großartige Menschen, die in der Welt tätig sind, die Themen frühzeitig erspüren und sie in die Debatten einführen. Es ist aber eine Gemeinschaft, die nicht in einer Blase sitzt und sich selbst widerspiegelt und ihre Signale selbst verstärkt sondern die im Gegenteil sich öffnet, sich den anderen Kulturen aussetzt, diskursfähig ist und Alternativen entwickelt, anstatt auf Konflikte fixiert zu sein. Das ist eine Dynamik, die sich der Realität stellt. Das Verhalten wird am besten mit einem Goethe-Wort beschrieben: Nur was sich ändert, bleibt.
Und die Änderungen waren und sind groß in den letzten drei Dekaden: die Veränderung der bipolaren Welt zu multipolaren Strukturen, der arabische Frühling, die großen Migrationsströme, Dekolonisierung und postkoloniale Entwicklungen, Kriege und Konflikte, Klimawandel, Digitalisierung, Rassismus und Antisemitismus, Pandemie. Das sind nicht nur technische, politische oder wirtschaftliche Probleme. Es sind auch kulturelle Phänomene, denn sie betreffen unser Zusammenleben unmittelbar. Sie gehen uns an!
Zu Beginn meiner Präsidentschaft galt es, die veränderten globalen Strukturen in den Aktivitäten des Goethe-Instituts abzubilden. Das weltweite Goethe-Netz war weder strukturell noch finanziell auf der Höhe der Zeit. Mit dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier konnte eine tiefgreifende Reform in Angriff genommen werden. Aus zentraler Verantwortung wurde dezentrale Verantwortung, nahe an den Menschen, Zusammenarbeit in Netzwerken, vielfältiger Zugang zu Bildung. Dabei greifen drei Ebenen ineinander: die lokale Ebene mit ihrem innovativen Potenzial, die regionale Ebene mit ihrer Fähigkeit, die Goethe-Institute der Region zu großen Projekten und Interaktionen zusammenzuschließen und schließlich die Zentrale mit der Steuerung, der Beratung und der intensiven Beziehung zur kulturellen und gesellschaftlichen Szene in Deutschland. Der Etat konnte kontinuierlich verbessert werden und Neugründungen wurden wieder möglich.
Das waren gute Voraussetzungen in einer zunehmend unübersichtlicheren Welt, die Welt wieder lesbarer zu machen und die jeweiligen Zivilgesellschaften zu stärken. Die Arbeit mit den Zivilgesellschaften wurde ein deutlicher Schwerpunkt.
Geographisch war in meiner Zeit unser Nachbarkontinent Afrika ein Schwerpunkt der Arbeit. Acht neue Institute konnten gegründet werden. Alle Institute wirkten zusammen als Netzknoten in kontinentalen Netzwerken und Plattformen, wie Moving Africa, African Future, Music in Africa usw. Das befähigte uns auch, die schwierigen Themen der kolonialen und postkolonialen Fragen kompetent und glaubhaft zu vertreten. Erklärtes Ziel muss die Dekolonisierung des Denkens sein. Das betrifft auch die politischen und ökonomischen Asymmetrien und Ungerechtigkeiten, die aus der Kolonialzeit fortwirken.
Neben den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, dem Ausbau des Goethe-Netzes und der Förderung der deutschen Sprache waren die Residenzprogramme des Goethe-Instituts für mich von besonderem Interesse. Sie bieten Raum für neue Perspektiven, indem sie Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit geben, für eine Zeit lang in einem anderen Land und einer anderen Kultur zu arbeiten. Das Goethe-Institut ist auf diesem Gebiet der größte Anbieter. Hervorzuheben sind besonders die Residenzhäuser in Istanbul – gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt -, Kyoto und Salvador de Bahia. Ich hatte das Privileg, alle drei Residenzen zu eröffnen. Es sind keine Elfenbeintürme, sondern eher Basislager für Künstler, Chancen zur Begegnung und der gemeinsamen künstlerischen Erfahrung. Über die Arbeitskontakte entstehen bleibende Beziehungen des Kulturaustausches.
Wenn sich die Welt ändert und mit ihr die Auslandsinstitute, dann muss sich auch die Zentrale ständig wandeln. Das Hauptquartier des Goethe-Instituts hat durch seinen Umzug im Juni 2019 in die Münchner Innenstadt, einen Transformationsprozess eingeleitet, mit dem die bereits seit längerem betriebene digitale Infrastruktur einen robusten Schub erhält in Richtung Goethe 4.0, der die klassischen Arbeitsabläufe mit ihren Hierarchien ablösen kann durch neue agile Arbeitsformen.
