Laudatio auf Klaus Wagenbach, Preisträger des 10. Kurt Wolff Preises
Klaus Wagenbach wird für sein Lebenswerk geehrt. Für verdienstvolle Persönlichkeiten ist das ab einem bestimmten Lebensalter fast unausweichlich. Bei Klaus Wagenbach hat der Begriff Lebenswerk einen ganz eigenen und einzigartigen Bedeutungsinhalt. Er bedeutet weit mehr als die Abgeschlossenheit eines verlegerischen Werkes. Es ist das Leben selbst, das er in direkter Weise mit dem Verlag und seiner Literatur in Übereinstimmung gebracht hat, sein Leben, seine Neugier, seine Verantwortung, seine Antworten. Der Verlag war so immer Zeugnis seiner Zeit, aufklärerisch, unbequem, aufregend, lebhaft, zeitgenössisch. Sein Verleger war offen und neugierig, unabhängig und engagiert, risikobereit und persönlich haftend. Er hat einmal gesagt, Vertrauen in Gremien ist Misstrauen in Personen. So nimmt es nicht wunder, dass auch noch heute der Verlag Klaus Wagenbach ein Eigentümerverlag ist. Eigenverantwortlichkeit ist ein Wert für ihn.
Dabei ist er durchaus durchs Feuer gegangen. Es gab Zeiten, da träumte er den Traum vom Verlagskollektiv und setzte ihn auch um. Aber als 1973 die Aufhebung der Lektoratsautonomie von Mitarbeitern gefordert wurde, da war für ihn die Grenze des Zumutbaren überschritten. Es kam zur Spaltung des Verlages. Rotbuch zog mit einigen wenigen Autoren aus. Der Verlag Klaus Wagenbach arbeitete wieder mit klaren Verantwortlichkeiten. Das Statut der Lektoratsautonomie gilt noch heute. Qualität geht ihm vor Ideologie.
Bücher machen hat er von der Pieke auf gelernt, eine zweijährige Buchhandelslehre bei Suhrkamp, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte an der Frankfurter Universität, Lektorat beim Modernen Buch-Club in Darmstadt und bei S. Fischer.1964 begann seine verlegerische Selbständigkeit, nahezu mittellos, aber mit gewichtigen Ratgebern wie Günter Grass oder Ingeborg Bachmann und einem bewusst gewählten Verlagsort – Berlin. Damals noch Frontstadt, Humus für einen politischen Verlag, der er war und sein wollte.
Wie für viele seiner Generation war für ihn der Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main das Schlüsselerlebnis zu einer Aufarbeitung der NAZI-Zeit durch unsere Gesellschaft. Die Studentenunruhen wurden verlegerisches Thema, auch die RAF. Er bewegte sich in vermintem Gelände. Gerichtsverfahren wurden ein Teil seines verlegerischen Alltags. Er stand zu seiner verlegerischen Verantwortung, ein Überzeugungstäter für gesellschaftspolitische Erneuerung, aber niemals auf dem Irrweg von Gewalt oder Dogmatismus. Beides war und ist ihm wesensfremd. Wie ein reinigendes Gewitter war 1978 alles vorbei. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb – eine Tür war aufgestoßen.
Eigentlich wollte er in Berlin einen Ost-West-Verlag gründen. Er glaubte im geteilten Deutschland an das Verbindende der Literatur, an die gemeinsame Sprache und die gemeinsame Geschichte. Deshalb hat für ihn auch die Vereinigung Deutschlands eine kulturelle Dimension und war nicht reduziert auf die D-Mark oder den Begriff des Beitrittsgebietes. In den Quartheften, die ausschließlich der zeitgenössischen Literatur gewidmet waren, erschien 1965 die letzte Ost-West-Anthologie von Erstausgaben. Aber mit der Veröffentlichung der „Drahtharfe“ von Wolf Biermann 1965, in Stücken aus der DDR nach Westberlin geschmuggelt, war diese Idee zu Ende, bevor sie richtig beginnen konnte. Die DDR erteilte dem Verlag komplette Lizenzsperre für DDR-Schriftsteller und dem Verleger Einreise- und Durchreiseverbot. Er war eine unerwünschte Person.
