Rede von Klaus-Dieter Lehmann zur Eröffnung der Konferenz „Freiheit im Blick“
18. März 2009
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Sehr geehrter Herr Prawda,
Sehr gehrte Frau Süssmuth,
Sehr geehrter Herr Michnik,
Exzellenzen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
diese Konferenz zu eröffnen ist für mich als Präsident des Goethe-Instituts eine besondere Freude. Sie macht deutlich, dass der Umbruch, der vor 20 Jahren so noch gar nicht denkbar schien, eben nicht nur mit den Kategorien Politik oder Wirtschaft zu beschreiben ist und nicht nur mit institutionellem Veränderungsansatz, sondern vor allem als ein kulturelles Phänomen zu begreifen ist und als ein Phänomen, das von den Menschen ausging. Unser Zusammenleben ist zunächst eine kulturelle Leistung. Kraftvoller konnte dieser Aspekt gar nicht zur Geltung kommen. Diesem Aspekt in der Konferenz einen gebührenden Platz einzuräumen, scheint mir wichtig und notwendig zu sein, denn teilweise decken die ökonomischen Sichtweisen die ursprünglichen Motive und Perspektiven allzu schnell zu und verschieben damit die Gewichte.
Ich bin dankbar, dass sich die Partner Polnisches Institut Berlin, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde und das Goethe-Institut mit seinen neun Instituten der Region Mittelosteuropa unter Federführung der Prager Kollegen zu diesem Projekt zusammengefunden haben. Die Art der Zusammenarbeit war vorbildlich, ja exemplarisch für ein europäisches Projekt. Von allen Seiten habe ich nur begeisterte Kommentare gehört über die ausgezeichnete Kooperation. Deshalb gleich zu Beginn großer Dank und große Anerkennung allen, die diese Idee zur Realität haben werden lassen.
Das Goethe-Institut, die vormals westdeutsche Mittlerorganisation der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, hat unmittelbar nach der politischen Öffnung und mitten in den gesellschaftlichen Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa Institute eröffnet. In den 1990er Jahren in Warschau, Prag, Krakau, Riga, Bratislava, das Institut in Budapest konnte bereits 1988 eröffnet werden. Übrigens konnten wir unsere Institute in Weimar und Dresden auch erst Mitte der 1990er Jahre eröffnen (beide 1996). Unser Berliner Büro konnte dann (1999) in den historisch geprägten und sehr lebendigen Berliner Stadtteil Mitte umziehen. Vorher war das Institut gegenüber dem „Checkpoint Charlie“ beheimatet, dem legendären Grenzübergang vom Amerikanischen Sektor nach Ostberlin.
Aus unserer jahrelangen Zusammenarbeit im partnerschaftlichen Dialog mit Künstlern, Schriftstellern, Kuratoren und Intellektuellen in den Gastländern Mittel- und Osteuropas erwächst die Kompetenz, die Konferenz mit Partnern und Organisationen in Deutschland und in den östlichen Nachbarstaaten vorzubereiten und den „Blick“ der Nachbarländer in Berlin zu thematisieren. So entstand die Idee, zwanzig Jahre nach 1989 eine Bestandsaufnahme der geistig-kulturellen Veränderungen und der Situation in unseren Nachbarländern – allesamt inzwischen Mitglieder der Europäischen Union – und Deutschland vorzunehmen.
In unmittelbarer Nähe zu unserem Tagungsort, im Konzerthaus, dirigierte Leonard Bernstein am 25. Dezember 1989 Beethovens Neunte Symphonie. Im Westen, in der Philharmonie, zwei Tage zuvor am 23. Dezember. Den Text Friedrich Schillers „Ode an die Freude“ hatte er nach den überwältigenden Bildern der letzten Tage in „Ode an die Freiheit“ geändert – welch unmittelbare Parallelität zu unserem Tagungsthema „Freiheit im Blick“. Erst die „Freiheit“ nach der Überwindung der Ost-Westteilung, ermöglichte die Grundfreiheiten für ganz Europa. Diese nicht aus dem „Blick“ zu verlieren und deren Wert zu verteidigen, bleibt tägliche Herausforderung.
