Festvortrag von Präsident Klaus-Dieter Lehmann zum Leibniztag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– Es gilt das gesprochene Wort –
Mehr denn je sind in der internationalen Wahrnehmung Kultur, Bildung und Wissenschaft entscheidende Indikatoren für Zusammenarbeit und Zusammenleben, oder noch zugespitzter ausgedrückt, für Überleben. Innen und außen sind keine getrennten Welten mehr, sie bedingen einander
Die Welt hat sich entscheidend verändert und unsere Gesellschaften stehen an einem Wendepunkt. Globalisierung und Modernisierung haben nicht zu einer einheitlicheren Welt geführt. Sie ist im Gegenteil wieder stärker segmentiert. Diese Entwicklung ist kein vorübergehendes Phänomen. Der globale Wettbewerb hat inzwischen eine veränderte Beteiligung der Macht- und Einflusssphären geschaffen. Neue Zentren und veränderte Peripherien sind entstanden, mit Megastädten und unproduktiven Wüsten, mit abgeschotteten Parallelwelten und radikalen Auf- und Umbrüchen, mit Übersprungeffekten des rein ökonomischen Denkens auf alle Lebensbereiche, mit postkolonialen Staaten, die vor großen sozialen und politischen Herausforderungen stehen. Weltweit werden Migrationsströme ausgelöst, die sich durch die unterschiedliche demographische Entwicklung in Europa und in den Schwellen- und Entwicklungsländern noch beschleunigen, Wirtschafts- und Finanzkrisen werden erlebt und erlitten.
Das Bevölkerungswachstum wird sich exponentiell fortsetzen, die Weltbevölkerung wird bis 2020 um rund eine Milliarde zunehmen, im Gegensatz zum schrumpfenden Europa. Gleichzeitig wird sich der Trend zu Megastädten fortsetzen. Allein in Asien, wo die Urbanisierungsrate dreimal so hoch ist wie in Europa, wird sich die städtische Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren auf 2,65 Milliarden Menschen verdoppeln (2030). Eine steigende Zahl von Menschen wird auch eine wachsende Menge von Gütern und Dienstleistungen konsumieren. Die zunehmende Erschöpfung der nicht erneuerbaren Rohstoffe bedroht zudem weltweit die Basis des quantitativen Wachstums. Die soziale Sicherheit wird zur globalen Kardinalfrage der Zukunft werden.
Péter Esterházy fragte vor kurzem bei einer Literaturpreis-Rede in Berlin, ob diese so genannte globalisierte Welt überhaupt lesbar ist, denn die Übersetzung oder die Dialogfähigkeit ist nur möglich, wenn sie lesbar ist. Und er fuhr fort: “ Globalismus und Provinzialismus wachsen miteinander, die Offenheit wächst und auch die Zahl derer wächst, die ihr mit Argwohn begegnen. Der Provinzialismus ist kein Privileg der kleinen Länder, er ist bei den großen bloß schwerer zu bemerken, weil die Provinz groß und reich ist. Die Tiefe des Provinzialismus birgt keine Engstirnigkeit, sondern Angst – Angst vor der Welt, die tatsächlich Angst erregend genug ist. Daher rührt die Aggressivität des Provinzialismus.“
Es geht also um die Lesbarkeit der Welt.
Es genügt dafür nicht, nur eine riesige Wissens- und Informationsmaschine in Gang zu halten. Dann wäre mit dem Internet einiges gewonnen. Denn die Zahlen sind beeindruckend. Was passiert alle 60 Sekunden im Internet? Über Googles Suchmaschinen werden in 60 Sekunden fast eine Million Suchanfragen beantwortet, der E-Mail-Verkehr markiert mit 168 Millionen versandten Mails eine beeindruckende Kennzahl, bei Facebook gibt es jede Minute 700 000 Status-Updates, beim Video-Portal You Tube werden in 60 Sekunden mehr als 600 neue Videos hochgeladen, usw. usw. Ob daraus eine sog. „Schwarmintelligenz“ entsteht, ist fraglich, eher wächst die Unübersichtlichkeit. Immer mehr ist nicht immer besser!
