7. Juli 2014
„Zwischen Dialog und Verantwortung“
Klaus-Dieter Lehmann im Münchner Kompetenzzentrum der LMU
Vortragsreihe „Der Dialog“
I. Einführung und Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse aus der Vortragsreihe
Drei Monate lang haben wir uns an einer umfassenden Begriffsklärung des "Dialogs" versucht, in ganz wunderbarer Zusammenarbeit zwischen dem Goethe-Institut und dem Münchener Kompetenzzentrum für Ethik.
Mir bleibt heute die Aufgabe, den letzten Vortrag der Reihe zu halten. Wie Sie dem Titel „Zwischen Dialog und Verantwortung – Perspektiven der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik“ unschwer entnehmen können, hole ich, als Präsident des Goethe-Instituts, das Nachdenken über den Dialog auf eine andere Ebene. Meine Vorredner stammten nahezu alle aus der Philosophie, mein Arbeitsfeld ist die internationale Kulturpolitik – beziehungsweise der internationale Kulturdialog.
Für unsere Institution war diese philosophische und theoretische Untersuchung des Dialogbegriffs eigentlich längst überfällig. Wir erhalten dadurch eine theoretische Fundierung unserer täglichen Arbeit. Wie sagte unser Vortragender und Partner der Reihe, Julian Nida-Rümelin, in einem Interview: der Dialogauftrag ist für eine Institution wie das Goethe-Institut der Hauptauftrag überhaupt.
Ich möchte in meinem heutigen Vortrag versuchen, die Zusammenhänge von interkultureller Dialogführung und nationaler Selbstverständigung über Identität und deren Umsetzung in einer international tätigen Kulturorganisation wie dem Goethe-Institut zu beleuchten. Dabei muss es um die – in der einschlägigen Literatur nicht gerade selten aufgezeigten – Grenzen ebenso wie um die Chancen eines interkulturellen Dialogs gehen.
Weiterhin wird mein Redebeitrag über die Auswärtige Kulturpolitik hinaus auf die derzeitige Außenpolitik der Bundesrepublik blicken, wo in den letzten Monaten neue Positionen in einer neuen, selbstbewussten Rhetorik formuliert wurden. Eine der zentralen Thesen der Politiker ist, dass Deutschland in der gegenwärtigen Weltordnung mehr Verantwortung übernehmen muss. Was bedeutet dieser Verantwortungsbegriff für die Arbeit des Goethe-Instituts bedeutet? Wie hängt er mit dem Dialogbegriff zusammen? Auch darüber möchte ich sprechen.
Für die Nutzbarmachung philosophischer Erkundungen und Theorien zum Dialogbegriff für die Ebene der Kulturpolitik konnten wir in den zurückliegenden Vorträgen ein wertvolles Fundament schaffen. Meine Vorredner haben unter anderem auf die dialogische Philosophie in der Antike geblickt, weitere Ansätze im religiösen Denken oder bei Kant untersucht, und die Zusammenhänge von Verständigung und Dialog beleuchtet.
In seinem Auftaktvortrag argumentierte Julian Nida-Rümelin, dass ein Dialog den Austausch von zwei Menschen bedeutet, die sich gegenseitig gute Gründe für ihre Überzeugungen geben. Er verfolgt hier den humanistischen Ansatz, dass sich Menschen von guten Gründen leiten lassen, und diese dann eben im Dialog mitteilen und so auch reflektieren. Auf diesen Gründen wiederum basiert die Verständigung. Für die interkulturelle Dialogführung wird es besonders interessant, wenn man über das Hintergrundwissen, das die Voraussetzung für Verständigung ist, nachdenkt. Um uns zu verständigen, brauchen wir erst einmal Zugang zu und Wissen über unser Gegenüber. Hier erschwert dann die Unbestimmtheit der Übersetzung die Verständigung im interkulturellen Dialog – und so sind Sprache und Kultur eng miteinander verwoben. Die Sprache bietet den allerersten Zugang. Auch die Kunst ist nach Nida-Rümelin eine Form der Verständigung – allerdings eine, die sich sprachlich nicht ohne Verluste wiedergeben lässt. Um die „Sprache der Kunst“ zu lernen, brauchen Menschen Institutionen der Kunstpraxis und Kulturpolitik. Ihre Aufgabe ist es, Brücken für den Dialog zwischen Kunst und Menschen zu schlagen.
