„Kultur wird immer eigenständig sein“

Inder pauken Deutsch. Afrikanische Einflüsse erobern europäische Bühnen. Und deutsche Komponisten bringen eine „Amazonas Oper“ nach Brasilien. Globalisierung kann so spannend sein. Als eines der größten Kultur-Netzwerke der Welt ist das Goethe-Institut mit 136 Instituten und zehn Verbindungsbüros in 91 Ländern vertreten und trägt deutsche Kultur in die Welt. Wir sprachen mit Prof. Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten des Goethe-Instituts, über das Verhältnis von Kultur und Globalisierung.
Text: Tanja Breukelchen. Dieses Interview erscheint im März 2010 in „change - Das Magazin der Bertelsmann Stiftung“, Ausgabe 1/2010. Das Magazin können Sie kostenlos bestellen.

Tanja Breukelchen: Herr Lehmann, was genau machen Ihre Mitarbeiter vor Ort?

Klaus Dieter Lehmann: Sie fördern die deutsche Sprache im Ausland, vermitteln die deutsche Kultur und setzen sich für internationale Zusammenarbeit ein. Mit diesen drei Hauptthemen machen wir das Deutschlandbild in der Welt verfügbar. Die reale Arbeit ist aber weit weniger abstrakt, denn sie stellt die Menschen in den Mittelpunkt - ihre Erwartungen, ihre Probleme, ihre Potenziale. Deshalb müssen Goethe-Mitarbeiter über interkulturelle und menschliche Kompetenz verfügen. Neben Deutschkursen gibt es Seminare, Diskussionsreihen und Kulturdialoge.

 

Breukelchen: Wie hat die Globalisierung das Angebot verändert?

Lehmann: Indem wir uns selbst verändert haben. Die entscheidenden Impulse kommen jetzt aus der Peripherie und nicht aus der Zentrale, denn wir leben ja von der Kulturbegegnung, nicht vom Kulturexport.

Breukelchen: Was ist der Unterschied?

Lehmann: Kulturexporteure sind wie Raumschiffe. Sie fliegen in ein Land, öffnen die Klappen, zeigen die Kultur, machen die Klappen wieder zu und fliegen wieder weg. Wir dagegen kennen die Verhältnisse vor Ort, nehmen Impulse auf und sind zugleich in der Lage, die Inspiration der deutschen Kulturszene einzubringen. Und wir arbeiten langfristig. Nur so kann Vertrauen gewonnen werden. Das Netz, das dadurch entsteht, hat eine eigene Qualität.

Breukelchen: Hat sich das Deutschlandbild verändert?

Lehmann: Spätestens seit der Fußball-WM 2006 im eigenen Land, als alle das entspannte Volk der Deutschen erlebten, wurde das Bild positiv aufgeladen. Zu beiden Entwicklungen - dem neuen Selbstbewusstsein und dem positiven Blick der Welt auf uns - passt ein neues Programm, das vom Auswärtigen Amt initiiert wurde: die PASCH-Initiative. Die Goethe-Institute bauen nicht deutsche Auslandsschulen auf, sondern sind innerhalb der Länder im besten Sinne parasitär. Wir gehen in die Schulen, bilden Lehrer aus und bauen eine deutschsprachige Abteilung auf, die Deutsch bis zur Hochschulreife vermittelt. Dazu wird durch Koordinatoren, die wir in die Länder schicken, entschieden, welche Schule diese Aufgabe qualitativ leisten kann. Lehrer und die besten Schüler kommen im Austausch nach Deutschland. Bislang eine einmalige Erfolgsgeschichte. Deutsch boomt!

Breukelchen: In welchen Ländern besonders?

Lehmann: Eigentlich weltweit, aber um ein Land besonders hervorzuheben, dann Indien! Dort ist die Begeisterung für die deutsche Sprache unermesslich. Die Goethe-Institute heißen dort „Max Mueller Bhavan“.

Breukelchen: Bitte? Wer ist Max Müller?

Lehmann: (lacht) Das weiß bei uns auch niemand so genau. Er war ein Indologe zu der Zeit, als die Briten ihre Kolonialherrschaft auf die härteste Art ausspielten. Er hat die indische Kultur sichtbar gemacht und schriftlich fixiert. Max Müller ist in Indien eine Ikone. Intellektuelle dort haben entweder selbst oder in der Verwandtschaft jemanden, der durch einen „Max Mueller Bhavan“ gegangen ist, so dass das Deutsche mit einem hohen Sympathiefaktor belegt ist. Der Zugang zu Deutschland erfolgt in diesem Land bevorzugt über die Kultur.