Als jemand der in Breslau geboren und in Westdeutschland aufgewachsen ist, hatte ich zweimal die Gelegenheit westdeutsche und ostdeutsche Einrichtungen „zu vereinen“ – wie wir das im deutschen bezeichnen. Die Deutsche Nationalbibliothek mit ihren Standorten in Frankfurt am Main und Leipzig, deren Generaldirektor ich war, und die Staatlichen Museen und die Staatsbibliotheken in Ost- und Westberlin, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mein Interesse für Ost-West-Themen, sei es in Deutschland oder im europäischen Rahmen, ist ständig gewachsen. Mein Polenbild beispielsweise war zunächst sehr geprägt durch die polnische Literatur, die der kongeniale Übersetzer Carl Dedecius uns nahe brachte. Das war kein schlechter Zugang. Mit seiner Zustimmung konnte ich sein gesamtes Archiv in der Viadrina in Frankfurt/Oder und im Collegium Polonicum unterbringen, eine Fundgrube für die Studenten aus Polen und Deutschland. Es wird Sie deshalb nicht wundern, dass ich gerade der Übersetzungsförderung einen großen Wert beimesse. Aber für ein Mittelland wie Deutschland ist natürlich Nachbarschaft ein großes Thema. Das Goethe-Institut wird in 2010 eine Nachbarschaftsinitiative mit seinen europäischen Partnern starten.
Berlin, die Stadt der staatlichen Teilung Deutschlands, wurde am 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer zum Symbol der „Wende“. Aber die Entwicklungen in der DDR sind nicht von den Entwicklungen in den Staaten des ehemaligen Einflussbereiches der Sowjetunion zu trennen.
Der Wahl Michael Gorbatschows als Parteichef der KPDSU im März 1985, folgte die Politik von Glasnost und Perestroika, die Hoffnungen im gesamten Herrschaftsbereich der Sowjetunion aufleben ließ.
Das Verbot der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik“ in der DDR signalisierte eine offene Distanzierung der DDR-Staatsführung von der Reformpolitik Gorbatschows.
Der Ermordung tausender friedlicher Demonstranten auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking, beim Tian'anmen-Massaker, folgte eine Welle staatlicher Repressionen und eine großangelegte Verhaftungswelle. (03./04.06.1989) Das „Neue Deutschland“ bezeichnete die Niederschlagung als Antwort auf „den konterrevolutionären Aufstand einer extremistischen Minderheit“.
Tausende DDR-Bürger flüchteten im August 1989 in bundesdeutsche Vertretungen in Ostberlin, Budapest und Prag – wohl besonders die Bilder aus Prag haben sich im kollektiven Gedächtnis eingeprägt.
Mit dem Beschluss der ungarischen Regierung, tausende DDR-Bürger in den Westen ausreisen zu lassen beginnt eine Massenflucht über die ungarisch-österreichische Grenze, die am 8. April 1989 vom ungarischen Außenminister Gyula Horn, gemeinsam mit seinem österreichischen Amtskollegen Alois Mock, bei Sopron geöffnet wurde.
Nach Massendemonstrationen in Leipzig, Ostberlin und anderen Zentren der DDR, die friedlich verlaufen, sieht sich die SED Führung gezwungen am 9. November die Mauer zu öffnen. Die folgenden Ereignisse entwickeln sich auch noch aus heutiger Perspektive rasend schnell. Auf Betreiben der ersten demokratisch gewählten Volkskammer (18.03.1990) treten die fünf neu geschaffenen Bundesländer und Ostberlin am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik bei und werden gleichzeitig Mitglied der Europäischen Union.
Dem Mauerfall gingen die Demokratisierungsbewegungen in Mittel- und Osteuropa voraus. Mit der Wiederherstellung der Souveränität der mittel- und osteuropäischen Staaten veränderte sich die politische und kulturelle Landschaft Europas. Die Vielfalt der Kulturen und Sprachen in Europa, mit aktuell 27 Mitgliedstaaten, ist der größte Reichtum der Europäischen Union – diesen gilt es als Wert für Europa zu betonen. Trotz aller Verschiedenheit der gesellschaftlichen Systeme vor 1989 vermochte es die lange Zeit der Teilung nicht, den gemeinsamen kulturellen Kern zu zerstören. Die Zeit der erzwungenen Tabuisierung endete.
Aber auch die Reformprozesse in Polen, Ungarn und der früheren tschechoslowakischen Republik hatten eine Vorgeschichte, eine Geschichte die die Erinnerung im ehemaligen Ostblock prägte.
Die Volksaufstände in der DDR 1953 und Ungarn 1956. Der Prager Frühling von 1968, die Charta 77 der CSSR-Bürgerrechtler und die Gewerkschaftsbewegung Solidarnoćś in Polen.
Wir sind hier um von ihnen zu hören, von ihrer Bewertung der Ereignisse in Mittel- und Osteuropa, aber nicht nur als historischer Blick und vergangene Erfahrung sondern auch um vom Nachdenken zum Vordenken zu kommen. Das ist Selbstverständnis unserer Arbeit, die Gastlandperspektive nach Deutschland zu bringen und gemeinschaftlich einen offenen Diskurs zu pflegen.
Ich möchte noch einmal meinen Dank vom Anfang wiederholen. Ich wünsche uns, dass die Erwartungen, die an diese Konferenz geknüpft werden, sich erfüllen und über den Tag hinaus wirken. Es geht uns alle an!