Es bedarf einer verständlichen, nutzerfreundlichen und zeitgemäßen Bedienungsanleitung, einer Kompetenz und Urteilskraft. Wissenschaft zu verlässlichem öffentlichem Wissen zu machen ist eine Forderung, um die Welt lesbarer zu machen.
Die Anforderungen an die Innovationskraft von Wissenschaft und Technik werden und müssen weltweit steigen. Doch so entscheidend die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind, so unverzichtbar ist die Einbettung in ein Rechts- und Politiksystem, das individuelle Freiheit und Menschenrechtskonventionen achtet, Verantwortung für die kommenden Generationen übernimmt, aber auch eine spezifische kulturelle Ausprägung kennt.
Auch Wissenschaft ist geprägt von seinem kulturellen Umfeld, kennt einen gesellschaftlichen Kontext und erbringt neben dem wissenschaftlichen Ertrag eine kulturelle Leistung. Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Ein funktionaler Rechtsvergleich zeigt sehr schnell die kulturelle Prägung der Rechtsnormen. Auch die verschiedenen Lösungsansätze für die Bewältigung der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise lassen sich hier anführen. Der Aufstieg der deutschen Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert durch Bildungsbürgertum, Neuhumanismus und Idealismus ist ganz sicher durch spezifische kulturelle Aspekte wesentlich bestimmt worden.
So wurde die Betonung der kulturellen Vielfalt und der Differenzen sowie die Gleichwertigkeit der Kulturen wegweisend für die Forschungsrichtung, Vertreter waren unter anderem Herder, Schlegel und Humboldt. Der Begriff des Individuums und der Persönlichkeit hat wiederum Eingang gefunden in den Bildungsansatz, der die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit einschließt.
Es ist gut, dass wir uns gerade heute dieser Beiträge erinnern, nicht in ihrer Zuordnung zum 19. Jahrhundert sondern in ihrer zeitgemäßen Bedeutung. Wir müssen akzeptieren, dass das Bildungsbürgertum immer mehr aus unserer Gesellschaft verschwindet und damit auch die gemeinsamen kulturellen Prozesse. Damit verschwindet auch die Zuschreibung einer fast religiösen Wertung der Kultur zugunsten eines kultur- und bildungspolitischen Programms, das auf das Offene und Mögliche zielt und auch die Kritik kennt. Das kann durchaus eine Chance sein, aber nur dann, wenn kulturelle Bildung als Wert erkannt und gestärkt wird. Kulturelle Bildung ist unsere Achillesferse!
Gerade weil diese Welt so viel Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Brüche zeigt, weil sie ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft der Menschen abfordert und die Integrationsfähigkeit von Gesellschaften auf eine harte Probe stellt, sind Weltformeln oder weltumspannende Steuerungssysteme nicht die Lösung. Es muss im Gegenteil ein Weg gefunden werden, der ein kritisches, fantasievolles Gespräch mit und in der Welt ermöglicht, der unsere starren Klischees hinterfragt und der sich glaubwürdig um einen Dialog bemüht.
Die Wissenschaft kann heute nicht mehr in national abgeschotteten Wissenskulturen erfolgreich sein, sie ist auf internationale Forschungsnetzwerke angewiesen, Bildung ist auf internationaler Ebene wesentlicher Bestandteil differenzierter Diskussionen und Initiativen geworden, Kultur wiederum lebt von Begegnung und Vermittlung.