Auch Lutz Wingert untersuchte den Dialog als Interaktion zwischen zwei Personen, die ihre subjektiven Gründe austauschen und sie somit im Dialog einem Objektivitätstest unterziehen. Dialoge stellen bei ihm eine hermeneutische Verstehensaufgabe dar, sie üben Gewaltverzicht und sind ergebnisoffen.
Beide Redner sprachen auch die entscheidende Rolle, die Machtstrukturen im Dialog spielen, an: Das Ein- oder Ausschließen von Gesprächsteilnehmern, oder Manipulationsversuche der Beteiligten, Einschüchterung, Angeberei, die den Dialog sofort beenden.
Vittorio Hösle betonte in seinem Vortrag auch noch einmal die fundamentale Bedeutung der sprachlichen Dimension des Dialogs: natürlich möchten Gesprächspartner sich jeweils verständlich machen, beziehungsweise verstanden werden. Mehrsprachigkeit oder der Dienst von Übersetzern sind also notwendige Bedingung für interkulturelle Dialoge.
Als letzte Vorrednerin möchte ich noch Antje Linkenbach-Fuchs zitieren, die sich mit der Problematik kultureller Differenzen im Dialog beschäftigt hat. Ihrer Argumentation nach komme es darauf an, für einen gelungenen Dialog eine „Mikrokultur des Dialogs“ zu schaffen, also in der direkten Begegnung von Personen zu einer Verständigung und Symmetrie zu gelangen. Dialogpartner sind auf der individuellen Ebene nie frei von ihrem sozialen Kontext und das müssen sie gegenseitig anerkennen. Dabei werden immer auch die Grenzen des Verstehens ausgelotet. Diese Verständigung auch Voraussetzung für einen Dialog der Kulturen, hier wird sie allerdings um ein vielfaches komplexer, allein durch die Schwierigkeit, „Kultur“ als eigenständigen Dialogteilnehmer zu definieren.
II. Grenzen und Chancen des Kulturdialogs für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
An dieser Definitionsschwierigkeit stoßen sich viele Skeptiker des interkulturellen Dialogs.Sie fragen danach, wer eigentlich befähigt ist, für so ein komplexes System wie eine Kultur zu sprechen, in der es ja letztlich keinerlei feste Entitäten gibt, wo alles kontingent und im Fluss ist.Wenn wir fragen, wer im interkulturellen Dialog kommuniziert, stellen wir gleichzeitig auch die Frage nach kultureller Identität und eröffnen ein ungemein weites Feld der Kulturwissenschaften, das heute aktueller ist als jemals zuvor.
Wir leben in einer global vernetzten Welt, in einem Zeitalter der Massenmigrationen, das nie dagewesene Prozesse der Identitätenbildung beinhaltet. Die moderne Weltgesellschaft hat kein Außen mehr, aber das Innen ist umso komplizierter geworden. Die Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen eine gleichzeitige und wechselseitige Sichtbarkeit kultureller Räume und sie machen das Eigene und das Andere unmittelbar erfahrbar. Wir leben in einem Zeitalter der Mehrfachcodierung der Zeichen für die individuelle und die kollektive Identität. Jeder hat letztlich mehrere Identitäten. Die poststrukturalistische und postkoloniale Kritik an dem Modell kultureller Identitäten hat sich an der Konzeption eines kollektiven „Wir“ gegen das Andere, Fremde, ja Unterlegene, abgearbeitet – diese Asymmetrie, die in Kolonialzeiten aufrecht erhalten wurde, hat keinen Bestand und keine Glaubwürdigkeit mehr. Spätestens seit die nördlichen Supermächte ihre beherrschende Funktion verloren haben, wird deutlich, dass es wichtige Segmente von „erster Welt“ in der „dritten“ und von der „dritten Welt“ in der „ersten“ gibt. Die eine Seite kann man als zunehmende Verwestlichung betrachten, zumindest was die ökonomische Entwicklung angeht. Die andere muss noch näher analysiert werden, indem soziale Bewegungen als Beiträge zu einem globalen Bewusstsein begriffen werden, wo zum Teil erst wenige Wortführer auftreten, etwa bei den globalen Konferenzen zu Klima, Ressourcen schonender Zukunft, indigenen Rechten usw.
