Kunstraum incontra... Göran Gnaudschun
Wissen, was wirklich wichtig ist
Anlässlich des zehnten Jahrestages des verheerenden Erdbebens in Onna hat das Goethe-Institut Rom den Fotokünstler Göran Gnaudschun gebeten, eine Ausstellung über die Vergangenheit und Gegenwart der Dorfgemeinschaft Onnas zu realisieren. „Stimmen, die sich suchen‟ ist vom 6. April bis 15. September 2019 im Gemeindezentrum Casa Onna zu sehen. Im Gespräch mit „Goethe aktuell“ erzählt Gnaudschun von seiner Begegnung mit den Menschen in Onna und ihrem Umgang mit Verlust.
Das Goethe-Institut Rom hat Sie gebeten, eine kollektive, generationsübergreifende Erinnerung über die Ereignisse in Onna zu erarbeiten. Wie war Ihre Herangehensweise?
Im Herbst 2018 verbrachte ich zum ersten Mal drei Tage in Onna. Eigentlich wollte ich nur sehen, wie die Verhältnisse vor Ort sind und die Leute und die Landschaft kennenlernen. Doch dann bin ich schon am ersten Tag eingestiegen. Meine Herangehensweise war erst einmal intuitiv, um Material zu sammeln.
Onna hatte zwei einschneidende, schreckliche Ereignisse. Zunächst im Juni 1944 das Massaker durch deutsche Soldaten, die beim Abzug 17 Menschen ermordeten und ein Drittel des Dorfs zerstörten. Und dann das schwere Erdbeben in L’Aquila vor genau zehn Jahren, am 6. April 2009, bei dem allein in diesem kleinen Dorf Onna 40 Menschen ums Leben kamen. Wie gehen die Bewohnerinnen und Bewohner damit um?
Die Bewohner haben beide Ereignisse in ihrem kollektiven Gedächtnis gespeichert. Zum einen gedenken sie den sogenannten „Märtyrern‟, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ermordet wurden. Dieses Trauma wird nicht verdrängt, sondern es wird offen damit umgegangen. Ebenso verhält es sich mit dem Trauma des Erdbebens im Jahr 2009, das aufgrund seiner zeitlichen Nähe noch viel präsenter ist. Letztendlich ist es so, dass dieser Schmerz, der bei den Menschen zurückgeblieben ist, ein zentrales Thema meiner Fotoarbeiten bildet. Es geht um Schmerz, der nicht vergeht – der abgespeichert ist in den Herzen und in den Köpfen der Bewohner.
Ein Schmerz, der nicht vergeht
Was waren besondere Herausforderungen für Ihre Arbeit?Als Fotograf macht man eigentlich Bilder aus der Gegenwart. Fotografie ist eine Kunst, die das „Jetzt“ abbildet. Wie kann man aber als Fotograf mit Dingen umgehen, die einerseits in der Vergangenheit liegen und anderseits schwierig zu fassen sind aufgrund ihrer Komplexität? Die Arbeit, die in Onna entstand, zeigt verschiedene Ebenen: Landschaften, Porträts, symbolische Bilder, historische und private Fotos. Diese verschiedenen Ebenen fließen in die Ausstellung ein, wie aus einem Guss. Jedes Bild ist wiederum für das nächste verantwortlich, sodass die Porträts auch mit Aufnahmen von 1935 harmonieren. Letztendlich behandelt meine Arbeit die Themen Schmerz und Vergänglichkeit. Die Zeit bleibt und bildet Schichten, die übereinanderliegen. Als Künstler ist es mir möglich, diese unterschiedlichen Schichten gleichzeitig sichtbar zu machen. Die Ausstellung zeigt auch berührende oder romantische Bilder vom Dorfalltag, die mit den Aufnahmen kurz nach dem Erdbeben und den neu entstandenen Porträts kontrastieren.
Gabriele Kreuter-Lenz, Leiterin des Goethe-Instituts Rom, im Gespräch mit dem Künstler Göran Gnaudschun über seine Fotoausstellung „Stimmen, die sich suchen‟ | Foto: Goethe-Institut Rom
Nach vorn blicken
Was hat Sie in Onna am meisten beeindruckt?Die Menschen dort sind von den Erfahrungen durch das Erdbeben stark beeinflusst. Viele haben Verwandte, mitunter die eigenen Kinder verloren. Einige waren selbst über Stunden verschüttet. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Ich konnte das in den Gesichtern der Menschen sehen, als ich sie porträtierte. Besonders beeindruckt hat mich, wie offen die Menschen mit diesen traumatischen Erfahrungen umgehen. Auch, wie herzlich ich dort willkommen geheißen wurde. Trotz des unglaublichen Schmerzes über den Verlust von Angehörigen und ihrer Heimat, blicken die Bewohnerinnen und Bewohner in Onna nach vorn. Aus ihrer positiven Einstellung resultiert eine große Freundlichkeit und Offenheit. Ich glaube, dass die Menschen dort erfahren haben, was wirklich wichtig für sie ist.