Eine Außenpolitik, die sich diese natürliche Offenheit der drei Segmente Kultur, Bildung und Wissenschaft zu eigen macht und sie zum Inhalt einer partnerschaftlichen, langfristigen und nicht nur von ökonomischen Interessen getriebenen Auswärtigen Kultur-, Wissenschafts-- und Bildungspolitik ausgestaltet, hat eine innovative und glaubwürdige Basis. Eine solche Basis garantiert den Erfolg nicht, ohne sie geht es aber auf keinen Fall. Sie ermöglicht die Entwicklung von Alternativen statt der Fixierung auf Konflikte, sie ermöglicht Prozess statt Stillstand, sie macht genügend selbstkritisch durch die Kenntnis des Anderen. Deshalb ist diese Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik weder geeignet für den Wettbewerb der Systeme, noch für eine Instrumentalisierung im Dienst der Hegemonie. Sie sollte eher den Grundsätzen einer Lerngemeinschaft folgen. Damit lassen sich notwendige Veränderungen besser vermitteln und zur Kompetenz in Weltverständnis aktiv beitragen. Wenn es die Auswärtige Kultur- und Wissenschaftspolitik schafft, durch ihr Handeln eine verlässliche Erwartung bei den Menschen herzustellen, globalgesellschaftliche Themen aufzugreifen, sie lesbar und damit übersetzbar zu machen, dann ist schon viel gewonnen.
Ralf Dahrendorf hat als Staatssekretär im Auswärtigen Amt in den 70er Jahren den entscheidenden Satz geprägt:“ Was wir geben ist nur so viel wert wie unsere Bereitschaft zu nehmen. Offenheit für andere ist daher ein Prinzip unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.“
Was kann die deutsche Auswärtige Kultur-, Wissenschafts- und Bildungspolitik für die Lesbarkeit der Welt leisten, welche Rahmenbedingungen kann sie setzen und welche Rolle spielen dabei die kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen, die Wissenschaftsorganisationen, die Kulturmittler und die Kulturakteure?
Deutschland ist ohne Zweifel ein attraktiver Kultur- und Wissenschaftsstandort mit leistungsfähigen Institutionen, gut vernetzten Akteuren und einem hohen Qualitätsstandard, eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Außenpolitik auf diesem Feld. Dabei geht es nicht nur um die Gewinnung der „besten Köpfe“ sondern es geht um das Bild Deutschlands in der Welt mit seiner kulturellen und intellektuellen Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit, mit seiner Offenheit und Bereitschaft zum Dialog und seiner Glaubwürdigkeit als Partner. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat im Hinblick auf die führende Rolle Deutschlands als Wirtschaftsstandort gesagt:“ Deutschland ist nicht nur eine führende Wirtschaftsnation, Deutschland ist eine Kulturnation. Das allein verbietet eine Ökonomisierung des Deutschlandbildes in der Welt. Deshalb ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mehr als schmückende Beigabe unserer Außenpolitik, und schon gar nicht ist sie eine ästhetische Form der Außenhandelsförderung.“
Diese Grundpositionen bestimmen sehr klar die Arbeit des Goethe-Instituts, das als größter Kulturmittler Deutschland mit einem weltweiten Netz von 149 Instituten in 93 Ländern tätig ist, und dem man aufgrund seiner Unabhängigkeit zutraut, ein aktuelles Bild Deutschlands glaubwürdig zu vermitteln und tragfähige Partnerschaften einzugehen
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik beginnt für das Goethe-Institut schon in Deutschland. Die 13 Institute in Deutschland sind wichtige bildungspolitische Partner bei der Integration von Migrantinnen und Migranten und der Qualifizierung von ausländischen Fachkräften. Derzeit gibt es maßgeschneiderte Bildungsangebote für junge hoch qualifizierte Menschen, die in Südeuropa aufgrund der Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50% keine Perspektiven haben und für die Deutschland und Europa eine Chance sind. Mobilität wird zu einem Kennzeichen des 21. Jahrhunderts.