Wenn wir über Identitäten sprechen, und das im Kontext einer Reihe, die den Dialogbegriff untersucht, kommen wir nicht an den Begriffen des Ich und Du und an ihrer Konstituierung im Dialog vorbei: Identität entsteht, unabhängig, ob es sich um individuelle oder kollektive handelt, nur dann, wenn ein Subjekt mit anderen Subjekten konfrontiert wird, die die Andersheit des ersten Subjekts spiegeln, sei dies eine Person oder eine Gruppe. Von „Identität“ zu sprechen, wäre – selbst in der umgangssprachlichen Bedeutung – sinnlos, bevor wir mit anderen interagieren. Dazu gehört auch eine wechselseitige Neugier. Auch wenn in verschiedenen Weltgegenden gerade der Wunsch, an gewachsenen Autoritäten eine bestimmte Identität zu verteidigen, Bewegungen zur Freiheit prägt, so geht es doch im Grunde darum, die Kraft der Beziehungen zu stärkengegen die Macht von Strukturen.
Der Dialog mit nicht-deutschen Gesellschaften zum Beispiel trägt nicht nur erheblich zu einer deutschen Selbstverständigung bei; er ist sogar die Voraussetzung dafür, dass es eine deutsche Kultur und Gesellschaft im eigentlichen Sinn (d.h. als sich ihrer selbst bewusste) überhaupt geben kann. Es ist ein Wechselspiel des Erlebens und der Reflexionen: Wie antworten Andere auf die gleichen Grundfragen des Lebens? Wie bewerten sie unsere Antworten? Welche Fragen versäumen wir, welche die Anderen, welche kommen überhaupt nicht vor, weder bei uns noch bei den Anderen?
Wir sind in Europa noch immer sehr gewohnt, von einem festen Zentrum her die Welt zu beurteilen. Der eurozentrische Blick ist so einseitig, dass uns Ausblendungen und Missinterpretationen gar nicht auffallen, andere Ordnungen für uns nicht erkennbar werden. Levi-Strauss hat einmal vom „wilden Denken“ (la pensée sauvage) gesprochen, das notwendig wäre, um das hierarchische Denken zu überwinden und die Kulturen vergleichend und nicht vermessend und bewertend nebeneinander zu sehen. Das ist es, was wir als interkulturellen Dialog bezeichnen können. Die Grundprinzipien sind:
- Wertschätzung von Vielfalt
- Gleichwertigkeit des Anderen
- Interkulturelle Kompetenz der Akteure
- Gut wäre es, wenn daraus auch ein aufeinander reagierendes Handeln entstehen würde
Mit dieser strukturellen Problematik des „Wer“ spricht eigentlich miteinander im interkulturellen Dialog und des „Wie“ eigentlich Dialogpartner über soziale und kulturelle Grenzen hinweg miteinander sprechen sollen, unterstellen die Dialogskeptiker häufig auch einen „leeren Pathos“, politische Instrumentalisierung oder Gutmenschentum.
Wie Sie sich vorstellen können, kann ich den Skeptikern nicht zustimmen. Für mich ist es einleuchtend, dass man auf Konflikte mit Dialog reagiert. Wie sonst wären Missverständnisse auszuräumen? Natürlich läuft gerade im interkulturellen Dialog zwischen Nationen ein hochgradig komplexer Prozess ab – es stehen nicht auf jeder Seite je ein Sprecher, sondern enorm ausdifferenzierte und ständig im Wandel begriffene Systeme. Sie begegnen sich auf den unterschiedlichsten Ebenen und kommunizieren kontinuierlich miteinander – Politik, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Medien. Dieser Dialog hat kein Ende, seine Ergebnisse sind nicht messbar.
