"Ein Abend für Michael W. Blumenthal" - Einführungsvortrag
– Es gilt das gesprochene Wort –
Der heutige Abend in der Staatsbibliothek ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Abend. Zuerst und vor allem gilt er Michael W. Blumenthal, dem Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, der aus dem nationalsozialistischen Berlin Ende der dreißiger Jahre fliehen musste und der Ende der 90er Jahre als amerikanischer Staatsbürger wieder zu seinen Wurzeln zurückkehrte und eine großartige Aufbauleistung mit dem Jüdischen Museum vollbrachte und damit auch ein neues Kapitel der deutsch-jüdischen Beziehungen aufschlug. Eine Akzentuierung erfährt unsere Veranstaltung dadurch, dass seit etwa einer Woche dieser Veranstaltungsraum den Namen Dietrich Bonhoeffers trägt. Als engagierter Vertreter der bekennenden Kirche hat er konsequent den Weg des Widerstandes gegen die Nazi-Diktatur beschritten, wurde 1943 verhaftet und 1945 ermordet. Obwohl sein Leben ein Fragment blieb, lebt er in der Staatsbibliothek in seinen Schriften weiter. Sein Nachlass kam 1996 ins Haus. Es ist deshalb eine gute Fügung, dass wir unsere Veranstaltung heute im Dietrich-Bonhoeffer-Saal haben.
Für mich ist es eine wunderbare Gelegenheit, wieder mit Michael Blumenthal auf dem Podium zu sein. Früher war das öfter der Fall, als ich noch Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war. Nun teile ich als Präsident des Goethe-Instituts meine Zeit zwischen Berlin und München, wie Michael Blumenthal seine zwischen Berlin und Princeton.
Wir sind etwa zur gleichen Zeit nach Berlin gekommen. Er wurde 1997 zum Direktor des Jüdischen Museums Berlin berufen, ich wurde 1998 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Beide haben wir uns der Stadt verschrieben – und hier insbesondere der Kultur und der Wissenschaft. Wir kannten und schätzten uns vom ersten Tag an, wobei die Initiative von ihm ausging. Das ist seine charakteristische Vorgehensweise, sehr charmant, sehr einnehmend.
Prägend wurden unsere regelmäßigen Frühstücke. Beide sind wir Frühaufsteher, hellwach und wissbegierig von der ersten Minute. Wir wollen aus dem Tag etwas machen und da bietet ein früher Beginn allemal eine gute Chance. Das hat nicht nur in der Sache viel bewegt, es hat uns auch persönlich näher gebracht. Wir wurden zu Weggefährten
Gelegenheit für gemeinsame Initiativen und Unternehmungen gab es genügend. Es war erstaunlich wie vernetzt zu dieser Zeit die Berliner Kulturszene war und wie offen für Veränderungen. Es war ein kreatives und inspirierendes Klima. Dem Ehrenamt waren keine Grenzen gesetzt. Für Michael Blumenthal gehörte die aktive Beteiligung in einer Bürgergesellschaft sowieso zu seinem Selbstverständnis und war ihm vollkommen eigen. Und weil die Zukunft dort ist, wo junge Menschen tätig sind, lagen viele unserer Handlungsfelder – zusätzlich zum sogenannten Hauptamt – bei der Bildung. Wir waren aktiv bei den Gremien der Humboldt-Universität, bei den Akademien, bei Museen und bei den freien Initiativen
Zum gemeinsamen Wirken in der Humboldt-Universität muss ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Er, der die amerikanischen Universitäten bestens kennt, in der Innen- und der Außenansicht, war bereit, zu Beginn einer neuen Berliner Hochschulverfassung – quasi in der Experimentierphase – Mitglied des Kuratoriums der Humboldt-Universität Berlin zu werden. Die neue Verfassung schien aussichtsreich zu sein, sich einzubringen und Strukturen zu entwickeln, um das Potential der Universität mit Neugier und Reputation zu stärken und Exzellenzen auszubilden. So begannen Michael Blumenthal und ich mit sieben weiteren Persönlichkeiten als Mitglieder des Kuratoriums