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Kultur Ensemble
Europäische Zusammenarbeit

Renaud Mundabi Muyanunu und Annika Katja Boll stehen nebeneinander.
Renaud Mundabi Muyanunu und Annika Katja Boll bei der öffentlichen Präsentation ihrer gemeinsamen Arbeit in Palermo. | © Riccioblu/ Mathia Coco

Kultur Ensembles, Deutsch-Französische Kulturinstitute, setzen international ein Zeichen für die Stärkung der europäischen Zusammenarbeit. Im Herbst 2023 nahm ein deutsch-französisches künstlerisches Duo am Residenzprogramm „Atelier Panormos“ des Kultur Ensembles in Palermo teil. Wir sprachen mit Annika Katja Boll und Renaud Mundabi Muyanunu über ihre Erfahrungen vor Ort.

Von Alexander Behrmann

Erinnern Sie sich noch an den ersten Tag Ihres Residenzaufenthalts in Palermo?

Annika Katja Boll: Palermo ist eine sehr aktive, dynamische und laute Stadt. Sie zog uns vom ersten Augenblick an in einen faszinierenden Strudel aus allabendlichem Feuerwerk, pulsierenden Märkten und überbordendem Verkehr. Doch darüber hinaus wurde für mich als visuelle Künstlerin, die ja hauptsächlich mit ihren Augen arbeitet, schnell die hybride Architektur Palermos interessant: Neben spektakulären Monumenten waren es vor allem einfache Häuserfassaden, die in ihrem Flickenteppich aus unterschiedlichen Steinen und Materialschichten Informationen ihrer langen und bewegten Geschichte zu speichern scheinen. Diese ersten Eindrücke verschoben meinen bisherigen Fokus von der botanischen Recherche hin zu einem mehr archäologischen Interesse an Materialkonstruktionen und Steinformationen, was unsere entstehende Arbeit maßgeblich beeinflussen sollte.

Renaud Mundabi Muyanunu: Ich erinnere mich an die Berge und die alten Palmen in einer wirklich heiteren Landschaft.

Was war Ihr Eindruck, als Sie zum ersten Mal Renaud Mundabi Muyanunus Sound-Kunst gehört haben?

Boll: Renaud und ich haben gemeinsam an der Villa Arson in Nizza studiert. Wir kannten bereits gut die künstlerische Arbeit und die zu ihr führende persönliche Evolution des jeweils anderen, hatten bisher aber keine Gelegenheit gefunden, gemeinsam ein Projekt zu realisieren. Auf den ersten Blick ist seine musikalische Arbeit mit ihren sphärischen, schweren bis bedrohlichen Klängen der Ästhetik meiner spielerischen und farbenreichen Landschaften stark entgegengesetzt. Gleichzeitig enthält Renauds Arbeit einen stärker narrativen Anteil, meine Arbeit lässt mehr Raum für Interpretation. Diese Gegensätzlichkeit war es, die eine Kooperation für uns so interessant machte.

Wie konnten Ihre beiden Kunstformen gegenseitig voneinander profitieren?

Muyanunu: Ich habe mich von den Gesprächen inspirieren lassen, die wir geführt haben. Wir haben viel über unsere Interpretationen, Eindrücke und persönlichen Bezüge gesprochen.

Boll: Die Zusammenarbeit mit Renaud hat mir geholfen, meine eher abstrakte Arbeit zu Landschaften und visuellen Systemen zu präzisieren: Es entstanden konkrete Orte, um seine Kompositionen zu beherbergen. Gleichzeitig wurden seine musikalischen Narrationen durch die Einbettung in meine weiträumigen, ausgedehnten Szenen aufgebrochen, geöffnet und verändert.

Wenn das Publikum sich nun das Endergebnis Ihrer gemeinsamen Arbeit ansieht: Was genau wird es erleben, sehen oder hören?

