1. April 2014
Einführung Gesprächsreihe "Erinnerung der Anderen"
- Es gilt das gesprochene Wort -
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir freuen uns, Partner des groß angelegten Kulturprogramms zu sein, das die Stadt München anlässlich des Gedenkjahres 100 Jahre Erster Weltkrieg aufgelegt hat. Heute Abend empfangen wir Sie hier zur zweiten gemeinsam konzipierten Diskussion der Reihe „Erinnerung an Europa“. Wir widmen uns der „Erinnerung der Anderen“. Die Referentin und die Referenten nehmen populäre, mediale und museale Geschichtskulturen in Europa in den Blick und untersuchen, welche Perspektiven sie auf den ersten Weltkrieg werfen. Mit Piet Chielens, Professor Baraba Korte, Dr. Jean-Yves Lenaour und Dr. Arndt Weinrich hat sich eine Riege an Experten aus dem Museumsbereich und der Geschichtswissenschaft versammelt und ich bin gespannt auf ihre Thesen. Die ausführliche Vorstellung unserer Diskutanten überlasse ich dem Moderator, Dr. Philip Blom. In meiner Begrüßung möchte ich gerne über die Bedeutung insbesondere der Museen in der Aufarbeitung historischer Ereignisse und über ihrer Rolle in der heutigen Gesellschaft sprechen. In meiner früheren Position als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war ich unmittelbar mit diesen Fragestellungen befasst, und auch als Goethe-Präsident komme ich immer wieder mit Projekten in Berührung, die der Funktion der Museen im 21. Jahrhundert nachgehen. Eingangs möchte ich mich der Äußerungen zweier bedeutender Deutscher bedienen: Eine stammt von Goethe: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“. Die andere Aussage stammt von Karl Marx: „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alb auf den Gehirnen der Lebenden“. Ich neige natürlich zur Aussage von Goethe. Wir müssen einen übergreifenden Ausdruck für eine beständige Deutung und für eine Vergewisserung der eigenen Kultur finden. Denn nichts ist heute spannender als Kultur, nichts verbindet die sich im ständigen Wandel befindliche Gegenwart besser mit der Vergangenheit und nichts schafft besser Bewusstsein für die Zukunft. Zeit kann man nur erfahren vor dem Hintergrund dessen, was bestehen bleibt. Der französische Historiker Pierre Nora warnt kürzlich in einem Artikel, dass wir zwar einerseits eine weltweite Verbreitung des Erinnerns erleben, andrerseits aber durch eine „Beschleunigung der Geschichte“ nicht mehr Dauer und Kontinuität die Kennzeichen sind sondern ein immer schneller werdender Wandel. Dieser Wandel habe die Einheit der geschichtlichen Zeit zerbrochen, die schöne Linearität, die die Gegenwart und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindet. Damit rücke die Vergangenheit in die Ferne und das „Augenblicks-Gedenken“ der Geschichte besetze die Erinnerung. Ich finde, dem müssen wir entgegenwirken. Es soll einerseits ein Recht auf Erinnerung geben, keine Frage. Aber es muss genau so eine „Geschichts-Pflicht“ geben, nur so kann dem Sog des Vergessens widerstanden werden. Wir müssen uns noch mehr dafür einsetzen, die Verbindung zur Vergangenheit wieder herzustellen. Und dabei helfen uns die Museen mit ihrer wissenschaftlichen Expertise, ihrer dokumentierenden, archivierenden und inszenierenden Funktion. Sie sind heute lebendiger denn je, Orte der Reflexion und der Begegnung, mit der Aura des Authentischen. Gerade der letzte Aspekt ist in unserer bildsüchtigen digitalen Zeit ein besonderer Wert. Diese Institutionen wirken wie Gravitationszentren in ihrem urbanen Umfeld. Sie wirken der zunehmenden Beschleunigung der Geschichte entgegen, geben Gelegenheit zum Staunen und Innehalten. Deshalb tun Museen gut daran, sich wieder auf ihren Bildungsauftrag zu besinnen und eine nachhaltige