1979 knüpft er mit dem Quartheft 100 nochmals an das Thema an: „Vaterland, Muttersprache“. Geschichtsbewusstsein und Sprache bleiben seine literarischen Absichten.
Trotzdem ist der Begriff Heimat oder zu Hause bei ihm viel weniger geographisch zu verstehen als es seine gesellschaftliche Einmischung vermuten lassen. Er selbst formuliert es so: „Zu Hause bin ich, wo ich Leute kenne und arbeiten kann.“ Und das ist neben Berlin auch Italien. Wagenbach wird zu d e m italienischen Verlag in Deutschland und bleibt es bis heute. Wir haben ihm wunderbare literarische Neuentdeckungen zu verdanken. Luigi Malerba, und Giorgio Manganelli, Natalia Ginzburg und Romano Bilenchi, Gesualdo Bufalino und Pier Paolo Pasolini. Va bene!Er gehört eben nicht zur „Toscana-Fraktion“, sondern er liebt Italien und lebt im Dorf, kennt die Menschen und sie ihn. Auch hier bleibt er authentisch und lebensfroh.
Lebensfreude und genießen können sind ihm nie abhanden gekommen, auch in den schwierigsten Zeiten nicht. Dazu gehören Freunde, ein ihm eigener Humor, Gastlichkeit, Kennerschaft und Unabhängigkeit, besonders aber die unbedingte Liebe zu seinem Beruf.
Ob es die Quarthefte und Quartbücher sind, die Zwiebel, Salto, die Kulturwissenschaftliche Bibliothek,, die Edition Giorgio Vasari – alle atmen diese Freude am Gestalterischen. Klaus Wagenbach hat dazu in seiner unnachahmlichen Untertreibung gesagt:“ Bücher muss man ordentlich machen“ Das hat er getan, nahezu 40 Jahre, bevor er die Verlagsleitung in die Hände von Susanne Schüssler übergeben hat. Und danach spielt er noch den „Feuerwehrmann und Aushilfskünstler“, wie er sich selbst bezeichnet.
Für mich ist es eine große Freude, die Laudatio auf Klaus Wagenbach halten zu dürfen. Wir kennen uns gut und lange und haben auch die Bücher als gemeinsame Leidenschaft, er als Verleger und Leser, ich als Leser. Dabei nähern wir uns den Büchern beide sehr sinnlich. Wir schnüffeln an ihnen. Bücher müssen für uns gut riechen und gut in der Hand liegen. Er hat einmal in einem Fragebogen geantwortet, mit wem er tauschen wolle, mit dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das war ich damals. Ich glaube ihm kein Wort. Er ist ein Glücksfall als Verleger. Anders herum hatte ich durchaus den Wunsch, Bücher zu machen – im Ruhestand. Daraus ist aber bis heute auch nichts geworden. Goethe-Präsident ist aber auch nicht schlecht. Wir bleiben jeder bei seinen Leisten. Immerhin habe ich es geschafft, Autor im Verlag Klaus Wagenbach zu werden. Das schmückt ungemein. Und das Thema passte mir. Es ging gegen die Allmacht von Google und es ging um die ephemeren Schriften als Humus unserer geistigen Entwicklungschancen. Nun verlegt Klaus Wagenbach keine ephemeren Schriften, sondern erzielt ansehnliche Auflagen, mit dem 2008 erschienen Buch von Alan Bennett „Die souveräne Leserin“ so gar einen veritablen Bestseller. Aber er verlegt Bücher nicht als „Geschäftemacher“ sondern weil er im Sinn von Kurt Wolff Bücher macht, die Leser lesen s o l l e n und nicht unbedingt Bücher, die Leser lesen wollen. Er glaubt an die Wirkung von Büchern – ich auch. Er ist in vielen Aspekten ein würdiger Nachfahr von Kurt Wolff.
Wenn mir am Ende noch eine kleine Charakterisierung für ihn einfällt dann diese: Gelassenheit ist die anmutigste Form von Selbstbewusstsein: Klaus Wagenbach.
Nach dieser Preisverleihung werden wir beide einen vino nobile aus Montepulciano trinken, wie wir es gern bei heiteren oder bedeutenden Ereignissen tun. Das heutige Ereignis ist beides.
Herzliche Glückwunsche
Klaus-Dieter Lehmann