Deutschland hat als Mittelland hier eine besondere Verantwortung für einen gemeinsamen Kulturraum. Europa ist mehr als Euroland, es ist ein Kultur- und Bildungsprojekt. Künstlerische Positionen, Prozesse und Produktionen zu europäischen Themen können eine kreative Basis formen, Literatur- und Übersetzungsförderung können die Vielfalt der Kulturen verständlich machen, Risiken und Herausforderungen der neuen Produktions- und Beteiligungschancen in Europa, wie etwa die Auflösung von Autorenschaften und des Urheberrechts, können identifiziert und ausgestaltet werden. Es geht um die politische Kraft der Kultur. Wie erhalten und fördern wir die kulturelle Vielfalt in Europa? Wie stellen wir uns wichtigen Zukunftsfragen? Wie gehen wir mit unseren Erinnerungen um? Welches kulturelle Selbstverständnis haben wir und wie verstehen wir die demokratischen Grundsätze von gesellschaftlicher Teilhabe? Wie begegnen wir wachsender EU-Skepsis im Licht der Wirtschafts- und Finanzkrise? Gibt es europäische Reaktionen auf die Entwicklungen im Nahen Osten und welche Rolle können Kulturinstitute spielen? Die Behandlung dieser Fragen gehört zum dauerhaften Bestand der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Europa.
Mit dieser Nahkompetenz gewinnt man auch die nötige Fernkompetenz für die weltweiten Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Die Schwellen- und Entwicklungsländer haben eine zunehmende Bedeutung gewonnen. Die Programme der Goethe-Institute zum Beispiel richten sich an Bildungs- und Kulturakteure. Hier geht es um die Qualifizierung und Förderung von Filmemachern, Verlegern, Kulturjournalisten, um den Aufbau einer kulturellen Infrastruktur, um die Organisation von Kongressen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Im Maghreb und im Nahen Osten hat das Goethe-Institut beim Aufstand gegen die autokratischen Herrscher eine wichtige Rolle gespielt. Ich erinnere nur an die Tahrir-Lounge, in der sich die jungen Intellektuellen trafen. Aber mit dem Umsturz ist die Zukunft noch nicht gewonnen und die Radikalisierung nicht gebannt. Die Transformationsgesellschaften sind für das Goethe-Institut, die anderen Kulturmittler und für die wissenschaftlichen Austauschprogramme eine wichtige Zukunftsaufgabe, und hier ist es besonders die Bildungsarbeit mit den jungen Menschen, mit der die Kenntnis über internationale Entwicklungen unterstützt wird. Gemeinsames Lernen und Arbeiten werden immer wichtiger.
Deshalb muss eine langfristig angelegte Auswärtige Kultur-, Wissenschafts- und Bildungspolitik bereits bei den jungen Menschen beginnen - bei der Schulausbildung. Hier sind zunächst die 140 Auslandsschulen zu nennen, die nicht nur für die Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur sondern auch für eine weltweit anerkannte Schulbildung als Markenzeichen gelten können. Derzeit lernen rund 60 000 Schülerinnen und Schüler in den deutschen Auslandsschulen. Vernachlässigen darf man auch nicht die 200 000 jungen Erwachsenen, die jährlich in den Goethe-Instituten in der Welt Deutsch lernen.
Ein anderes, ungemein erfolgreiches Schulmodell im Ausland ist die Initiative des Auswärtigen Amtes, gemeinsam mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und dem Goethe-Institut, Schulen – Partner für die Zukunft (PASCH), das vor fünf Jahren begonnen hat. Inzwischen existieren 1500 PASCH-Schulen in der Welt, wobei der Schwerpunkt wiederum in den Schwellen- und Entwicklungsländern liegt. Das Goethe-Institut als der Bildungsträger für die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache und weltweit größter Träger für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Deutschlehrer hat sich hier sehr erfolgreich positioniert. Mit seinem Beitrag werden in ausgewählten Eliteschulen des jeweiligen Landes deutsche Sprachabteilungen eingerichtet, die bis zur Hochschulreife führen, einheimische Lehrer aus- und weitergebildet, die besten Schüler nach Deutschland zu Sommercamps eingeladen und deutsche Patenschulen identifiziert. Derzeit lernen an den vom Goethe-Institut betreuten PASCH-Schulen rund 160 000 Schüler Deutsch. PASCH eröffnet jungen Menschen vor allem Bildungsperspektiven und Begegnungen mit anderen Kulturen.