Für uns als Institution sind die Gedankengänge um Dialog und Sprache zentral. Wo wir wieder bei der eingangs erwähnten Verständigung wären, die ohne das Beherrschen der Sprache des Gegenübers nicht möglich wäre. Sie bildet den Zugang zu einer Kultur – zum „Gesprächspartner“ einer interkulturellen Dialogführung. Ich zitiere hier erneut Wilhelm von Humboldt, der gesagt hat, jede Sprache, die ich erlerne, eröffnet mir eine neue Welt. Die Sprache ist nicht nur Werkzeug sondern Kulturträger. Sie ist die Eintrittstür für jeden, der eine andere Kultur kennen lernen oder sie verstehen will. Sie schafft Bindung und ermöglicht, dialogisch zu leben. Im Rahmen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik des Goethe-Instituts ist die Vermittlung der deutschen Sprache und ihres kulturellen Kontextes im Austausch mit anderen Kulturen eines der Hauptziele. Das gilt nicht nur im Ausland sondern auch im Inland, wo das Goethe-Institut sich maßgeblich in das Themenfeld Integration einbringt. Denn auch hier sind intensive Dialoge zwischen der deutschen Gesellschaft und den Zuwanderern erforderlich, um einander zu verstehen und voneinander lernen zu können. Hier bildet die Sprachvermittlung eine unbedingte Voraussetzung.
III. Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik – was bedeutet der neue „Verantwortungsbegriff“ für die Arbeit des Goethe-Instituts?
Nun sind wir auch schon bei der kulturpolitischen Dialogpraxis, die die tägliche Arbeit des Goethe-Instituts ausmacht, angekommen. Wie wird diese beeinflusst von den derzeit laufenden Diskussionen über eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik?Allgemein gesagt ist die politische Unabhängigkeit als Institution unser größtes Gut und wir können inhaltlich auch völlig frei agieren, doch globalpolitischen Geschehnissen und Tendenzen können und wollen wir uns nicht verschließen, das zeigt auch der Blick auf unsere Geschichte.
Während es in den 50er- und 60er-Jahren darum gegangen ist, wieder Sympathie für ein neues Deutschland über die Kultur in der Welt zu wecken, waren in den 70er- und 80er-Jahren die gesellschaftlichen Debatten innerhalb Deutschlands auch Thema für die Auslandsarbeit des Goethe-Instituts. Dann kamen nach dem Mauerfall die Aufgaben der Osterweiterung. In den darauf folgenden Jahren – und auch noch heute - geht es verstärkt darum, in den zahlreichen Krisenregionen der Welt Begegnungen zu schaffen, zivilgesellschaftliche Entwicklungen zu stärken und Infrastruktur für Kultur und Bildung zu etablieren.
Derzeit findet sich Deutschland wieder in einer neuen, komplexen und polyzentrischen Weltordnung. Deutschland ist wirtschaftlich stark, sicher und frei. Es ist global auf kultureller, sozialer, politischer und ökonomischer Ebene verflochten wie nie zuvor und profitiert von dieser Verflechtung.