der Humboldt-Universität 1999 mit unserer ersten, vier Jahre dauernden Wahlperiode, an die sich eine weitere anschloss. Vieles an der deutschen Hochschulpolitik war ihm fremd. Er ließ sich aber nicht davon abhalten, durch hartnäckiges Nachfragen die Zusammenhänge zu ergründen oder in Frage zu stellen. Er nutzte über die Sitzungsfolgen hinaus Gesprächskreise, um darüber hinaus Erkenntnisse zu gewinnen und Standpunkte auszutauschen. So lud er bei einer ziemlich polarisierten Debatte im Kuratorium kurzerhand die Studierenden aller hochschulpolitischen Gruppen in seine Wohnung am Gendarmenmarkt zum Abendessen ein. Das Essen hatte er bei Rogacki in der Wilmersdorferstraße eingekauft. Auch wenn die Studenten erstaunt reagierten, so folgten sie doch der Einladung. Zunächst war die Unterhaltung noch etwas holprig. Aber als auf beiden Seiten erkannt wurde, dass Offenheit und wirkliches Interesse die Gespräche bestimmten, lockerte sich der Umgang miteinander. Es waren nicht die Parolen und Ideologien, die das Gespräch prägten, sondern die Lebensumstände. So erfuhren wir das erste Mal genauer über private Probleme und Ursachen und die Auswirkungen auf das Studium. Aber Michael Blumenthal scheute sich nicht, auch seine eigenen Lebensumstände zu schildern, seine Ängste, seine Erfolge, seine Motive, nicht als Vorbild, sondern als ein Beispiel. So entspannt der Abend verlief, so wertvoll war er für das Verhalten in unseren institutionalisierten Gremien.
Befragt, ob er denn glaube, dass sich dadurch das Wahlverhalten geändert habe, sagte er, das wisse er nicht, das sei ihm auch nicht das Wichtigste gewesen. Das darf man ihm glauben.
Michael Blumenthal ist für mich eine der erstaunlichsten und beeindruckendsten Persönlichkeiten, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Trotz eines von Anfang an gefährdeten Lebens hat er es zu einem erfüllten Leben gebracht. Das fällt einem nicht in den Schoß, das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bei all dem Quentchen Glück, das man haben muss, stecken hier ein starker Lebenswille, eine klare Eigenverantwortung und gleichzeitig eine große Menschlichkeit dahinter.
Seine Lebensgeschichte blättert sich auf wie ein Breitbandepos und umfasst alle Tiefen und Höhen. Eine bürgerliche deutsche Kindheit in Oranienburg in einer deutsch-jüdischen Familie, deren Wurzeln weit zurückreichen und zu denen Namen wie Giacomo Meyerbeer, Arthur Eloesser oder Rachel Varnhagen gehören. Dann der Hass und der Terror der Nazis gegenüber seiner Familie, der Vater teilweise im KZ bis zur erzwungenen Emigration. Schließlich verlässt der 13-jährige Michael Blumenthal 1939 Berlin, um auf verschlungenen Wegen Shanghai zu erreichen, einen der wenigen Orte, die noch Flüchtlinge ohne die üblichen hohen Hürden der Einreise aufnehmen. Er lebt hier in elenden Verhältnissen und schlägt sich mit allen möglichen Gelegenheitsjobs durch – eine harte Schule des Lebens. Endlich erhält er 1947 das Visum für die USA. Aber auch hier beginnt er wieder ganz unten, mit einer ungesicherten Zukunft. Doch er nutzt seine Chancen, er ist sich seiner Fähigkeiten bewusst und er lebt nie zu Lasten oder auf Kosten anderer. Er verwirklicht für sich letztlich den amerikanischen Traum. Er studiert erfolgreich und macht eine bemerkenswerte akademische Karriere in Princeton, aber auch in der Privatwirtschaft. Bald wird auch die Politik auf den bemerkenswerten jungen Mann aufmerksam. Er wird von John F. Kennedy ins Außenministerium geholt. Da ist er gerade 35 Jahre. Zwei Jahre später, also 1963 ist er der entscheidende Mann bei den schwierigen Wirtschaftsverhandlungen in Genf. Und schließlich macht ihn Jimmy Carter zu seinem Finanzminister.
