Lunch Lecture: Das Goethe-Institut im fantasievollen Dialog mit der Welt

– Es gilt das gesprochene Wort –

ANREDE,

Mehr denn je sind in der internationalen Wahrnehmung Kultur, Bildung und Wissenschaft entscheidende Indikatoren für Zusammenarbeit und Zusammenleben, oder noch zugespitzter ausgedrückt, für Überleben. Innen und außen sind keine getrennten Welten mehr, sie bedingen einander.

Die Welt hat sich entscheidend verändert und unsere Gesellschaften stehen an einem Wendepunkt. Globalisierung und Modernisierung haben nicht zu einer einheitlicheren Welt geführt. Sie ist im Gegenteil wieder stärker segmentiert. Diese Entwicklung ist kein vorübergehendes Phänomen. Der globale Wettbewerb hat inzwischen eine veränderte Beteiligung der Macht- und Einflusssphären geschaffen. Neue Zentren und veränderte Peripherien sind entstanden, mit Megastädten und unproduktiven Wüsten, mit abgeschotteten Parallelwelten und radikalen Auf- und Umbrüchen, mit Übersprungeffekten des rein ökonomischen Denkens auf alle Lebensbereiche, mit postkolonialen Staaten, die vor großen sozialen und politischen Herausforderungen stehen. Weltweit werden Migrationsströme ausgelöst, die sich durch die unterschiedliche demographische Entwicklung in Europa und in den Schwellen- und Entwicklungsländern noch beschleunigen.

Das Bevölkerungswachstum wird sich exponentiell fortsetzen, die Weltbevölkerung wird bis 2020 um rund eine Milliarde zunehmen, im Gegensatz zum schrumpfenden Europa. Gleichzeitig wird sich der Trend zu Megastädten fortsetzen. Allein in Asien, wo die Urbanisierungsrate dreimal so hoch ist wie in Europa, wird sich die städtische Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren auf 2,65 Milliarden Menschen verdoppeln (2030). Eine steigende Zahl von Menschen wird auch eine wachsende Menge von Gütern und Dienstleistungen konsumieren. Die zunehmende Erschöpfung der nicht erneuerbaren Rohstoffe bedroht zudem weltweit die Basis des quantitativen Wachstums. Die soziale Sicherheit wird zur globalen Kardinalfrage der Zukunft werden.

Der berühmte ungarische Schriftsteller Péter Esterházy fragte vor kurzem bei einer Literaturpreis-Rede in Berlin, ob diese so genannte globalisierte Welt überhaupt lesbar sei, denn die Übersetzung oder die Dialogfähigkeit sei nur möglich, w e n n sie lesbar ist. Und er fuhr fort: „Globalismus und Provinzialismus wachsen miteinander, die Offenheit wächst und auch die Zahl derer wächst, die ihr mit Argwohn begegnen. Der Provinzialismus ist kein Privileg der kleinen Länder, er ist bei den großen bloß schwerer zu bemerken, weil die Provinz groß und reich ist. Die Tiefe des Provinzialismus birgt keine Engstirnigkeit, sondern Angst – Angst vor der Welt, die tatsächlich Angst erregend genug ist. Daher rührt die Aggressivität des Provinzialismus.“ Es geht also um die Lesbarkeit der Welt.

Es genügt dafür nicht, nur eine riesige Wissens- und Informationsmaschine in Gang zu halten. Es bedarf einer verständlichen, nutzerfreundlichen und zeitgemäßen Bedienungsanleitung, einer Kompetenz und Urteilskraft. Wissenschaft zu verlässlichem öffentlichem Wissen zu machen ist eine Forderung, um die Welt lesbarer zu machen, die andere, unser Zusammenleben als kulturelle Leistung zu verstehen. Unverzichtbar ist die Einbettung in ein verlässliches Rechts- und Politiksystem, das Freiheit und Menschenrechtskonventionen achtet und Verantwortung für die kommenden Generationen übernimmt.

Gerade weil diese Welt so viel Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Brüche zeigt, weil sie ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft der Menschen abfordert und die Integrationsfähigkeit von Gesellschaften auf eine harte Probe stellt, sind Weltformeln oder weltumspannende Steuerungssysteme nicht die Lösung. Es muss im Gegenteil ein Weg gefunden werden, der ein kritisches, fantasievolles Gespräch mit und in der Welt ermöglicht, der unsere starren Klischees hinterfragt und der sich glaubwürdig um einen Dialog bemüht.

