Gruppenausstellung „A Doll’s House“
Mein Selfie und ich
Frauenbilder: Die Gruppenausstellung „A Doll’s House“ im Goethe-Zentrum Baku fragt nach der weiblichen Selbstdarstellung in der zeitgenössischen Kunst. Künstlerinnen und Künstler wie Leah Schrager, Andy Kassier und Leyla Alakbarova geben kritische, ironische und verspielte Antworten.
Die Zahl 16 und ein Pluszeichen stehen groß auf zwei Tafeln an der Eingangstür zum Kapellhaus in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Ab 16 Jahren also ist die internationale Gruppenausstellung „A Doll’s House“ des Goethe-Zentrums freigegeben. Der Titel bezieht sich auf ein Theaterstück des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen, im Deutschen „Nora oder Ein Puppenheim“, das 1879 erschienen ist. Vater und Mann der Protagonistin Nora behandeln sie wie einen Besitz; der Vater geht mit ihr um wie mit einer kleinen Puppe, ihr Mann wie mit einer großen Puppe und sie selbst lebt mit ihren Kindern wie mit Puppen. Am Ende verlässt sie Mann und Familie, sie bricht aus ihrer Rolle als gute Mutter und Hausfrau aus.
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“
| Foto: Adil Yusifov
In Baku, wo die vorherrschende Religion der schiitische Islam ist, leben viele junge Frauen mit ihren Familien, bis sie verheiratet sind. Oft entscheiden noch Männer, wo sich Frauen aufhalten dürfen, in welchen Restaurants sie beispielsweise essen gehen dürfen, wie sie sich kleiden. Frauen tragen Kopftuch, nackte Haut wirkt hier provokant. Deshalb der Hinweis auf die Altersbeschränkung an der Tür.
Selbstinszenierung auf Instagram
Wie stehen fast 150 Jahre nach Ibsen die Geschlechter zueinander? Wie sieht das Bild der Frau aus? Wie wollen Frauen gesehen werden? Die Antworten der 13 Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung fallen unterschiedlich aus. Im digitalen Zeitalter liegt es nahe, zuerst in die sozialen Medien zu schauen, wenn es um Geschlechterrollen geht. Die amerikanische Künstlerin Leah Schrager und der deutsche Künstler Andy Kassier haben auf Instagram ausführlich zu männlicher und weiblicher Selbstdarstellung recherchiert. Frauen zeigen sich im häuslichen Umfeld, inszenieren sich und ihren Körper als begehrenswert, als würden sie sich dem männlichen Blick anbieten wollen und freiwillig zum Objekt machen. Für ihre Serie „Shades of Pink“ suchte Schrager eine beliebte Shooting-Location von jungen Frauen in Los Angeles auf, das Pink Dollhouse. Andy Kassier dagegen war für seine Arbeit „How to Take a Selfie“ fast ausschließlich an der frischen Luft unterwegs, junge Männer präsentieren sich nämlich als Naturburschen und Abenteurer, sie lassen ihre Muskeln spielen, stecken in Anzügen, stehen vor Autos, um Macht und Stärke zu demonstrieren.Im Hintergrund: Videoinstallation des brasilianischen Künstlers André Severo | Foto: Adil Yusifov Mit diesem Status quo beginnt die Ausstellung, mit nackten Hintern und nackter Haut. Am anderen Ende des Raumes tanzen Frauen und junge Mädchen anmutig in langen, weiten Kleidern in einer Videoinstallation des brasilianischen Künstlers André Severo. Sie drehen sich im Kreis, immer und immer wieder, wie ein Gif in den sozialen Medien. Nur ist das Bildmaterial so alt wie das Stück von Ibsen, die Bewegungsstudien stammen von Eadweard Muybridge, Severo hat sie zusammengeschnitten. Die Frauen strahlen Anmut und Unbeschwertheit aus, während sie sich wie Puppen im Kreis drehen. Ihnen zur Seite gestellt sind eine Drag-Queen im Video „Narrative reflection on Looking“ von Victoria Sin, Spielzeugpuppen in der Serie „Playground“ von Leyla Alakbarova und junge Frauen an der Schwelle zum Erwachsenwerden im Werk „Havana“ von Frank Thiel. Alakbarova sieht bei den Puppen, einem Massenprodukt, genau hin, Frank Thiel bei den jungen Frauen; er zeigt sie stark und selbstbewusst, während der Drag-Queen fremde Blicke zu Leibe rücken.
Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung „A Doll‘s House“ | Foto: Adil Yusifov