Und so einer kommt auf Anfrage des Berliner Senats nach Berlin, um das Jüdische Museum aus einer völlig verfahrenen Situation herauszuführen, in die es als Abteilung des Stadtmuseums steckte? Ja, das ist Michael Blumenthal. Er, der nie ein Museum geleitet hat, hatte genau die richtigen Qualitäten. Er konnte mit Organisationen und mit Menschen umgehen, er konnte auch mit Geld umgehen, was aber viel wichtiger war, er hatte eine Vorstellung, was ein solches Museum leisten musste. Es sollte eine öffentliche Aufmerksamkeit für die zentralen Fragen der deutsch-jüdischen Geschichte erzeugen, es musste schonungslos über die Greueltaten berichten, es musste aber auch die Chancen ausloten, wieder deutsch-jüdische Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu entwickeln und es musste die jungen Menschen erreichen. All diese Fragen sollten nicht als erzwungene Pflichtaufgabe beantwortet werden sondern aus echtem Interesse, offener Meinungsbildung, aktiver Mitwirkung. Und so gab es auch die überraschendsten Formate zur Vermittlung all der Aspekte, von Ausstellungen, Aufführungen, Charity-Essen, renommierten Preisen, wie dem für Verständigung und Toleranz, bis hin zu fröhlichen Zusammenkünften im überdachten Hof des jüdischen Museums.
Er, der Kosmopolit, hat beides in das Jüdische Museum gebracht: die Wurzeln mit ihrer emotionalen Nähe, aber auch die Distanz für eine präzise Beobachtung.
Heute ist das Jüdische Museum wohl eines der populärsten Museen in Deutschland. Michael Blumenthal ist ein Glücksfall für Berlin, aber auch für ein neues gestaltendes Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte und Gegenwart, ja auch für Zukunft.
Er hat die Autorität, das Feingefühl, das Talent und auch die persönliche Leidenschaft. Er kann mit der Politik reden und verhandeln, er besitzt den Respekt der Fachleute, er überzeugt die Sponsoren und er gewinnt die nachwachsende Generation für das Thema. Das alles macht Hoffnung.
Dabei vertraut Michael Blumenthal auf die Wirkung von Bildung. Nicht im Sinn einer lediglich auf Qualifizierung ausgerichteten Bildung, sondern als Persönlichkeitsbildung, Eigenverantwortung, Selbstentfaltung. Seine eigene Unabhängigkeit gibt ihm dazu auch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Eröffnung des Jüdischen Museums am 9. September 2001, ein glanzvolles Ereignis, das unvergessen bleibt. Unvergessen bleibt aber auch seine großartige Rede, die er verbunden hatte mit einem Appell an die Verantwortung des heutigen Deutschland in der Behandlung der deutsch-jüdischen Fragen in der ganzen Breite und Tiefe.
Michael Blumenthal ist eine der erstaunlichsten Persönlichkeiten. Bei all seinen Ämtern, Funktionen und Positionen, bei all seiner erfahrenen Machtfülle – er kam nach Berlin, um diesen realen und symbolischen Ort „Jüdisches Museum“ gemeinsam mit uns allen aufzubauen, ihn als Stiftung über die Berliner Dimension hinauszuführen, und damit in das öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Er wollte weder Gehalt noch Honorar, aber er wollte freie Hand haben, um das zu tun, was er für richtig hielt. Das hat er zu unser aller Nutzen getan.
Ich habe viel mit und von Michael Blumenthal gelernt. Diese fruchtbare und inspirierende Zeit bleibt mir unvergesslich, zumal wir auch Grundüberzeugung teilen. Er kann eben nicht nur charmant überreden, er kann vor allem nachhaltig überzeugen. Das hat Bestand! Und dafür herzlichen Dank!