Es ist spürbar, wie sich die Politik intensiv mit dieser Situation auseinandersetzt. Sie fordert mehr Verantwortung für Deutschland. Die Rede von Bundespräsident Gauck vor der Münchener Sicherheitskonferenz ist noch immer in aller Munde, in der er konstatierte, dass Zitat „wir Deutschen auf dem Weg zu einer Verantwortung sind, die wir noch wenig eingeübt haben.“ Er rief auf zu einer Selbstbefragung Deutschlands, ob es denn wirklich seinem Gewicht entsprechend agiere. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellt sich diese Fragen. Bei seinem Amtsantritt sagte er, dass Deutschland ein bisschen zu groß und wirtschaftlich zu stark sei, als dass es Außenpolitik von der Seitenlinie kommentieren könne. Er unterzieht daher die gesamte deutsche Außenpolitik derzeit einem großen Review-Prozess, der sich hauptsächlich auch dem Spannungsfeld zwischen Erwartungen von Außen und den Befürchtungen von Innen widmen soll. Denn das Ausland sieht Deutschland klar in einer weltpolitisch verantwortungsvolleren Rolle, während die deutsche Öffentlichkeit sich lieber weiterhin heraushalten möchte. Interessant ist dabei die Vorgehensweise für eine neue Positionierung der Außenpolitik. Steinmeier lädt ein zu einem offenen Prozess der kritischen Befragung. Es gibt laufend aktualisierte Newsletter, Meinungsforen, Essay-Wettbewerbe für Studierende und themenbezogene Dialog-Veranstaltungen. Künstler, Kulturakteure und Intellektuelle sollen bei der Analyse und Bewertung einbezogen werden. Es ist der Versuch, ein Bewusstsein zu schaffen, die Komplexität der internationalen Beziehungen nicht von vorn herein auf militärische und sicherheitspolitische Aspekte zu verengen, sondern die Begegnung, das Gespräch und den Dialog als Ansatz einzubeziehen. Und auch zu vermitteln, internationale Beziehungen sind nicht nur Angelegenheit einiger weniger Experten sondern geht uns alle an. Wir erleben derzeit hautnah die Auswirkungen von Dialog und Verantwortung in der Ukrainefrage zwischen USA, Russland und Europäischer Union. Während sich einerseits die Eskalationsrhetorik immer höher schraubt, versucht die deutsche Politik die Tür zum Dialog nicht ganz zuzuschlagen, nicht immer mit dem entsprechenden Beifall der NATO-Verbündeten.
Der Dialogbegriff ist für uns als Goethe-Institut zentral. Mag sein, dass damit der Erfolg nicht garantiert ist, aber ohne den Dialog geht es auf keinen Fall. Er ermöglicht die Entwicklung von Alternativen, statt der Fixierung von Konflikten, er ermöglicht Prozesse statt Stillstand, er macht genügend selbstkritisch durch die Kenntnis des Anderen. Auswärtige Kulturpolitik ist weder geeignet für den Wettbewerb der Systeme noch ein Instrument im Dienst der Hegemonie. Für uns bildet der Dialog die Basis für eine Lerngemeinschaft. Ralf Dahrendorf hat als Staatssekretär im Auswärtigen Amt in den 70er Jahren den entscheidenden Satz geprägt: „Was wir geben ist nur so viel wert wie unsere Bereitschaft zu nehmen.“
Wir begleiten deshalb eine Neuausrichtung der Außenpolitik, die dem Dialog eine reelle Chance gibt und darin einen Verantwortungsbereich sieht, mit eigenverantwortlicher Programmarbeit. Nicht umsonst nennen wir unsere Goethe-Institute in der Welt Frei- und Dialogräume. Sie müssen offen sein für Begegnungen, sie müssen Chancen bieten für Austausch und sie dürfen sich nicht durch eine gängelnde Zensur einschüchtern lassen.
Ich bin in diesem Zusammenhang dankbar, dass wir in der Vortragsreihe „Der Dialog“ Grundlagen für einen für uns so zentralen Begriff legen, um noch glaubwürdiger und wirkungsvoller arbeiten zu können Denn wie übernimmt man Verantwortung? Indem man jemandem antwortet. So ist die Übernahme echter Verantwortung für einen anderen anders als dialogisch nicht möglich. Hier möchte ich Martin Buber zitieren, den bedeutenden jüdischen Ethiker und Dialogiker: „Echte Verantwortung gibt es nur, wo es wirkliches Antworten gibt.“
Als freies Anerkennungsverhältnis schafft der Dialog eine dauerhafte Bindung der Dialogisierenden aneinander, eine gegenseitige Verpflichtung durch die Übernahme von Verantwortung füreinander. Diese Verantwortung verändert beide Partner. Im Gegensatz zur „Intervention“, dem „Dazwischengehen“ also, das immer paternalistische, imperialistische oder militaristische Züge aufweist und von ungewissem Ausgang und erwiesen geringer Nachhaltigkeit ist, kann die Übernahme von Verantwortung im Dialog eine anhaltende von Vertrauen und Reziprozität geprägte Verbindung herstellen. Für eine solche Entwicklung muss aber auch bei den Partnern eine Bereitschaft gegeben sein, sich in der Begegnung zu artikulieren und mitzuteilen und letztlich auch ein Wissen voneinander zu haben oder sich darum zu bemühen.