Eine beeindruckende Entwicklung hat dabei in Indien eingesetzt, bei der das Goethe-Institut einen Vertrag abgeschlossen hat, 1 000 indische Schulen mit Deutsch als Fremdsprache zu betreuen. Außerdem schloss das Goethe-Institut einen Rahmenvertrag mit den neun führenden Technischen Universitäten in Deutschland ab, um erfolgreichen Absolventen von PASCH-Schulen eine verkürzte und bevorzugte Aufnahme für ihr Studium an den TUs zu ermöglichen.
Man sollte durch diese sichtbaren Erfolge aber nicht meinen, Deutsch sei damit wieder auf dem Vormarsch. Nur mit einer aktiven und zielgruppenorientierten Sprachenpolitik, bei der auch der Referenzrahmen und das Prüfsystem unter den deutschen Mittlern optimal abgestimmt ist und auch auf die Eigenheiten der jeweiligen Schulsysteme eingegangen wird, lässt sich die Akzeptanz steigern. Hier haben wir noch viel Wirrwarr. Ich bin überzeugt, dass die partnerschaftliche Einbeziehung der Erziehungsbehörden der Gastländer wichtig ist und nicht unbedingt das deutsche Schulsystem „übergestülpt“ werden sollte. Die PASCH-Schulen sind eine Erfolgsgeschichte. Sie weiter auszubauen, insbesondere auch bei naturwissenschaftlichen Schulen, kann nur von Nutzen sein.
Auch das Mitdenken und Mitgestalten der Übergänge zu den potentiellen Abnehmern wie Universitäten oder Unternehmen ist dringend erforderlich. Ohne ein effektives Übergangsmanagement für Forschungs- und Führungsnachwuchs zielen viele Ausbildungsanstrengungen ins Leere. Die Kulturmittler und der DAAD haben hierzu in den letzten Jahren sehr pragmatisch schon viel gemeinsam für die ausländischen Nachwuchseliten auf den Weg gebracht. Über 250 unterschiedliche Stipendienprogramme kennt der DAAD für ausländische Studierende in Deutschland und deutsche Studierende im Ausland, wobei inzwischen die Zahl der sogenannten grundständigen Stipendien wegen der neuen Schulpolitik erhöht wurde.
Aber der Weg nach Deutschland kennt noch viele administrative Hürden. Genannt sei hier nur die haarsträubende Visapolitik, bei der klar definierte Stipendiatengruppen, fachlich und sachlich geprüft und identifiziert, sich durch alle bürokratischen Stufen mit einem enormen Aufwand mühen müssen. Das hat mit Sicherheitsaspekten absolut nichts zu tun, eher mit Abschreckung.
Die Glaubwürdigkeit unserer Sprachpolitik in der Wissenschaft hängt zu einem nicht geringen Teil von unserem Verhältnis zur eigenen Sprache selbst ab. Wenn für Deutschland der Eindruck vermittelt wird, dass Deutschkenntnisse nicht erforderlich sind, um an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu studieren, zu arbeiten und zu forschen, dann ist das zutiefst demotivierend. Den Eindruck kann man gewinnen, wenn man die Informationsbroschüren deutscher Universitäten und Wissenschaftsorganisationen in die Hand nimmt. Ich glaube nicht, dass ausländische Studierende nach Deutschland kommen, um Vorlesungen in schlechtem Englisch zu hören.
Natürlich kommen wir ohne das Englische als internationale Konferenz- und Publikationssprache nicht mehr aus. Dass sich Forscher aus allen Weltregionen schnell, präzise und mit einheitlicher Terminologie austauschen können, hat viele Prozesse erheblich beschleunigt. Aber die Beschränkung auf eine lingua franca bedeutet immer auch eine kognitive Einschränkung und vor allem den Ausschluss von Laien. Ich halte es bei der Sprache mit Wilhelm von Humboldt, der gesagt hat, jede Sprache, die ich erlerne, eröffnet mir eine neue Welt. Das kann sowohl eine kulturelle, aber natürlich auch eine berufliche Bereicherung sein. Auch das ist Kompetenz in Weltverständnis.
