Rede von Klaus-Dieter Lehmann zur Verleihung des Kulturgroschen 2008
24. September 2008
Mir ist heute der Kulturgroschen verliehen worden, eine Auszeichnung, die von allen Kulturverbänden getragen wird. Allein die Bezeichnung ist schon etwas Besonderes: Kulturgroschen. Aber verbindet man mit Groschen nicht eher eine kleine Münze, 10 Pfennig oder 10 cent. Wird in der Kultur etwa mit kleiner Münze gezahlt? Hätte man nicht lieber den Sterntaler nehmen sollen? Groß, alles überstrahlend? Ich glaube, es ist schon ganz klug gewählt, den Groschen als Sinnbild zu nehmen. Schließlich ist er ein Geldstück, das viele Jahrhunderte, seit dem 13. Jahrhundert, überdauert hat, auch wenn sich die Währungen selbst immer geändert haben und er ursprünglich eine massive Silbermünze war. Er ist zu einem Symbol geworden.
Und die kleine Münze in der Kultur? Kultur muss immer kräftig um ihre Finanzierung kämpfen, nicht selten steht sie ganz oben auf der Streichliste. Es sind die Mühen der Ebenen, an deren Ende dann ein sichtbares, nachhaltiges Ergebnis steht.
Wer den Groschen nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Kultur ist ein Prozess, eine Entwicklung, zu dem viele Einzelschritte gehören, zu dem viele Einzelpersonen gehören, und immer wieder Initiativen. Und dann – irgendwann – heißt es dann.
Der Groschen ist gefallen.
Sie sehen, es gibt gute Gründe, den Kulturpreis Kulturgroschen zu nennen.
Offen gesagt, so systematisch habe ich über diesen Umstand auch wieder nicht nachgedacht.
Was dagegen bestimmend war, ist meine Freude, diesen Preis zu erhalten. Ich bin einfach mit Passion das, was ich bin. Und dafür noch geehrt zu werden, ist natürlich besonders schön.
Häufig werde ich gefragt, wie ein Mathematiker dazu kommt, sich für Kunst und Kultur nicht nur zu begeistern, sondern es auch noch zu seiner Profession zu machen. Sicher haben neben der persönlichen Veranlagung auch die Lebensumstände eine Rolle gespielt. Ich bin nach Kriegsende in einer kleinen Stadt in Oberfranken aufgewachsen. Meine zutiefst verwurzelte Neugier auf die Welt konnte nur gestillt werden durch Bücher, Bücher, Bücher. Sie erschlossen mir die ganze Welt. Als ich dann mit 14 Jahren in die Großstadt kam – es war Düsseldorf – waren die Bibliotheken mein Ankerplatz, von dem ich dann die Entdeckungen in die reale Welt der Kultur machte, in die Theater, die Konzerte, die Museen. Es war ein einziges Eldorado. Aber als Brotberuf schien mir das nicht tragfähig genug, so wählte ich die Naturwissenschaften. Die Kultur sollte meine persönliche Leidenschaft bleiben.
Dann kam die bestimmende Entwicklung der Computer in allen Lebensbereichen. Das war für mich die Chance, beides zu verbinden, die Leidenschaft zur Literatur und die neuen Werkzeuge, Computer und Netz, die ich durch meine akademische Ausbildung beherrschte. Es schloss sich eine zweite Ausbildung in Bibliothekswissenschaft an und es begann eine für mich ungemein gestalterische Zeit, erst im Bereich der Bibliotheken, dann im Bereich von Museen, Bibliotheken und Archiven, schließlich als Präsident des Goethe-Instituts.
Häufig werde ich dann gefragt, als Mathematiker sei ich ja prädestiniert für strategisches Denken, analytisches Vorgehen und weit gesteckte Ziele, ob mir deshalb diese Ausbildung besonders nützlich gewesen sei. Ich muss zugeben, dass mir dieses methodische Rüstzeug sicher geholfen hat. Nach meinen langen Berufsjahren in der Kultur und der Kulturpolitik würde ich aber eine andere Akzentuierung vornehmen.