Es gibt derzeit genügend Beispiele, die uns die Möglichkeiten und die Grenzen des Dialogs in der Außenpolitik aufzeigen. Im Maghreb und im Nahen Osten hat das Goethe-Institut beim Aufstand gegen die autokratischen Herrscher eine wichtige Rolle gespielt. Ich erinnere nur an die Tahrir-Lounge in Kairo – eingerichtet vom Institut -, in der sich junge Intellektuelle trafen und ihre Aktionen besprachen. Aber mit dem Dialog war die Zukunft noch nicht gewonnen und die Radikalisierung nicht gebannt. Aus einer Befreiungsbewegung ist wieder eine neue Gewaltspirale entstanden. Oder der Irak mit dem Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten und der Terrorgruppe ISIS, die nur „islamische Werte“ durchsetzen will, bestehende territoriale Grenzen negiert und so versucht, einen Kulturdialog unmöglich zu machen. Längst hat sich in den traditionellen Gesellschaften eine Bruchlinie zwischen Tradition und eigener Moderne gebildet. Fundamentalisten versuchen diesen Verwerfungen mit einer fanatischen Einseitigkeit beizukommen oder auszuweichen, wobei sie sich wiederum in ihren Mitteln modernster Technik bedienen.
IV. Das Goethe-Institut im kulturellen Dialog
Das Goethe-Institut führt den kulturellen Dialog nicht nur zwischenstaatlich sondern auf drei Ebenen. Zum einen in Deutschland selbst. Für uns ist Integration in Deutschland ein Thema des Dialogs. Damit meine ich nicht nur die Sprachvermittlung als Schlüssel zur Integration sondern auch die Fähigkeit, die Erfahrung von Fremdheit zu verarbeiten und in Verhaltensformen zu übersetzen. Das gilt in Richtung der Deutschen und in Richtung der Migranten. So haben wir in den letzten Jahren bewusst Programme für Imame entwickelt, die deren Position in den Gemeinden im Sinne von Vermittlern zwischen den eigenen kulturellen Vorstellungen und den deutschen Denkweisen und Strukturen übersetzt und verständig macht. Zur Zeit läuft eine Initiative, muslimische Vertreter so fortzubilden, dass sie kommunale Verantwortung übernehmen können in Kindertagesstätten, Vereinen und Schulen und so zum Bindeglied zwischen den Gruppen werden. Es entsteht durch diese Interaktion ein „Dialog der Kulturen“. Und er funktioniert deshalb, weil er einen pragmatischen Ansatz zur gelebten Nachbarschaft darstellt. Es gibt also nicht nur die kosmopolitische Dimension, sondern die Nachbarschaft – Tür an Tür. Dort beginnt der Dialog.Die zweite Ebene betrifft Europa. In einer Situation, in der das traditionell auf Ökonomie und wirtschaftlichen Transfer basierende Verständnis des zusammenwachsenden Europa in Gefahr scheint, wird die Relevanz des kulturellen Projekts Europa und seiner Dialogfähigkeit besonders augenfällig. Das gegenseitige Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Wertevorstellungen der europäischen Nachbarn, aber eben auch mit den zugewanderten Nachbarn, sind unerlässlich für die weitere Entwicklung der europäischen Integration. Für Deutschland als Mittelland ist dieser Prozess ein prägender Faktor. Aber auch dieser Prozess gelingt nicht durch Prinzipien sondern durch praktische Handlungen. Deshalb stärken wir die Mobilität von Autoren und Künstlern, fördern die Übersetzung der Literatur, investieren in Film und Medien, setzen auf Mehrsprachigkeit als Kultur- und Integrationsprojekt, engagieren uns für Fragen der Umwelt und des Klimaschutzes, arbeiten zusammen mit Bürgerinitiativen und zivilgesellschaftlichen Akteuren uns beteiligen uns an der Stärkung der kulturellen Infrastruktur. Es geht um die Dialogfähigkeit der Kultur als prägende Kraft. Kultur ist kein privater Spielplatz für Künstler und Intellektuelle, sie ist auch nicht der Grundstoff für die Kommerzialisierung, sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft, um offen zu sein und Neues zu denken. Und sie wird so zum Teil und Mittel europäischer Prozesse. Für Europa lässt sich daraus eine Verantwortung für einen gemeinsamen Kulturraum entwickeln, aber nur dann, wenn sich diese kulturelle Vielfalt mitteilt, zugänglich ist und wechselseitig wirkt.