Gedächtnis- und Vermittlungskultur zu pflegen. Es sind keine Showrooms sondern sie bilden einen unabdingbaren Teil der Gesellschaft mit erstaunlich vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten. Natürlich müssen auch die veränderten Seh- und Lerngewohnheiten der jungen Menschen auf eine spezifische Art getroffen werden. Die Museen müssen sich auf Multimedialität einlassen, aber ich bin nicht der Auffassung, dass der Lernerfolg unbedingt von einer mit dem Exponat verbundenen höchst technologischen Erlebniswelt abhängt. Das Exponat muss auch in seiner Unmittelbarkeit wirken können. In der musealen Gedenkkultur des Ersten Weltkriegs liegt hier noch die besondere Herausforderung, fast ohne lebende Augenzeugen den Krieg der heutigen Urgroßeltern- und Großelterngeneration erfahrbar zu machen. Die Museen des 21. Jahrhunderts müssen sich vor allem klar machen, dass sie ein wesentliches Element des Zivilisationsprozesses sind und dass sie deshalb ihre Funktion als kulturelles Gedächtnis glaubwürdig erfüllen müssen. Das können sie nur, wenn sie sich ihre Unabhängigkeit erhalten. Immer dann, wenn die Unabhängigkeit in Gefahr ist, ist auch die Rolle der Museen in der Gesellschaft eingeschränkt und bedrängt. Die Unabhängigkeit – und hier ist es vor allem die der Kuratoren – gibt den Werken ihre ursprüngliche Geltung als künstlerische Leistung zurück. Das ist bis heute ein wesentliches Fundament der Museen und ihrer Botschaft. Wo muss eine erfolgreiche Museumsarbeit ansetzen – auch im Bereich der Erinnerungs- und Gedächtniskultur? Da ist zu einem die Sammlung selbst mit ihren kulturellen Schätzen und den daraus sich ergebenden Ausstellungsmöglichkeiten. In einer Welt der Flüchtigkeit ist es ganz offensichtlich ein faszinierendes Erlebnis, vor dem bestehenden Hintergrund der kulturellen Artefakte die Zeit sinnlich zu erfahren, Geschichten erzählt zu bekommen, Kommentare für die Gegenwart aufzunehmen und kulturelle Phänomene zu begreifen. Dieses Phänomen heißt kulturelles Gedächtnis und Identität. Es ist entscheidend für unser eigenes Selbstverständnis, dass wir die geschichtliche Einordnung vornehmen, dass wir uns nicht geschichtslos verhalten. Die Aura des Realen und Gegenwärtigen zieht die Menschen auch in Zeiten der digitalen Welten weiterhin in ihren Bann. Kultur ist das, was bleibt, wenn alles andere vergessen ist. Dieser Wurzeln will man sich wieder vergewissern, nicht als Kult des Vergangenen sondern als Basis für eine bewusst gestaltete Zukunft. Wie ließen sich besser die Wurzeln des heutigen Europas verstehen als in der Betrachtung der Entwicklung des Kontinents anhand alter Landkarten und Dokumente, Fotos und Filme, Manuskripte von Politikern und Wissenschaftlern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, der Kunstproduktion von damals. Als zweiter wichtiger Handlungsbereich für die Museen ist die Vernetzung zu nennen, das Museum als Treffpunkt und Kommunikationsplattform, als Partner für Schulen, Gruppen und Forschungseinrichtungen. Museen sind in der Lage Generationen und Kulturen zusammenzuführen und sind im besten Sinn soziale Netzwerke. Der dritte große Bereich ist das Museum als Lern- und Bildungsort, der allein durch die immer wieder neuen Erkenntnisse der Forschung zu einem lebendigen Ort der Wissensvermittlung wird. Deshalb ist die Expertise der Fachleute und die Verbindung zur Wissenschaft eine ganz entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Museums. Die Museen werden gefragt sein im Gedenkjahr – bzw. den Gedenkjahren an 1914-1918, die vor uns liegen – und ich bin gespannt, wie sie der Herausforderung eines zeitgemäßen Erinnerns, aber eben auch einer „Geschichts-Pflicht“ an diese für Europa so prägende Zeitenwende nachkommen. Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir freuen uns, Partner des groß angelegten Kulturprogramms zu sein, das die Stadt München anlässlich des Gedenkjahres 100 Jahre Erster Weltkrieg aufgelegt hat. Heute Abend empfangen wir Sie hier zur zweiten gemeinsam konzipierten Diskussion der Reihe „Erinnerung an Europa“. Wir widmen uns der „Erinnerung der Anderen“. Die Referentin und die Referenten nehmen populäre, mediale und museale Geschichtskulturen in Europa in den Blick und untersuchen, welche Perspektiven sie auf den ersten Weltkrieg werfen. Mit Piet Chielens, Professor Baraba Korte, Dr. Jean-Yves Lenaour und Dr. Arndt Weinrich hat sich eine Riege an Experten aus dem Museumsbereich und der Geschichtswissenschaft versammelt und ich bin gespannt auf ihre Thesen. Die ausführliche Vorstellung unserer Diskutanten überlasse ich dem Moderator, Dr. Philip Blom. In meiner Begrüßung möchte ich gerne über die Bedeutung insbesondere der Museen in der Aufarbeitung historischer Ereignisse und über ihrer Rolle in der heutigen Gesellschaft sprechen. In meiner früheren Position als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war ich unmittelbar mit diesen Fragestellungen befasst, und auch als Goethe-Präsident komme ich immer wieder mit Projekten in Berührung, die der Funktion der Museen im 21. Jahrhundert nachgehen. Eingangs möchte ich mich der Äußerungen zweier bedeutender Deutscher bedienen: Eine stammt von Goethe: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“. Die andere Aussage stammt von Karl Marx: „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alb auf den Gehirnen der Lebenden“. Ich neige natürlich zur Aussage von Goethe. Wir müssen einen übergreifenden Ausdruck für eine beständige Deutung und für eine Vergewisserung der eigenen Kultur finden. Denn nichts ist heute spannender als Kultur, nichts verbindet die sich im ständigen Wandel befindliche Gegenwart besser mit der Vergangenheit und nichts schafft besser Bewusstsein für die Zukunft. Zeit kann man nur erfahren vor dem Hintergrund dessen, was bestehen bleibt. Der französische Historiker Pierre Nora warnt kürzlich in einem Artikel, dass wir zwar einerseits eine weltweite Verbreitung des Erinnerns erleben, andrerseits aber durch eine „Beschleunigung der Geschichte“ nicht mehr Dauer und Kontinuität die Kennzeichen sind sondern ein immer schneller werdender Wandel. Dieser Wandel habe die Einheit der geschichtlichen Zeit zerbrochen, die schöne Linearität, die die Gegenwart und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindet. Damit rücke die Vergangenheit in die Ferne und das „Augenblicks-Gedenken“ der Geschichte besetze die Erinnerung. Ich finde, dem müssen wir entgegenwirken. Es soll einerseits ein Recht auf Erinnerung geben, keine Frage. Aber es muss genau so eine „Geschichts-Pflicht“ geben, nur so kann dem Sog des Vergessens widerstanden werden. Wir müssen uns noch mehr dafür einsetzen, die Verbindung zur Vergangenheit wieder herzustellen. Und dabei helfen uns die Museen mit ihrer wissenschaftlichen Expertise, ihrer dokumentierenden, archivierenden und inszenierenden Funktion. Sie sind heute lebendiger denn je, Orte der Reflexion und der Begegnung, mit der Aura des Authentischen. Gerade der letzte Aspekt ist in unserer bildsüchtigen digitalen Zeit ein besonderer Wert. Diese Institutionen wirken wie Gravitationszentren in ihrem urbanen Umfeld. Sie wirken der zunehmenden Beschleunigung der Geschichte entgegen, geben Gelegenheit zum Staunen und Innehalten. Deshalb tun Museen gut daran, sich wieder auf ihren Bildungsauftrag zu besinnen und eine nachhaltige Gedächtnis- und Vermittlungskultur zu pflegen. Es