Breukelchen: Warum lernen Menschen Deutsch?

Lehmann: In Indien, China und Südamerika haben viele deutsche Firmen ihre Standorte und wollen ihren Angestellten ermöglichen, Deutsch zu lernen. Nicht, weil Deutsch als Sprache für sie ein Werkzeug ist, sondern weil damit eine Unternehmenskultur geprägt wird. Aber es besteht auch wieder mehr Interesse, in Deutschland zu studieren.

Breukelchen: Vor welche Herausforderungen stehen Sie in den Ländern durch die Globalisierung?

Lehmann: Da müssen wir zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern unterscheiden. In Schwellenländern wie China, Indien und anderen asiatischen Staaten ist es wichtig, dass wir eine große Sichtbarkeit und Nachhaltigkeit haben. Dort müssen wir unser Netz für größere Projekte nutzen.

Breukelchen: Was für Projekte könnten das sein?

Lehmann: Es wird zum Beispiel 2011 ein Deutschlandjahr in Indien geben, eine Plattform für Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Die Projektleitung liegt beim Goethe-Institut. Thematisiert werden die Aspekte der Stadträume, denn hier findet bevorzugt die Transformation der Gesellschaft statt - Mobilität, Migration, Energie, Zusammenleben. In Schwellenländern wie Brasilien thematisieren wir die großen Probleme des Umweltschutzes und des Klimawandels. Ein Modell, in dem wieder diese Vernetzung sichtbar wird, ist die „Amazonas-Oper“, in der der brasilianische Regenwald mit den indigenen Stämmen die Hauptrolle spielt. Diese Oper wird von Komponisten und Theaterleuten aus Brasilien, Portugal und Deutschland produziert.

Breukelchen: Was steht dagegen in den Entwicklungsländern im Vordergrund?

Lehmann: Der Hunger nach Bildung. Es ist unglaublich, mit welcher Leidenschaft junge Menschen in afrikanischen und asiatischen Ländern versuchen, ihr Leben zu gestalten. Sie begreifen, dass man sein Leben durch Bildung in die Hand nehmen kann - und plötzlich entsteht ein Prozess, wo vorher Stillstand war, Alternativen, wo vorher Resignation war. Es bildet sich ganz langsam ein neues Bewusstsein, das dann zu einer Herausforderung wird.

Breukelchen: Weil man es plötzlich mit mündigen Bürgern zu tun hat...

Lehmann: ...und sich nicht mehr alles von oben lenken lässt, genau. Entscheidend ist, ob das Selbstbewusstsein der neuen Mittelschicht akzeptiert wird. Zugleich ist es aber auch für den Westen eine Chance, Werte wie individuelle Freiheit oder Gewaltenteilung, die wir selbst erst in einem langen gesellschaftlichen Prozess gewonnen haben, dort wiederzufinden.

Breukelchen: Entstehen dadurch nicht neue Konflikte?

Lehmann: Nehmen wir ein Land wie China... In China gibt es eine Vielzahl von Unruhen, von denen wir gar nichts wissen und die der neuen zivilgesellschaftlichen Entwicklung geschuldet sind. Im Grunde haben die Schwellenländer vom Westen zwei Dinge übernommen: die kapitalistische Denkweise und die naturwissenschaftlich-technischen Methoden, die die Entwicklungsfähigkeit der Industrie bedeuten. Aber dadurch werden zwangsläufig auch gesellschaftliche Prozesse ausgelöst, auf die sie keine oder nur zögerliche Antworten haben. Einseitige Modernisierung ohne gesellschaftliche Veränderungen führen zu Spannungen. Hier sehe ich für die Goethe-Institute eine entscheidende Aufgabe. Ihre Glaubwürdigkeit und ihre Bereitschaft, sich auf ein kritisches und konstruktives Gespräch einzulassen, gute Beispiele zu geben und gemeinsame Projekte zu realisieren - das sind die Schritte in eine selbst verantwortete Zukunft!

Breukelchen: Gibt es denn keine negativen Reaktionen der Regierungen dieser Länder?