Aus dieser Nahkompetenz gewinnt man die nötige Fernkompetenz für die dritte Ebene. Aber eben nicht im Sinne eines eurozentrischen Standpunktes sondern im Sinn eines Verständigungs- und Regelwerkes für einen offenen Dialog. Eine „Selbstgenügsamkeit“ der europäischen Kultur würde zu einer „Verdrängung“ des Neuen führen und Europa in das Aus. Sie würde so die Chancen neuer Impulse ungenutzt lassen und die notwendige Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung in der Welt sträflich außer Acht lassen.
Interkulturelle Dialogführung und Übernahme von Verantwortung sind heute wichtiger denn je. Die Globalisierung eröffnet neue Freiheits- und Entwicklungsräume, schafft aber auch neue Abhängigkeiten und unübersichtliche gesellschaftliche Auf- und Umbrüche Durch die starke Fragmentierung der Welt, die Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen und die weltweiten Migrationsströme sind die Prozesse schwieriger geworden. Das Gewaltpotential hat vielerorts zugenommen, politische Neuordnungen führen zu Instabilität und Korruption, zu Fundamentalismus und gegenseitiger Abschottung.
Untersuchungen zeigen, dass mit dem Grad der kulturellen, besonders der sprachlichen Fragmentierung von Gesellschaften die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von innerstaatlichen kulturellen Konflikten sowie die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten zwischenstaatlicher Konflikte steigen. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass es keinen automatischen Auslöser für kulturelle Konflikte gibt. Es geht nicht mehr in erster Linie um territoriale Hoheitsansprüche oder Zugang zu Rohstoffen, es sind vielmehr zivilisatorische Attribute, die wirken: Ethnische Spannungen, religiöse, kulturelle oder historische Ursachen, die auf Traditionen, Kollektiverfahrungen oder anderen diffusen Kriterien aufbauen. Das gibt den Konflikten eine irrationale Note und lädt sie mit Emotionen auf.
Durch Konflikte, in denen Krisen und Gewalt beendet werden konnten, wird deutlich, dass es Lernprozesse zwischen den Akteuren und Gruppen gibt, Konflikte zu beenden und miteinander zu leben. Denn menschliches Zusammenleben ist in erster Linie eine kulturelle Leistung. In diesem komplexen Umfeld mit stark verkürzten Reaktionszeiten sind Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Verständnis, Urteilsvermögen und konkrete lokale Wahrnehmung besonders gefragt. Das erfordert Präsenz, Aufmerksamkeit und interkulturelle Kompetenz. Die Goethe-Institute sind durch ihre lokale Nähe, durch ihre langfristig angelegte und partizipatorische Arbeit in besonderer Weise geeignet für einengleichwertigen Dialog.
Wir initiieren in unseren 159 Instituten in aller Welt Begegnungen zwischen Menschen und Institutionen. Sie treten in einen Dialog ein, sie öffnen sich, üben sich in gegenseitiger Verständigung und betrachten innerhalb dieses Prozesses auch sich selbst und ihre kulturell und sozial tradierten Merkmale und Praktiken neu. Das Gelingen dieser Projekte – also im Entstehen von Kunstausstellungen, Theater- Film- und Tanzproduktionen, Konzerten, internationalem Austausch, inspiriert nicht nur den offenen Dialog sondern erlaubt auch durch die partnerschaftlichen Denk- und Handlungsweisen eine positive Bindung untereinander.