Sicher benötigt man eine klare Ausrichtung auf ein erkennbares Ziel, vielleicht auch eine Vision. Aber wir alle wissen, Ziele sind leichter zu vermitteln als die Wege dahin. Aber genau auf diese Wege kommt es an. Sie müssen begehbar gemacht werden, sie müssen überschaubare und erfahrbare Abschnitte haben. Das ist nicht zu erreichen mit einer starren Ausrichtung am entfernten Ziel. Ohne die Fähigkeit zur Improvisation und zur Intuition, ohne die Fähigkeit zur schnellen Reaktion und ohne motivierte und motivierende Menschen lassen sich geeignete Konstellationen weder erkennen noch nutzen. Zeitfenster sind immer nur eine gewisse Zeit geöffnet. Und bei unseren komplexen Strukturen, in denen sich die Kultur bewegt, geht es ohne diese Zeitfenster nicht. Zugegeben, ich war immer verantwortlich für große Kultureinrichtungen: Nationalbibliothek, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Goethe-Institute. Aber letztlich gilt diese Gemengelage auch für kleinere Einheiten. Das Agieren in Zeitfenstern erfordert wiederum bestimmte Eigenschaften. Ich habe für mich immer meine persönliche Unabhängigkeit als hohen Wert angesehen. Daraus war eine Glaubwürdigkeit nach innen und nach außen zu gewinnen. Ich war nur der Sache verpflichtet. Und das ist auch immer akzeptiert worden, von der Politik, von der Öffentlichkeit, von den Medien und von den Fachkollegen. Der Sache verpflichtet sein, reduziert sich nicht auf die Sicht des Technokraten. Es gehört eine eigene inhaltliche Überzeugung dazu und eine offensive kulturpolitische Haltung. Zensurfreiheit, unbeeinflusstes Kuratieren von Ausstellungen, Widerstand gegen Trivialisierung, Einbeziehen aller Sparten und - vor allem - alle Anstrengung für Bildung. Kultur braucht Bildung und Wissen und das so früh wie möglich.
Ohne die Kompetenz und die Kreativität der Kulturschaffenden, ohne ihren Idealismus und ihre Begeisterungsfähigkeit, ohne die Widerstandskraft gegenüber allen Widrigkeiten, ist alles nichts. Das ist eigentlich das schönste Erlebnis, dem man in diesem Berufsfeld begegnet – die Menschen und ihr geistiges Kapital. Das ist ein beeindruckender gesellschaftlicher Wert, nicht zur Selbstbespiegelung sondern um sich der Welt zu öffnen.
Zu dem Erleben im Umgang mit Menschen in der Kultur gehörten für mich auch immer die den Kulturinstituten eng verbundenen Freundes- und Förderkreise. Sie sind eine unverzichtbare Komponente, aktiv, anregend, im besten Sinn zivilgesellschaftlich engagiert. Eine kulturell interessierte Gesellschaft sollte nicht alles dem Staat überlassen, sondern selbst tätig werden.
Unser Zusammenleben ist in erster Linie eine kulturelle Leistung. Daran aktiv mitwirken zu können, ist etwas Besonderes. Es bereichert uns alle.
Vielen Dank nochmals für diese wunderbare Auszeichnung. Sie wird einen herausgehobenen Platz erhalten. Lassen Sie mich noch mit zwei ungewöhnlichen Auszeichnungen meine ausgeprägte Neigung für besondere Symbole illustrieren.
Als das Richtfest für das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel 2007 stattfand, warf der Polier das Schnapsglas nach dem Richtspruch und geltendem Brauch auf den Boden. Einer der Gäste sicherte einen Glassplitter, rahmte ihn, und machte ihn mir zum Geschenk. Das hat mich sehr gerührt. Genau so wie ein Bohrkern des Neubaus der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main, den mir die Belegschaft widmete.
Ich habe eine sehr emotionale Bindung an die Menschen und die Ereignisse, die meinen Lebensweg prägten und noch immer prägen. Der Kulturgroschen gehört jetzt auch dazu.
Ich danke Ihnen.