Eine Außenpolitik, die sich die Potentiale der drei Segmente Kultur, Bildung und Wissenschaft zu eigen macht und sie zum Inhalt einer partnerschaftlichen, langfristigen und nicht nur von ökonomischen Interessen getriebenen Auswärtigen Kultur-, Wissenschafts- und Bildungspolitik ausgestaltet, hat eine innovative und glaubwürdige Basis. Eine solche Basis garantiert den Erfolg nicht, ohne sie geht es aber auf keinen Fall. Sie ermöglicht die Entwicklung von Alternativen statt der Fixierung auf Konflikte, sie ermöglicht Prozess statt Stillstand, sie macht genügend selbstkritisch durch die Kenntnis des Anderen.

Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat im Hinblick auf die führende Rolle Deutschlands als Wirtschaftsstandort gesagt: „Deutschland ist nicht nur eine führende Wirtschaftsnation, Deutschland ist eine Kulturnation. Das allein verbietet eine Ökonomisierung des Deutschlandbildes in der Welt. Deshalb ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mehr als schmückende Beigabe unserer Außenpolitik, und schon gar nicht ist sie eine ästhetische Form der Außenhandelsförderung.“

Diese Grundpositionen bestimmen sehr klar die Arbeit des Goethe-Instituts, das als größter Kulturmittler Deutschland mit einem weltweiten Netz von 150 Instituten in 94 Ländern tätig ist, und dem man aufgrund seiner Unabhängigkeit zutraut, ein aktuelles Bild Deutschlands glaubwürdig zu vermitteln und tragfähige Partnerschaften einzugehen. 2011 ist das Goethe-Institut 60 Jahre geworden. Zwei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland nahm es seine Arbeit von München aus auf, als Kulturinstitut mit eigener Rechtspersönlichkeit und durch einen Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen Amt verbunden. Eine ungewöhnliche Entscheidung für die junge Republik, die Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit in die Hände einer unabhängigen Organisation zu legen.

Aber genau diese Unabhängigkeit trug sehr zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Die Diskursfähigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die sechzig Jahre Goethe-Institut und auch die Erkenntnis, dass sich Kultur nicht zum Wettbewerb der Systeme eignet sondern zum gleichwertigen kulturellen Austausch. Es kann nicht um Eventkultur gehen, wenn man Deutschland im Ausland präsentiert, auch nicht um einseitigen Export. Es geht darum, Erwartungen vor Ort und eigene Möglichkeiten zu partnerschaftlichem Arbeiten zu verknüpfen. Die großen Autoren, Künstler und Philosophen waren für das Goethe-Institut auf den Podien der Welt, aber auch die jungen Neuentdeckungen.

Die Erfolgsgeschichte enthielt nicht nur Kapitel über die Leichtigkeit des Seins sondern auch Kapitel über die Mühen der Ebenen, so die drastischen Schließungen, insbesondere in Westeuropa, Ende der neunziger Jahre, oder harte Strukturreformen, die das Goethe-Institut 2009 begonnen und erfolgreich umgesetzt hat und weiter umsetzt. Heute steht das Goethe-Institut mit einer beeindruckenden Bilanz da.

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik beginnt für das Goethe-Institut schon in Deutschland. Die 13 Institute in Deutschland sind wichtige bildungspolitische Partner bei der Integration von Migrantinnen und Migranten und der Qualifizierung von ausländischen Fachkräften. Derzeit gibt es maßgeschneiderte Bildungsangebote für junge hoch qualifizierte Menschen, die in Südeuropa aufgrund der Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50% keine Perspektiven haben und für die Deutschland und Europa eine Chance sind. Mobilität wird zu einem Kennzeichen des 21. Jahrhunderts und das Goethe-Institut unterstützt diese Mobilität.