V. Goethe-Institute im zwischenstaatlichen Austausch
Es geht uns nicht nur um den Dialog deutscher und ausländischer Kultur. Das Goethe-Institut befördert mit seinen regional angelegten Strukturen auch den Austausch der Gastländer untereinander. Das wird ganz besonders spannend, wenn man sich in postkolonialen Regionen oder Regionen mit territorialer Neuordnung befindet, in denen die Diskurse nationaler und kultureller Identitätsfindung noch sehr aktuell sind. In Subsahara-Afrika etwa ist in den vergangenen fünf Jahren ein eindrucksvolles, panafrikanisches Netzwerk entstanden, bei dem sich zeitgenössische afrikanische Positionen – häufig zum ersten Mal – begegnen. Das Goethe-Institut entwickelte dafür Plattformen für Künstler und Kulturakteure, identifizierte zunächst Künstler in einem Land, dann länderübergreifend, organisierte Workshops und Festivals. Es war das erste Mal, dass ein kultureller Austausch regional stattfand und das Potential von Talenten im gegenseitigen Austausch sichtbar wurde. Heute hat dieses Dialogergebnis den Anschluss an internationale Projekte gefunden. Ähnliche grenzüberschreitende Projekte befördern in Südostasien oder in Mittelamerika den Dialog benachbarter Länder untereinander. In Südosteuropa hat das Goethe-Institut ein Literaturprojekt initiiert, das 23 Autoren aus 11 Ländern in einen Dialog eintreten ließ. Sie schrieben Texte, die sich auf das Wagnis der Erinnerung einließen. Und sie präsentierten sie gemeinsam in den verschiedenen Balkanländern, mit dem Ziel, die Unsinnigkeit der gegenseitigen Abschottung zu dokumentieren. Obwohl es politisch ein Sakrileg darstellte ist es zivilgesellschaftlich gelungen.Einen ganz besonderen künstlerischen und interkulturellen Dialog ermöglichte vor einigen Jahren das Amazonas-Musiktheaterprojekt: Medienkünstler aus Europa und Brasilien erarbeiteten gemeinsam mit den Yanomami aus dem Amazonas-Gebiet eine zeitgenössische Musiktheaterproduktion. Die Künstler reisten in das Dorf der Yanomami und begegneten ihren gegenseitigen kulturellen Praktiken. Die spirituelle Dimension im Schamanismus der Yanomami wurde Inspiration für die virtuelle Dimension der künstlerischen Arbeiten.
Die Goethe-Institute selbst werden in aller Welt zu Räumen, die einen Dialog ohne Hierarchisierung ermöglichen. Ganz besonders symbolträchtig ist hier übrigens das Goethe-Institut Nikosia in Zypern. Es liegt auf der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südzypern, bewacht von UNO-Soldaten. Man kann das Institut von Norden und Süden ungehindert betreten und die Sprach- und Kulturprogramme gemeinsam in Anspruch nehmen, aber nicht in den jeweils anderen Landesteil gehen. Unsere Hoffnung ist, dass der Dialog hilft, diese unsinnige Grenze zu überwinden.
Eine besondere Programmform stellen die Deutschlandjahre dar. Hier wird unter der Projektleitung des Goethe-Instituts und dem Zusammenschluss von Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft ein möglichst komplettes Deutschlandbild mit vielfältigen Angeboten vermittelt. Man könnte meinen, das ist ein reiner Export. Wir beladen ein Raumschiff, machen die Klappen zu, fliegen in das Gastland, machen die Klappen wieder auf, zeigen unsere Schätze, schließen die Klappen wieder und fliegen wieder weg. Aufgabe erledigt. Mitnichten, auch hier hat die Dialogform eine prägende Funktion. In China und Indien haben wir auf den öffentlichen Plätzen Dialogformen geschaffen, die Begegnungen und Gespräche ermöglichten, wir haben gemeinsame Projekte initiiert, die etwas Neues entstehen ließen. In dem jetzt in Brasilien zu Ende gegangenen Deutschlandjahr sind wir mit einem riesigen LKW, umfunktioniert zu einer fahrbaren Bühne, durch 20 Städte – bis weit in das Hinterland – gefahren und haben gemeinsam mit Schulen und Kulturinstitutionen und einer neugierigen Öffentlichkeit Kulturprogramme entwickelt, Foren organisiert, zu Präsentationsformen ermuntert und einfach nur palavert. Dialog kann auch unterhaltsam sein. Es waren jedenfalls wunderbare Erfahrungen.