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Grenzüberschreitende Vorintegration
Sprung ins kalte Wasser

Studentinnen aus Vietnam beim gemeinsamen Lernen.
Studentinnen aus Vietnam beim gemeinsamen Lernen. | © Goethe-Institut Hanoi

Deutschland ist laut einer Prognose des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung auf den Zuzug von jährlich 700.000 Fachkräften angewiesen. In diesem Kontext setzt das Goethe-Institut auf eine grenzüberschreitende Vorintegration.

Von Kristina von Klot

Am Anfang steht ein Traum. Nach der Ankunft in Deutschland folgt der Realitätscheck. Und wer trotz aller Herausforderungen die Migration meistert, nimmt die Fremde schließlich als neue Wahlheimat wahr – und fühlt sich in der Gesellschaft angekommen. Diesen Prozess haben all die Frauen und Männer so oder ähnlich durchlaufen, die im Videoblog „Ein Schritt voraus“ porträtiert werden. Er ist Teil des Webportals „Mein Weg nach Deutschland“ und vermittelt die Erfahrungen von Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, um als ausländische Fachkräfte „bei null anfangen zu müssen“. So schildert es die 33-jährige Beril, die als Grundschullehrerin in Istanbul gearbeitet hat, bevor sie „der Liebe wegen“ nach Augsburg ging. Nachdem ihr Abschluss nicht anerkannt wurde, begann sie, für „Tür an Tür“ zu arbeiten, einen Verein, der sich für die Rechte und Chancen Zugewanderter stark macht. Als Mentorin rät sie ihnen, möglichst frühzeitig wichtige Dokumente übersetzen und prüfen zu lassen. Auch wenn die junge Frau andeutet, dass ihr der Umzug in die bayerische Provinz nicht leichtfiel: Was überwiegt, ist die Begeisterung, wenn sie von der Diversität spricht, die sie im Umgang mit Menschen aus aller Welt erlebt. Ihr Resümee: Die Migration nach Deutschland sei ein Sprung ins kalte Wasser, aber lohnenswert.

„Mein Weg nach Deutschland“ ist ein idealer Ausgangspunkt, um sich dabei umfassend beraten zu lassen und auszutauschen: In 30 Sprachen abrufbar, bietet die Plattform einen leichten Zugang zu Informationen und Netzwerken aller Art; nicht zuletzt mittels 35 sogenannter Infohäuser, die im ländlichen Raum vielfach in öffentlichen Einrichtungen aufgestellt wurden. Ob es um den Studien- oder Ausbildungsplatz geht, um interaktive Deutschübungsangebote oder darum, sich per Podcast von den Erfahrungen anderer inspirieren zu lassen: zum Beispiel vom 55-jährigen Kfz-Meister Mehmet, der vor über dreißig Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Heute führt er eine eigene Werkstatt mit sechs Mitarbeiter*innen und gibt seine Erfahrung weiter: „Sprache lernen,
Kultur lernen, das Land kennenlernen, wenn sie wirklich hier leben möchten.“ In einem anderen Hörstück stellt sich Mariia vor, eine 26-jährige russische Ärztin. Trotz vorheriger Sprachkurse habe es gedauert, bis sie sich flüssig verständigen konnte. „Es ist auch schwer, sogar auf B2-Niveau, alles auszudrücken, was du sagen willst.“ Ihr Resümee: „Es gibt nicht den Punkt: ‚Jetzt habe ich Deutsch ausgelernt‘ (…) – es gibt keine Grenze für die deutsche Sprache!“