sind keine Showrooms sondern sie bilden einen unabdingbaren Teil der Gesellschaft mit erstaunlich vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten. Natürlich müssen auch die veränderten Seh- und Lerngewohnheiten der jungen Menschen auf eine spezifische Art getroffen werden. Die Museen müssen sich auf Multimedialität einlassen, aber ich bin nicht der Auffassung, dass der Lernerfolg unbedingt von einer mit dem Exponat verbundenen höchst technologischen Erlebniswelt abhängt. Das Exponat muss auch in seiner Unmittelbarkeit wirken können. In der musealen Gedenkkultur des Ersten Weltkriegs liegt hier noch die besondere Herausforderung, fast ohne lebende Augenzeugen den Krieg der heutigen Urgroßeltern- und Großelterngeneration erfahrbar zu machen. Die Museen des 21. Jahrhunderts müssen sich vor allem klar machen, dass sie ein wesentliches Element des Zivilisationsprozesses sind und dass sie deshalb ihre Funktion als kulturelles Gedächtnis glaubwürdig erfüllen müssen. Das können sie nur, wenn sie sich ihre Unabhängigkeit erhalten. Immer dann, wenn die Unabhängigkeit in Gefahr ist, ist auch die Rolle der Museen in der Gesellschaft eingeschränkt und bedrängt. Die Unabhängigkeit – und hier ist es vor allem die der Kuratoren – gibt den Werken ihre ursprüngliche Geltung als künstlerische Leistung zurück. Das ist bis heute ein wesentliches Fundament der Museen und ihrer Botschaft. Wo muss eine erfolgreiche Museumsarbeit ansetzen – auch im Bereich der Erinnerungs- und Gedächtniskultur? Da ist zu einem die Sammlung selbst mit ihren kulturellen Schätzen und den daraus sich ergebenden Ausstellungsmöglichkeiten. In einer Welt der Flüchtigkeit ist es ganz offensichtlich ein faszinierendes Erlebnis, vor dem bestehenden Hintergrund der kulturellen Artefakte die Zeit sinnlich zu erfahren, Geschichten erzählt zu bekommen, Kommentare für die Gegenwart aufzunehmen und kulturelle Phänomene zu begreifen. Dieses Phänomen heißt kulturelles Gedächtnis und Identität. Es ist entscheidend für unser eigenes Selbstverständnis, dass wir die geschichtliche Einordnung vornehmen, dass wir uns nicht geschichtslos verhalten. Die Aura des Realen und Gegenwärtigen zieht die Menschen auch in Zeiten der digitalen Welten weiterhin in ihren Bann. Kultur ist das, was bleibt, wenn alles andere vergessen ist. Dieser Wurzeln will man sich wieder vergewissern, nicht als Kult des Vergangenen sondern als Basis für eine bewusst gestaltete Zukunft. Wie ließen sich besser die Wurzeln des heutigen Europas verstehen als in der Betrachtung der Entwicklung des Kontinents anhand alter Landkarten und Dokumente, Fotos und Filme, Manuskripte von Politikern und Wissenschaftlern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, der Kunstproduktion von damals. Als zweiter wichtiger Handlungsbereich für die Museen ist die Vernetzung zu nennen, das Museum als Treffpunkt und Kommunikationsplattform, als Partner für Schulen, Gruppen und Forschungseinrichtungen. Museen sind in der Lage Generationen und Kulturen zusammenzuführen und sind im besten Sinn soziale Netzwerke. Der dritte große Bereich ist das Museum als Lern- und Bildungsort, der allein durch die immer wieder neuen Erkenntnisse der Forschung zu einem lebendigen Ort der Wissensvermittlung wird. Deshalb ist die Expertise der Fachleute und die Verbindung zur Wissenschaft eine ganz entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Museums. Die Museen werden gefragt sein im Gedenkjahr – bzw. den Gedenkjahren an 1914-1918, die vor uns liegen – und ich bin gespannt, wie sie der Herausforderung eines zeitgemäßen Erinnerns, aber eben auch einer „Geschichts-Pflicht“ an diese für Europa so prägende Zeitenwende nachkommen. Vielen Dank.