Deutschland hat als Mittelland Europas eine besondere Verantwortung für einen gemeinsamen Kulturraum. Europa ist mehr als Euroland, es ist ein Kultur- und Bildungsprojekt. Während das marktwirtschaftliche System früher meist nur ein Segment des Lebens betraf, nämlich die Produktion von Waren und Dienstleistungen, so erleben wir heute im großen Stil Übersprungeffekte auf alle Lebensbereiche. Alles hat sich dem Prinzip des Nützlichen und Gewinnbringenden unterzuordnen. Künstlerische Positionen, Prozesse und Produktionen zu europäischen Themen müssen dem entgegenwirken und eine kreative Basis formen. Europa ist weder ein Schmelztiegel noch eine Salatschüssel, sondern ein Mosaik – eine Komposition aus Teilen und Farben, zusammengehalten durch einen verbindenden Untergrund und einen Rahmen – demokratische Grundordnung, Verfassungsstaat und praktiziertes friedliches Zusammenleben aufgrund gemeinsamer Überzeugungen.

Mit dieser Nahkompetenz gewinnt man auch die nötige Fernkompetenz für die weltweiten Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die besonders in Ostasien und Südostasien zugenommen hat. Auch die Schwellen- und Entwicklungsländer sind wichtige Partner für die Arbeit der Goethe-Institute. Die Programme der Goethe-Institute dort richten sich an Bildungs- und Kulturakteure. Hier geht es um die Qualifizierung und Förderung von Filmemachern, Verlegern, Kulturjournalisten, um den Aufbau einer kulturellen Infrastruktur, um die Organisation von Kongressen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Im Maghreb und im Nahen Osten hat das Goethe-Institut wichtige Aufbauarbeit geleistet. Aber mit dem Umsturz ist die Zukunft noch nicht gewonnen und die Radikalisierung nicht gebannt. Die Transformationsgesellschaften sind für das Goethe-Institut, die anderen Kulturmittler und für die wissenschaftlichen Austauschprogramme eine wichtige Zukunftsaufgabe, und hier ist es besonders die Bildungsarbeit mit den jungen Menschen, durch die der Anschluss an internationale Entwicklungen unterstützt wird. Gemeinsames Lernen und Arbeiten werden immer wichtiger.

Deshalb muss eine langfristig angelegte Auswärtige Kultur-, Wissenschafts- und Bildungspolitik bereits bei den jungen Menschen beginnen – bei der Schulausbildung. Hier sind zunächst die 140 Auslandsschulen zu nennen, die nicht nur für die Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur sondern auch für eine weltweit anerkannte Schulbildung als Markenzeichen gelten können. Derzeit lernen rund 60 000 Schülerinnen und Schüler in den deutschen Auslandsschulen. An den Goethe-Instituten der Welt lernen jährlich etwa 200 000 Erwachsene Deutsch.

Ein anderes, ungemein erfolgreiches Schulmodell im Ausland ist seit ein paar Jahren die Initiative des Auswärtigen Amtes, gemeinsam mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und dem Goethe-Institut, Schulen – Partner für die Zukunft (PASCH). Inzwischen existieren 1500 PASCH-Schulen in der Welt, wobei der Schwerpunkt wiederum in den Schwellen- und Entwicklungsländern liegt. Das Goethe-Institut als der Bildungsträger für die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache und weltweit größter Träger für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Deutschlehrer hat sich hier sehr erfolgreich positioniert. Mit seinem Beitrag werden in ausgewählten Eliteschulen des jeweiligen Landes deutsche Sprachabteilungen eingerichtet, die bis zur Hochschulreife führen, einheimische Lehrer aus- und weitergebildet, die besten Schüler nach Deutschland zu Sommercamps eingeladen und deutsche Patenschulen identifiziert. Derzeit lernen an den vom Goethe-Institut betreuten PASCH-Schulen rund 160 000 Schüler Deutsch. PASCH eröffnet jungen Menschen vor allem Bildungsperspektiven und Begegnungen mit anderen Kulturen. Die PASCH-Schulen sind eine Erfolgsgeschichte. Sie weiter auszubauen, insbesondere auch bei naturwissenschaftlichen Schulen, kann nur von Nutzen sein.

Nach dieser Einführung in die weltweite Arbeit des Goethe-Instituts, in die Handlungsprinzipien und das Selbstverständnis der Institution, möchte ich mich gerne, dem Anlass entsprechend, auch noch unseren Aktivitäten in der Asien-Pazifik-Region widmen. Wir haben dort ein weit verzweigtes Netzwerk, das sich von Afghanistan nach Osten und Süden bis hinab nach Wellington spannt.