Dass Sprache eine tragende Säule von Integration ist, deckt sich mit den Ergebnissen von zwei jüngeren Studien des Goethe-Instituts: „Fachkräftemobilität verstehen“ untersucht die Motivation und Erwartung von 3.000 ausländischen Fachkräften. „Annäherung, die im Heimatland beginnt“ bietet eine Bedarfsanalyse mit politischen Handlungsempfehlungen. Ein Ergebnis: Um auf dem deutschen Arbeitsmarkt Erfolg zu haben und in der Gesellschaft anzukommen, ist Vorintegration unverzichtbar; ein Prozess, der in der Heimat beginnt, und in dem neben sprachlichen auch interkulturelle und berufsspezifische Kenntnisse vermittelt werden. Eine zentrale Rolle spielt das Erwartungsmanagement, an dem auch erfahrene Mentor*innen beteiligt sind, um über Klischees und Falschinformationen aufzuklären. Dabei zeigt sich: Je größer die kulturellen Unterschiede zwischen dem Herkunftsland und Deutschland, desto höher der Bedarf und Mehrwert von Vorintegration.

„Falsche Vorstellungen zu korrigieren, zählt zu unseren wichtigsten Aufgaben“, bestätigt Maria Merkel, Mitarbeiterin des Goethe-Instituts und Leiterin des Vivantes-Projekts. Es gilt als Best-Practice-Angebot im Kontext der sprachlichen und interkulturellen Qualifizierung vietnamesischer Pflegekräfte und hat bereits über 700 Migrant*innen den Einstieg ins Arbeitsleben ermöglicht. Die Kooperation des Goethe-Instituts mit der Vivantes Hauptstadtpflege Berlin und dem Ministerium für Arbeit und Soziales in Vietnam umfasst eine zwölfmonatige fachsprachliche Zusatzqualifizierung, dank derer man direkt im Anschluss eine Fachausbildung an einer Vivantes Pflegeeinrichtung beginnen kann.

Dass dabei unterschiedliche Welten aufeinanderprallen, stelle die größte Herausforderung dar, sagt Merkel und nennt ein Beispiel: Während es in Vietnam die Familie sei, die alte und kranke Angehörige mit Essen, Bettwäsche und Zuwendung versorge, gehörten diese Tätigkeiten in Deutschland zum Berufsalltag von Pfleger*innen. Und wie lassen sich kulturelle Unterschiede überbrücken? Merkel setzt auf Rollen- und Sprachspiele aus der Theaterpädagogik, um Menschen zu bestärken, ihre Meinung angstfrei zu äußern, autonom zu entscheiden und Fehler nicht als Gesichtsverlust zu deuten. Dabei lerne man aber auch wechselseitig voneinander: In der stark individualisierten deutschen Gesellschaft könnten vietnamesischen Pflege-Anwärter*innen mit Tugenden wie Rücksichtnahme, Zusammenhalt und Freundlichkeit punkten.

Auch das Projekt „Triple Win“ in Tunesien steht exemplarisch für erfolgreiche Vorintegration: Dort konnte das Goethe-Institut gemeinsam mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mehrere Tausend Fachkräfte qualifizieren. Ob in Vietnam oder Nordafrika: Der Anspruch des Goethe-Instituts an eine gelungene Vorintegration zielt auf eine nahezu lückenlose Beratungskette ab. Diese verbindet die Expertise eng vernetzter Partner im Ausland mit den Kompetenzen deutscher Akteure. Eine wichtige Scharnierfunktion sollen die „Sprachbrücken“ übernehmen: als grenzüberschreitendes Programm, das in den Goethe-Instituten im Herkunftsland beginnt und nahtlos anknüpft an Qualifizierungen, die von den zwölf Instituten in Deutschland weitergeführt werden.

Idealerweise sind ausländische Fachkräfte wie Beril aus Istanbul bereits bei ihrer Ankunft in Deutschland umfassend darüber unterrichtet, was sie erwartet und an welchen Stellen sie den Faden der Information und Weiterbildung wiederaufnehmen können. Denn je früher der Realitätscheck einsetzt, desto eher können sich Migrant*innen in Deutschland einleben und zu Hause fühlen – ohne wie im Fall von Beril „bei null anfangen zu müssen“.

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