Boll: Das Ergebnis unserer Kooperation ist ein interaktives Spiel. Auf fünf unterschiedlichen Niveaus können sich die Betrachter*innen frei mithilfe eines Joysticks bewegen. Jedes Niveau ist inspiriert von einer Region oder einem präzisen Ort Siziliens, wie dem Ätna, dem Sandstrand Mondellos oder dem Botanischen Garten in Palermo. Innerhalb jeder Szene sind mehrere Sound-Landschaften platziert, eine Mixtur aus Field-Recordings, Aufnahmen traditioneller Instrumente und minimalistisch-elektronischer Klänge, die die Szenen mit ihrem Ambiente färben und sich teilweise abrupt ändern. Die Orte kreieren Déjà-vu-Momente für das lokale Publikum und bieten gleichzeitig eine visuelle und akustische Reise in einer Abstraktion der sizilianischen Landschaft. Das Spiel zielt auf eine Erfahrung von Liminalität ab, einen Zustand zwischen verwirrender Desorientierung und angenehmer Ziellosigkeit.

Muyanunu: Das ist von Person zu Person extrem unterschiedlich – vor allem, weil das Projekt das Publikum in die Lage versetzen soll, eine Entscheidung zu treffen. Es kann sich im virtuellen Raum bewegen und die Musik durch die Landschaft erleben oder umgekehrt.

Wie hat das Publikum darauf reagiert?

Boll: Unsere Präsentation beim Festival „Walls of Sound“ war die erste wirkliche Möglichkeit, unsere Arbeit außerhalb des Rahmens einer Kunsthochschule zu zeigen. Die Heterogenität des Publikums war sehr erfrischend: von Kindern, die gleich nach der Performance selbst mit dem Joystick die Landschaften erkunden wollten, über ein älteres Publikum, das sich für neue Medien und deren Computerspielästhetik faszinieren ließ, bis hin zu den Bewohner*innen Palermos, die ihnen bekannte Orte Siziliens in einer digitalisierten Welt wiederentdecken konnten.

Inwiefern hat der Residenzaufenthalt Einfluss genommen auf Ihre Arbeit? Was nehmen Sie mit aus der Zeit?

Muyanunu: Er hat meine Beziehung zu Tonaufnahmen und die Lust am Reisen gestärkt. Es war eine äußerst interessante Erfahrung mit vielen verschiedenen Eindrücken und wir haben wirklich tolle Künstler*innen getroffen, die auch mit dem Residenzprogramm in Verbindung standen.

Boll: Ich denke, es ist extrem wichtig, den Kontext, in dem man gelernt hat und später arbeitet, von Zeit zu Zeit zu wechseln. Ich hatte diese Erfahrung bereits gemacht, da ich sowohl in Deutschland als auch in Frankreich studiert habe. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Diskurse und Ansätze zum Verständnis von Kunst schon innerhalb der europäischen Nachbarländer sind. Der Austausch erschließt andere Sichtweisen und neue Möglichkeiten, Türen werden geöffnet und Kontakte nachhaltig geschmiedet. Vor allem als junge Künstlerin kann ich sagen, dass mir der Residenzaufenthalt geholfen hat, mich weiter zu professionalisieren.


2019 unterzeichneten die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein neues bilaterales Freundschaftsabkommen, den Aachener Vertrag. Darin wurde unter anderem die Schaffung Deutsch-Französischer Kulturinstitute beschlossen. Der Aufbau der sogenannten Kultur Ensembles im Netz des Goethe-Instituts wird gemeinschaftlich organisiert vom Goethe-Institut, dem Auswärtigen Amt und dem französischen Außenministerium. In Palermo, Ramallah und Atlanta haben die ersten Kultur Ensembles ihre Arbeit aufgenommen. Erweitert wird das Netz 2024 mit Standorten in Bischkek, der Hauptstadt Kirgisistans, und Glasgow. Geplant für das Jahr 2025 sind zudem Eröffnungen in Erbil (Autonome Region Kurdistan im Irak), wo bereits die feierliche Grundsteinlegung erfolgte, und im argentinischen Córdoba.

Das Atelier Panormos – La Bottega in Palermo ist das erste deutsch-französisch-italienische Residenzprogramm. Die Künstlerresidenz bietet Zeit und Raum zum Forschen, Arbeiten und für künstlerische Recherche im Rahmen von deutsch-französischen Projekten in der Hauptstadt Siziliens. Gegründet wurde das Residenzprogramm 2021 und in seinem ersten Jahr kuratorisch begleitet von Chiara Parisi, der Direktorin des Centre Pompidou-Metz, und Andrea Lissoni, dem künstlerischen Leiter des Hauses der Kunst in München.

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