Der kulturelle Dialog und die Zusammenarbeit mit der asiatischen Welt spielt eine zentrale Rolle für das Goethe-Institut und wird in der Zukunft von immer größerer Bedeutung sein. Wir konnten in den vergangenen Jahren mit dem „Deutschlandjahr“, einem groß angelegten Verbundprojekt aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft bereits wichtige Akzente setzen: 2008 fand es in China statt, 2010 in Vietnam, derzeit läuft das Deutschlandjahr in Indien, das zuletzt mit den Pavillons der Urban Mela, einem tourenden „Stadtfest“, in New Delhi 140.000 Besucher anzog.

Wir beobachten ein wachsendes Interesse an der deutschen Sprache in Asien und reagieren darauf. Die meisten der erwähnten PASCH-Schulen weltweit betreut das Goethe-Institut in Asien. In Indien hat die Initiative eine beeindruckende Entwicklung ausgelöst, dort hat das Goethe-Institut einen Vertrag abgeschlossen, 1.000 indische Schulen mit Deutsch als Fremdsprache zu betreuen. 2012 haben wir zwei neue Sprachlernzentren für Deutsch an Partneruniversitäten gegründet – an der Keimyung Universität in Daegu, Korea und an der Northeastern University in Shenyang, China. Insbesondere in den südostasiatischen Ländern haben wir Rekordzahlen in den Sprachkursen des Goethe-Instituts vorzuweisen.

Ausrichtung und Inhalte der Kulturprogramme des Goethe-Instituts in der Asien-Pazifik-Region sind so divers und vielseitig, wie die Länder heterogen sind. Noch steht in vielen Ländern der Aufbau einer kulturellen und zivilgesellschaftlichen Infrastruktur mit Fortbildungsprogrammen für Kulturakteure im Fokus, besonders wichtig ist uns dabei auch eine innerregionale Vernetzung. Wir möchten vor allem die jungen Menschen erreichen, so haben wir etwa in Südostasien vor einigen Jahren ein Wissenschaftsfilmfestival für Kinder und Jugendliche aufgelegt, das rund 150.000 Zuschauer in 8 Ländern erreicht und so das größte Festival seiner Art weltweit ist. 2012 wurde das South East Asian Youth Chamber Orchestra gegründet, ein Musikorchester, das die jungen Talente der Region versammelt.

In stärker entwickelten Ländern wiederum ist uns eine hochkarätige Partnerstruktur gegeben, die erstklassige gemeinsame kulturelle Projekte von hoher Sichtbarkeit ermöglicht.

Soviel als ein erster kurzer Einblick unserer Aktivitäten in der Region, sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen meines Vortrags bei weitem sprengen.

 

 

Mit dem Netz der Goethe-Institute verfügt Deutschland über ein modernes und zugleich erprobtes Kultur- und Bildungsnetzwerk, dessen Wirkung weit über die Institutionen hinausreicht, das auch die Möglichkeiten des Internet in vollem Umfang einschließt, das gemeinsam mit der Wirtschaft und Wissenschaft Deutschlandjahre mit einer Vielfalt von Veranstaltungen realisiert, derzeit neben Indien noch in Russland, nächstes Jahr in Brasilien, das Künstlerresidenzen betreibt, in denen Künstler aus Deutschland über mehrere Monate in den Gastländern gemeinsam mit den dortigen Akteuren arbeitet; neben der Villa Kamogawa in Kyoto eröffnete Anfang September die Künstlerresidenz Tarabya in Istanbul.

 

Auch dazu zum Abschluss ein Goethe-Wort: „Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht. Ich finde es beinahe natürlich, dass wir an Besuchenden mancherlei auszusetzen haben, dass wir sogleich, wenn sie weg sind, über sie nicht zum liebevollsten urtheilen: denn wir haben sozusagen ein Recht, sie nach unseren Maßstäben zu messen.

Wenn man dagegen bei anderen gewesen ist und hat sie mit ihren Umgebungen, Gewohnheiten, in ihren notwendigen unausweichlichen Zuständen gesehen, wie sie um sich wirken, oder wie sie sich fügen, so gehört schon Unverstand dazu, um das lächerlich zu finden, was uns in mehr als einem Sinne ehrwürdig scheinen müsste.“

 

Goethe plädiert also für Weltoffenheit und Weltneugier, er plädiert aber auch dafür, sich des Eigenen bewusst zu sein.