Die erste Bewährungsprobe wurde in einem völlig unerwarteten Zusammenhang bestanden, der weltweiten Pandemie von Covid-19, die im März 2020 ausbrach und die Goethe-Institute in Deutschland und in der Welt zu einem lockdown zwang. Dank der frühzeitigen IT-Anwendungen konnten die internen Arbeitsprozesse sehr zügig in digitale Arbeitsabläufe überführt werden. Wo immer die entsprechenden Hygieneauflagen es erlaubten, sind inzwischen von den 152 Instituten im Ausland wieder 43 geöffnet, 73 mit eingeschränktem Publikumsverkehr und 36 komplett geschlossen. Wir konnten Corona trotzen.
Trotz all dieser Vorkehrungen bestehen weiterhin Einschränkungen durch Quarantäneauflagen, durch finanziellen Ausfall von Einnahmen aus Spracharbeit und Prüfungen. Zu beobachten ist ferner die Zunahme von populistischen Einflüssen, von Zensur und Meinungsmanipulation in einer Reihe von Ländern. Mir ist sehr bewusst, dass viele Arbeitsergebnisse nur unter persönlichen Härten für die Kolleginnen und Kollegen leistbar sind. Es ist beeindruckend, mit welchem Einsatz und verantwortungsbewussten Vorgehen und mit welcher solidarischen Bereitschaft diese Krise von allen gemeistert wird. Das Goethe-Institut verfügt über keine großen Reichtümer wie etwa Unternehmen und Banken, es verfügt über keine Sammlungen wie Museen oder Bibliotheken. Was seinen Wert ausmacht, sind seine Menschen. Das erleben zu dürfen und Teil dieser Gemeinschaft zu sein, war für mich eine wunderbare Erfahrung, für die ich zutiefst dankbar bin. Aus meinem unmittelbaren Arbeitsumfeld möchte ich meiner Assistentin, Anita Galic, besonders danken für die zwölfjährige umsichtige und nervenstarke Zusammenarbeit und den Referentinnen, Laura Hartz, Christiane Jekeli, Pia Entenmann und Christina Steenken, die sich in den zwölf Jahren den Staffelstab weitergegeben haben und mich in idealer Weise bestens unterstützt haben.
Mit großer Überzeugung übergebe ich heute die Präsidentschaft des Goethe-Instituts in die Hände von Carola Lentz. Sie ist mit Ihrer wissenschaftlichen Expertise und Ihrer internationalen Erfahrung eine hervorragende Wahl. Ihr bisheriger Werdegang und die Aufgaben als Präsidentin sind passgenau. Ich wünsche ihr und dem Institut eine erfolgreiche Zeit.
Auch wenn das alles nicht möglich ist ohne die Menschen, nichts ist von Dauer ohne die Institution. Deshalb benötigt das Goethe-Institut eine langfristige Unterstützung und nachhaltig gesicherte Strukturen. Die Erfolge auch jetzt in der Krisenzeit waren nur möglich durch die lange Zusammenarbeit in den Gastländern und die beispielhafte Unterstützung durch Bundestag und Bundesregierung aufgrund des gewonnenen Vertrauens.
Am Anfang meiner Präsidentschaft stand eine krisenhafte Situation, die gemeinsam mit der Politik durch kluge Entscheidungen und dauerhafte Strukturen erfolgreich bewältigt werden konnte. Am Ende meiner Präsidentschaft ist das Goethe-Institut durch die Pandemie erneut in schwieriges Fahrwasser geraten. Ich bin überzeugt davon, dass jeder versteht, jede Anstrengung ist es wert, dem Goethe-Institut eine gesicherte Zukunftsperspektive zu geben, um den Zugang zu Kultur und Bildung in der Welt zu fördern, ein wichtiger Anker für eine freiheitliche Gesellschaft.
Schließen möchte ich in diesem Zusammenhang mit einem Zitat unseres Bundespräsidenten, der sich zum Goethe-Institut in folgender Weise geäußert hat: „Jeder Dialog braucht ein Zuhause, einen Raum der Freiheit, der Kreativität und der Verständigung. Diese Dialogräume haben für Deutschland einen Namen und mehr als das, sie haben einen Klang. Sie heißen Goethe-Institute."
Es gilt das gesprochene Wort!