Wissenschaft und Gesellschaft müssen miteinander verbunden sein. Diese Verbindung wird vor allem über Sprache hergestellt. Wissenschaftliche Theorien arbeiten häufig mit Wörtern, Bildern und Metaphern, die der Alltagssprache entstammen. Daher kommt auch die Wissenschaft ohne vielfältige Fremdsprachenkompetenz nicht aus. Wir sollten uns deshalb bewusst für die Mehrsprachenpolitik einsetzen.
Aber es ist auch ein Gewinn, wenn Gastwissenschaftler, die im Labor Englisch sprechen, über das Deutsche eine emotionale Beziehung zu unserem Land aufbauen, Freunde gewinnen, Kultur genießen können.
Das Deutsche hat nicht nur eine große Tradition in den Wissenschaften, Deutschland ist heute ein ausstrahlender und innovativer Wissenschaftsstandort. Das sollte sich auch in der Nutzung der deutschen Sprache widerspiegeln. Nur eine vielfältig genutzte und in allen gesellschaftlichen Bereichen einsetzbare Sprache ist auch eine lebendige attraktive Sprache.
Zweifellos kommt den Aktivitäten der Wissenschaftseinrichtungen und –organisationen im Bereich der internationalen Wissenschafts-, Bildungs- und Forschungszusammenarbeit eine besondere Bedeutung zu. Dazu rechne ich die u.a. die DFG, die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, den DAAD, die Alexander von Humboldt-Stiftung, aber auch in Teilen die GIZ in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie alle sorgen durch gezielte Förderung von Nachwuchseliten, durch den Aufbau leistungsfähiger Hochschulsysteme in Entwicklungsländern und deren internationaler Zusammenarbeit, durch Professionalisierung und Internationalisierung weltweiter Lerngemeinschaften und durch hochrangige internationale Forschungsprojekte für ein internationales Netz der wissenschaftlichen Kooperation und des Vertrauens. Wichtig für Europa ist eine offensive Positionierung im gesamteuropäischen Forschungssystem, das der European Research Council vorantreibt. Wünschen würde man sich bei den verschiedenen internationalen Förderansätzen eine weniger ressortbezogene und eine mehr funktional bezogene Politik. Damit könnten die Ergebnisse noch effizienter und wirksamer gestaltet und die Sichtbarkeit erhöht werden.
Die Universitäten spielen bei dem Austauschprogramm internationaler Eliten und Nachwuchswissenschaftler eine entscheidende Rolle. Berlin ist übrigens für Forscher aus dem Ausland überaus gefragt. Bei Gastwissenschaftlern, die mit dem DAAD kommen, sind die FU und die HU mit Abstand bundesweit an der Spitze. Auch bei Stipendiaten, die von der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert werden, liegen die Berliner Universitäten mit der LMU München deutlich vorn. Die TU Berlin ist in den Ingenieurwissenschaften bei DAAD-Stipendiaten am beliebtesten.
Zum Grundverständnis der deutschen Akademien der Wissenschaften gehörte von Anfang an die internationale Zusammenarbeit. Und das in zweifacher Hinsicht. Zum einen bilden die 1900 unter dem Dach der Akademieunion vereinten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den acht Wissenschaftsakademien ein international herausragendes personales Netz mit vielfältigen Kontakten und Projekten, zum anderen sind die Mitgliedsakademien mit ihren institutionellen Bindungen aktive Partner in der auswärtigen Wissenschaftspolitik. Ihre Vertreter sind außerdem aktiv in internationalen Wissenschaftsorganisationen und Akademien. Seit April 2012 steht Prof. Dr. Günter Stock für die nächsten Jahre an der Spitze von „All European Academies“ (ALLEA) unser Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie und Präsident der Union der deutschen Akademie der Wissenschaften. Der Verbund besteht aus derzeit 53 Wissenschaftsakademien aus 40 europäischen Ländern. Sie werden verstehen, dass ich mich über eine Äußerung von Günter Stock anlässlich seiner Wahl besonders gefreut habe, als er als einen Schwerpunkt seiner Amtszeit die Initiierung eines Forschungsprogramms zur kulturellen Identität Europas nannte. Hier schließt sich nicht nur der Kreis einer gemeinsamen Verantwortung, es wird auch unterstrichen, dass Wissenschaft eine kulturelle Dimension hat.