Der heutige Abend in der Staatsbibliothek ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Abend. Zuerst und vor allem gilt er Michael W. Blumenthal, dem Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, der aus dem nationalsozialistischen Berlin Ende der dreißiger Jahre fliehen musste und der Ende der 90er Jahre als amerikanischer Staatsbürger wieder zu seinen Wurzeln zurückkehrte und eine großartige Aufbauleistung mit dem Jüdischen Museum vollbrachte und damit auch ein neues Kapitel der deutsch-jüdischen Beziehungen aufschlug. Eine Akzentuierung erfährt unsere Veranstaltung dadurch, dass seit etwa einer Woche dieser Veranstaltungsraum den Namen Dietrich Bonhoeffers trägt. Als engagierter Vertreter der bekennenden Kirche hat er konsequent den Weg des Widerstandes gegen die Nazi-Diktatur beschritten, wurde 1943 verhaftet und 1945 ermordet. Obwohl sein Leben ein Fragment blieb, lebt er in der Staatsbibliothek in seinen Schriften weiter. Sein Nachlass kam 1996 ins Haus. Es ist deshalb eine gute Fügung, dass wir unsere Veranstaltung heute im Dietrich-Bonhoeffer-Saal haben.
Für mich ist es eine wunderbare Gelegenheit, wieder mit Michael Blumenthal auf dem Podium zu sein. Früher war das öfter der Fall, als ich noch Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war. Nun teile ich als Präsident des Goethe-Instituts meine Zeit zwischen Berlin und München, wie Michael Blumenthal seine zwischen Berlin und Princeton.
Wir sind etwa zur gleichen Zeit nach Berlin gekommen. Er wurde 1997 zum Direktor des Jüdischen Museums Berlin berufen, ich wurde 1998 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Beide haben wir uns der Stadt verschrieben – und hier insbesondere der Kultur und der Wissenschaft. Wir kannten und schätzten uns vom ersten Tag an, wobei die Initiative von ihm ausging. Das ist seine charakteristische Vorgehensweise, sehr charmant, sehr einnehmend.
Prägend wurden unsere regelmäßigen Frühstücke. Beide sind wir Frühaufsteher, hellwach und wissbegierig von der ersten Minute. Wir wollen aus dem Tag etwas machen und da bietet ein früher Beginn allemal eine gute Chance. Das hat nicht nur in der Sache viel bewegt, es hat uns auch persönlich näher gebracht. Wir wurden zu Weggefährten
Gelegenheit für gemeinsame Initiativen und Unternehmungen gab es genügend. Es war erstaunlich wie vernetzt zu dieser Zeit die Berliner Kulturszene war und wie offen für Veränderungen. Es war ein kreatives und inspirierendes Klima. Dem Ehrenamt waren keine Grenzen gesetzt. Für Michael Blumenthal gehörte die aktive Beteiligung in einer Bürgergesellschaft sowieso zu seinem Selbstverständnis und war ihm vollkommen eigen. Und weil die Zukunft dort ist, wo junge Menschen tätig sind, lagen viele unserer Handlungsfelder – zusätzlich zum sogenannten Hauptamt – bei der Bildung. Wir waren aktiv bei den Gremien der Humboldt-Universität, bei den Akademien, bei Museen und bei den freien Initiativen
Zum gemeinsamen Wirken in der Humboldt-Universität muss ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Er, der die amerikanischen Universitäten bestens kennt, in der Innen- und der Außenansicht, war bereit, zu Beginn einer neuen Berliner Hochschulverfassung – quasi in der Experimentierphase – Mitglied des Kuratoriums der Humboldt-Universität Berlin zu werden. Die neue Verfassung schien aussichtsreich zu sein, sich einzubringen und Strukturen zu entwickeln, um das Potential der Universität mit Neugier und Reputation zu stärken und Exzellenzen auszubilden. So begannen Michael Blumenthal und ich mit sieben weiteren Persönlichkeiten als Mitglieder des Kuratoriums der Humboldt-Universität 1999 mit unserer