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Einführung

Von Fareed Majari

Da ist diese Stadt, von Lohnarbeitern erbaut, die verschwinden, wenn ihr jeweiliges Gebäude fertiggestellt ist. Sobald der letzte Ziegel vermauert ist ... beginnen die Arbeiter ... zu verblassen, bevor sie ganz verschwinden. Manche glauben, die Männer würden zu Geistern, die in den Fassaden spuken, an deren Errichtung sie beteiligt waren.



So beschreibt Deepak Unnikrishnan in seinem Roman Temporary People [Vorübergehende Menschen] die Existenz von Gastarbeitern – diesem unseligen deutschen Wort – in den Ländern des Persischen (Arabischen) Golfs.
 
Die Bilder von Lohnarbeits- und Dienstleistungskräften neigen dazu, in unserer Erinnerung zu verblassen, sobald unsere Interaktion mit ihnen beendet ist. Wir fragen uns nur selten, wo der Taxifahrer nach seiner Schicht hinfährt oder wie die Kellnerin oder der Essenslieferant ihre Freizeit verbringen. Hat die Krankenpflegerin, die unseren Blutdruck gemessen hat, Kinder? Wo sind sie und wer betreut sie?
 
Die Lohnarbeiter auf Baustellen, die in schwindelnden Höhen arbeiten, heben sich nur als Silhouetten von der heißen, strahlenden Sonne im Hintergrund ab. Wir nehmen ihre müden Gesichter nur kurz wahr, während sie sich beeilen, auf den Ashok-Leyland-Bussen einen Platz zu ergattern, der sie in ihre Arbeitslager bringt. Wir neigen dazu, uns auf unsere eigenen Angelegenheiten zu konzentrieren, und das ist auch überall auf der Welt normal. Aber sollte die bloße Tatsache, dass wir hier im Persischen (Arabischen) Golf fast alle im Exil leben – Ausgewanderte, Migrant*innen, Flüchtlinge oder, etwas mondäner, „Expats“ –, nicht unsere Sensibilität schärfen und unsere Neugier in Bezug auf unsere Mitmenschen steigern?   

Der in Palästina geborene Literaturkritiker Edward Said, der an der Columbia University lehrte, schöpfte aus seiner eigenen Erfahrung des Verlusts einer Heimat als einer Dialektik des Exils. Bei der Abwägung der romantischen, inspirierenden und erbaulichen Aspekte des Exils, insbesondere in der Literatur, gegen „Marginalität und Heimatlosigkeit“ wogen Letztere für ihn schwerer: „Exil ist als Gedanke merkwürdig fesselnd, aber als Erfahrung schrecklich.“ Dies ist in einer Ära von Massenmigration und Flüchtlingslagern umso zutreffender, die wenig Raum für Romantik lassen. Theodor Adorno charakterisierte seine Existenz im kalifornischen Exil als „beschädigtes Leben“, würdigte das Exil aber auch als Methode des Sich-Abfindens mit der Realität. Einer der Aphorismen in Minima Moralia lautet: „Der Splitter in deinem Auge ist das beste Vergrößerungsglas.“ Mit anderen Worten, der von einem Verlust von Verwurzelung und Zugehörigkeit angerichtete Schaden kann uns helfen, klarer zu sehen und uns ohne Dogmen oder vorgefasste Meinungen mit unserer Umgebung auseinanderzusetzen. Mag sein. Aber es ist ebenso möglich, dass ein übertriebener Esprit de Corps, krasse Klassenunterschiede und ein Gefühl der Anspruchsberechtigung genau den gegenteiligen Effekt haben können. Viele Expats genießen einen sehr hohen Lebensstandard und profitieren von den niedrigen Kosten für menschliche Arbeit, insbesondere im Dienstleistungssektor.
 