Die Zusammenschlüsse der Wissenschaftsakademien auf internationaler Ebene beschränken sich nicht auf administrative oder repräsentative Funktionen, sondern sie beziehen bewusst Position zu globale Zukunftsfragen, wie Gesundheitsfragen, Sicherheit, freie Meinungsäußerung, geistiges Eigentum usw., aber eben mit dem Potential wissenschaftlicher Expertise. Das ist nicht selbstverständlich, aber dringend erforderlich. Das ist das, was ich als verlässliche Erwartung an die Wissenschaft am Beginn meiner Rede formulierte. So kann am ehesten gesellschaftliches Vertrauen gebildet werden.
Herauszuheben in ihrer Bedeutung für ein besseres Weltverständnis sind sicher die großen Stipendien-Programme von DAAD und Alexander von Humboldt-Stiftung oder auch das Erasmusprogramm für europäische Universitäten, wenngleich die jüngste Erhebung von Allensbach den Eindruck vermittelt, dass das Interesse der Studierenden an Auslandserfahrungen deutlich nachlässt. Das wäre eine kritische Entwicklung. Der DAAD förderte im vergangenen Jahr rund 75 000 Studierende, die Humboldt-Stiftung 25 500 Gastwissenschaftler. Das Wirkungsspektrum bei der Humboldt-Stiftung ist zwar etwas enger als beim DAAD, dafür sind die Zielgruppen deutlich auf erfahrene Wissenschaftler und Spitzenforscher ausgerichtet. Dieses Programm wird neuerdings noch fokussiert durch die Einrichtung sogenannter Humboldt-Professuren. Mit fünf Millionen € ist die Humboldt-Professur der höchst dotierte Preis für Forschung in Deutschland. Das Preisgeld ist für die Finanzierung der ersten fünf Jahre in Deutschland bestimmt und dient insbesondere dem Aufbau von Forschungsteams und Labors. Jährlich werden bis zu zehn Preise verliehen. Ausgezeichnet werden führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen, die im Ausland tätig sind.
Wenn nicht dort ein Schlüssel zur Kompetenz in Weltverständnis liegt wo Wissenschaftler noch unabhängig nachdenken dürfen und sich nicht hineinreden lassen müssen, – wo dann? Innovation, Exzellenz und Unabhängigkeit sind die Voraussetzungen für ein weltoffenes Arbeiten und eine gegenseitige Vertrauensbasis. Die heutigen Kommunikationstechniken unterstützen diesen Austausch auf effektive Weise. Das sollte auch künftig gestärkt werden.
Aber letztlich bleibt das Engagement der Menschen das wichtigste Kapital. Dazu gehört auch eine erfolgreiche Alumni-Politik. So entsteht auf Dauer ein lebendiges Netz der Verständigung, eine Bindung in einer immer unübersichtlicher gewordenen Welt und ein Austausch und Wissenstransfer in einem internationalen Umfeld. Das sollte uns bei allen Mühen der Ebenen Mut machen.
Diesen Mut brauchen wir. Er ist notwendig, um Situationen und Entwicklungen nicht einfach hinzunehmen, sondern sie zu begreifen und zu gestalten. Damit handeln wir ganz im Sinn von Gottfried Wilhelm Leibniz, der im Jahr 1700 die Vorläufereinrichtung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften begründete.