ersten, vier Jahre dauernden Wahlperiode, an die sich eine weitere anschloss. Vieles an der deutschen Hochschulpolitik war ihm fremd. Er ließ sich aber nicht davon abhalten, durch hartnäckiges Nachfragen die Zusammenhänge zu ergründen oder in Frage zu stellen. Er nutzte über die Sitzungsfolgen hinaus Gesprächskreise, um darüber hinaus Erkenntnisse zu gewinnen und Standpunkte auszutauschen. So lud er bei einer ziemlich polarisierten Debatte im Kuratorium kurzerhand die Studierenden aller hochschulpolitischen Gruppen in seine Wohnung am Gendarmenmarkt zum Abendessen ein. Das Essen hatte er bei Rogacki in der Wilmersdorferstraße eingekauft. Auch wenn die Studenten erstaunt reagierten, so folgten sie doch der Einladung. Zunächst war die Unterhaltung noch etwas holprig. Aber als auf beiden Seiten erkannt wurde, dass Offenheit und wirkliches Interesse die Gespräche bestimmten, lockerte sich der Umgang miteinander. Es waren nicht die Parolen und Ideologien, die das Gespräch prägten, sondern die Lebensumstände. So erfuhren wir das erste Mal genauer über private Probleme und Ursachen und die Auswirkungen auf das Studium. Aber Michael Blumenthal scheute sich nicht, auch seine eigenen Lebensumstände zu schildern, seine Ängste, seine Erfolge, seine Motive, nicht als Vorbild, sondern als ein Beispiel. So entspannt der Abend verlief, so wertvoll war er für das Verhalten in unseren institutionalisierten Gremien.
Befragt, ob er denn glaube, dass sich dadurch das Wahlverhalten geändert habe, sagte er, das wisse er nicht, das sei ihm auch nicht das Wichtigste gewesen. Das darf man ihm glauben.
Michael Blumenthal ist für mich eine der erstaunlichsten und beeindruckendsten Persönlichkeiten, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Trotz eines von Anfang an gefährdeten Lebens hat er es zu einem erfüllten Leben gebracht. Das fällt einem nicht in den Schoß, das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bei all dem Quentchen Glück, das man haben muss, stecken hier ein starker Lebenswille, eine klare Eigenverantwortung und gleichzeitig eine große Menschlichkeit dahinter.
Seine Lebensgeschichte blättert sich auf wie ein Breitbandepos und umfasst alle Tiefen und Höhen. Eine bürgerliche deutsche Kindheit in Oranienburg in einer deutsch-jüdischen Familie, deren Wurzeln weit zurückreichen und zu denen Namen wie Giacomo Meyerbeer, Arthur Eloesser oder Rachel Varnhagen gehören. Dann der Hass und der Terror der Nazis gegenüber seiner Familie, der Vater teilweise im KZ bis zur erzwungenen Emigration. Schließlich verlässt der 13-jährige Michael Blumenthal 1939 Berlin, um auf verschlungenen Wegen Shanghai zu erreichen, einen der wenigen Orte, die noch Flüchtlinge ohne die üblichen hohen Hürden der Einreise aufnehmen. Er lebt hier in elenden Verhältnissen und schlägt sich mit allen möglichen Gelegenheitsjobs durch – eine harte Schule des Lebens. Endlich erhält er 1947 das Visum für die USA. Aber auch hier beginnt er wieder ganz unten, mit einer ungesicherten Zukunft. Doch er nutzt seine Chancen, er ist sich seiner Fähigkeiten bewusst und er lebt nie zu Lasten oder auf Kosten anderer. Er verwirklicht für sich letztlich den amerikanischen Traum. Er studiert erfolgreich und macht eine bemerkenswerte akademische Karriere in Princeton, aber auch in der Privatwirtschaft. Bald wird auch die Politik auf den bemerkenswerten jungen Mann aufmerksam. Er wird von John F. Kennedy ins Außenministerium geholt. Da ist er gerade 35 Jahre. Zwei Jahre später, also 1963 ist er der entscheidende Mann bei den schwierigen Wirtschaftsverhandlungen in Genf. Und schließlich macht ihn Jimmy Carter zu seinem Finanzminister.