Lehmann: Nein, wir provozieren ja nicht. Wichtig ist, dass es Freiräume für die Menschen gibt, wo sie sich treffen und reden können. Das hat in vielen Ländern dazu geführt, dass wir heute Menschen in Regierungen oder in der Wirtschaft sehen, die unser Institut genutzt haben. Wir arbeiten bislang unbehindert in China oder im Nahen Osten. Im Iran wurde das Institut vor längerer Zeit geschlossen. In Nordkorea hatten wir Probleme. Dort durfte unser Lesesaal nur eingeschränkt genutzt werden und unliebsame Presseerzeugnisse wurden entfernt, entgegen der vertraglichen Regelung. Aber nehmen wir doch ein Entwicklungsland wie Angola. Nach 25 Jahren Bürgerkrieg war alle Infrastruktur zerstört. Nicht nur bei Energie und Verkehr. Auch bei der Kultur. Gleichzeitig gibt es aber ein enormes Potenzial an Kreativität: Tanz, Musik, bildende Kunst... Nur: Die Künstler arbeiten ins Leere, weil ihre Kreativität nicht wahrgenommen, erhalten und vermittelt wurde. Also holten wir Theaterleute, Filmemacher oder Journalisten ins Land. Mit Kulturmanagern entwickelten wir neue Strukturen für Kultureinrichtungen.

Breukelchen: Also: Über die Sprache zur Kultur und über die Kultur zu Verständigung und Frieden?

Lehmann: Ja. Das Goethe-Institut geht nicht als Missionar mit einer Heilsbotschaft in die Länder, sondern es möchte ein Beispiel geben, ein Angebot bieten.

Breukelchen: Ist es nicht beschämend zu sehen, wie groß der Bildungshunger in Entwicklungs- und Schwellenländern ist, während die Bildung im eigenen Land vernachlässigt wird?

Lehmann: Ja, denn Kulturpolitik kann im Ausland nur akzeptiert werden, wenn die Kultur auch im eigenen Land einen Stellenwert hat. Leider haben wir, was die Bildung betrifft, in Deutschland unter anderem zwei Probleme: der finanziell kritische Zustand der Kommunen und die Schulpläne. Während wir Deutsch im Ausland als Erfolgsgeschichte erleben, wird der Deutschunterricht an unseren eigenen Gymnasien gekürzt.

Breukelchen: Wir vernachlässigen unsere eigene Sprache?

Lehmann: Ja. Zum Beispiel durch das elitäre Denken von Eltern, die meinen, ihre Kinder gleich im Englischen erziehen zu müssen. Eine Fehlentscheidung, denn die deutsche Sprache ist der Zugang zu unserem Leben, unserer Kultur. Wenn wir den Einwanderern und Migranten die deutsche Sprache als Schlüssel zur Integration darstellen und selber mit unserer Sprache nachlässig umgehen, dann ist das ein denkbar schlechtes Zeugnis.

Breukelchen: Gibt es eine „kulturelle Globalisierung“, die unsere Kultur verändert und gleich macht?

Lehmann: Nein. Kultur ist immer durch Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit charakterisiert. Und letztlich leben wir ja davon, dass die Vielfalt der Kulturen in der Welt existiert, und es nicht so ein Einheitsbrei ist. Diese Eigenständigkeit wird bleiben - und muss bleiben! Sie ist ein Reichtum!

Breukelchen: Das heißt, Kultur bleibt immer regional?

Lehmann: Blicken wir auf die deutschen Bildenden Künstler, die heute gefragt sind: Sie haben sich entweder nach der Nazi-Zeit oder in der DDR mit Dingen auseinandergesetzt, die ihr Leben geprägt haben. Leute wie Kiefer oder Baselitz, die Leipziger Schule, Neo Rauch - sie waren mit einem System konfrontiert, das sie in ihrer Kunst ausgedrückt haben. Kunst entsteht im Kontext und nie in globalisierter Form. Die Aufmerksamkeit, die diese Kunst hat, bekommt natürlich durch die heutige Art der Vermittlung eine verstärkte globale Komponente. Aber die Globalisierung hat keinen Einfluss auf den kreativen Akt.

Breukelchen: Hat die Globalisierung die Kultur eher ärmer oder reicher gemacht?

Lehmann: Durch die Globalisierung ist eine Mobilität der Menschen entstanden, durch die sich nicht nur die Gesellschaften dieser Welt verändern, sondern auch deren kulturelle Ausdrucksfähigkeit. - Und das kann man durchaus als Bereicherung ansehen.