Und so einer kommt auf Anfrage des Berliner Senats nach Berlin, um das Jüdische Museum aus einer völlig verfahrenen Situation herauszuführen, in die es als Abteilung des Stadtmuseums steckte? Ja, das ist Michael Blumenthal. Er, der nie ein Museum geleitet hat, hatte genau die richtigen Qualitäten. Er konnte mit Organisationen und mit Menschen umgehen, er konnte auch mit Geld umgehen, was aber viel wichtiger war, er hatte eine Vorstellung, was ein solches Museum leisten musste. Es sollte eine öffentliche Aufmerksamkeit für die zentralen Fragen der deutsch-jüdischen Geschichte erzeugen, es musste schonungslos über die Greueltaten berichten, es musste aber auch die Chancen ausloten, wieder deutsch-jüdische Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu entwickeln und es musste die jungen Menschen erreichen. All diese Fragen sollten nicht als erzwungene Pflichtaufgabe beantwortet werden sondern aus echtem Interesse, offener Meinungsbildung, aktiver Mitwirkung. Und so gab es auch die überraschendsten Formate zur Vermittlung all der Aspekte, von Ausstellungen, Aufführungen, Charity-Essen, renommierten Preisen, wie dem für Verständigung und Toleranz, bis hin zu fröhlichen Zusammenkünften im überdachten Hof des jüdischen Museums.
Er, der Kosmopolit, hat beides in das Jüdische Museum gebracht: die Wurzeln mit ihrer emotionalen Nähe, aber auch die Distanz für eine präzise Beobachtung.
Heute ist das Jüdische Museum wohl eines der populärsten Museen in Deutschland. Michael Blumenthal ist ein Glücksfall für Berlin, aber auch für ein neues gestaltendes Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte und Gegenwart, ja auch für Zukunft.
Er hat die Autorität, das Feingefühl, das Talent und auch die persönliche Leidenschaft. Er kann mit der Politik reden und verhandeln, er besitzt den Respekt der Fachleute, er überzeugt die Sponsoren und er gewinnt die nachwachsende Generation für das Thema. Das alles macht Hoffnung.
Dabei vertraut Michael Blumenthal auf die Wirkung von Bildung. Nicht im Sinn einer lediglich auf Qualifizierung ausgerichteten Bildung, sondern als Persönlichkeitsbildung, Eigenverantwortung, Selbstentfaltung. Seine eigene Unabhängigkeit gibt ihm dazu auch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Eröffnung des Jüdischen Museums am 9. September 2001, ein glanzvolles Ereignis, das unvergessen bleibt. Unvergessen bleibt aber auch seine großartige Rede, die er verbunden hatte mit einem Appell an die Verantwortung des heutigen Deutschland in der Behandlung der deutsch-jüdischen Fragen in der ganzen Breite und Tiefe.
Michael Blumenthal ist eine der erstaunlichsten Persönlichkeiten. Bei all seinen Ämtern, Funktionen und Positionen, bei all seiner erfahrenen Machtfülle – er kam nach Berlin, um diesen realen und symbolischen Ort „Jüdisches Museum“ gemeinsam mit uns allen aufzubauen, ihn als Stiftung über die Berliner Dimension hinauszuführen, und damit in das öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Er wollte weder Gehalt noch Honorar, aber er wollte freie Hand haben, um das zu tun, was er für richtig hielt. Das hat er zu unser aller Nutzen getan.
Ich habe viel mit und von Michael Blumenthal gelernt. Diese fruchtbare und inspirierende Zeit bleibt mir unvergesslich, zumal wir auch Grundüberzeugung teilen. Er kann eben nicht nur charmant überreden, er kann vor allem nachhaltig überzeugen. Das hat Bestand! Und dafür herzlichen Dank!