Laut der Hauptabteilung Wirtschaftliche Angelegenheiten der Vereinten Nationen (United Nations Department of Economic Affairs, UNDESA) gab es 2019 in den Ländern des Golf-Kooperationsrats (GKR) sowie Jordanien und Libanon 35 Millionen internationale Wanderarbeiter*innen, von denen 31% Frauen waren. Aufgrund der SARS‑CoV‑2-Pandemie ist diese Zahl im Laufe des vergangenen Jahres möglicherweise stark gesunken. Der Großteil dieser Arbeitskräfte stammt aus Südasien (hauptsächlich Indien, Pakistan, Bangladesch), den Philippinen, anderen arabischen Ländern (insbesondere Ägypten) sowie aus Afrika (hauptsächlich Äthiopien, Kenia, Nigeria, Uganda). Ausländische Personen machen in Bahrain und Kuwait den Großteil der Bevölkerung und mehr als 80% der Bevölkerung von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten aus. Die Heimatländer der Wanderarbeitskräfte sind stark auf Überweisungen aus den VAE ($40 Milliarden), Saudi-Arabien ($39 Milliarden) und Kuwait ($15 Milliarden) angewiesen. Der durch Covid bedingte Verlust von Arbeitsplätzen und Löhnen hat die Wirtschaft dieser Herkunftsländer stark belastet.
 
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) benutzt den Begriff „Wanderarbeiter“ für eine Person, die „aus einem Land in ein anderes Land auswandert, um sich dort anders als für eigene Rechnung zu betätigen“. Allerdings sind nicht alle Wanderarbeitskräfte in den GKR-Ländern schlecht bezahlte Lohnarbeiter*innen. In ihren Reihen findet sich auch bestens ausgebildetes und relativ gut bezahltes Krankenpflegepersonal aus den Philippinen oder Indien, das in seinen Krankenhausuniformen überall anzutreffen ist und derzeit in den Medien und auf Plakatwänden als Held*innen an vorderster Linie im Kampf gegen Covid gefeiert wird. Angestellte wie Ärzt*innen, Ingenieur*innen und Banker*innen, die oft als Expats bezeichnet werden, zieht es häufig aufgrund der höheren Löhne hierher. Manche sieht man sogar in ihren Porsches, Lamborghinis und Ferraris durch die Straßen von Dubai, Abu Dhabi oder Doha cruisen – hier ein wesentlich häufigerer Anblick als in den Ländern, in denen diese Autos produziert werden. Eine stattliche Anzahl von Menschen ohne Staatsbürgerschaft der Golfregion, die als Wanderarbeitskräfte begannen, wurden später zu Unternehmer*innen und Inhaber*innen von Restaurants, Läden, Startups und sogar Fabriken.
 
Die Arbeitsbedingungen sind überall in der Golfregion extrem unterschiedlich. Nicht zuletzt aufgrund der erhöhten internationalen Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der FIFA-Weltmeisterschaft 2022 in Katar haben die meisten Golfstaaten in jüngster Zeit weitreichende Reformen umgesetzt, die das Kafala- (Bürgschafts-)System weitgehend abschafften, das die Freiheit von Arbeitskräften einschränkte, ihre Arbeitsverträge zu beenden und sich eine neue Stelle zu suchen. Dennoch weisen Arbeitsrechtsorganisationen darauf hin, dass weitere Reformen nötig sind, solange Arbeitsbedingungen, Löhne und das Recht auf Tarifverhandlungen nicht den Standards vergleichbarer Volkswirtschaften entsprechen.
 
Love Labor Leisure ist eine (derzeit digitale) Ausstellung, die das Leben von Migrant*innen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Die hier versammelten Kunstwerke sind von einer künstlerischen Neugier inspiriert, von der wir hoffen, dass sie ihrerseits die Neugier unseres Publikums wecken wird. Die Kunstschaffenden stammen aus oder leben in den wichtigsten Herkunftsländern von Wanderarbeitskräften in den VAE.
 
Der in Beirut geborene und in Mumbai aufgewachsene Vikram Divecha lebt in Dubai. Für das Projekt Portrait Sessions bat er Lai*innen, hauptsächlich Lohnarbeitskräfte, sein Porträt zu malen. Zu Beginn jeder Porträtsitzung wurde auf der Basis des jeweiligen Lohns der Teilnehmenden bestimmt, wie viel Zeit dem Projekt für 150 Dirham ($ 40) zur Verfügung steht. Ohne sich auf Marx‘ Konzept des Mehrwerts zu beziehen, weist Vikram auf Arbeit und Zeit als entscheidende Faktoren bei der Erzielung von Gewinnen hin.
 
Bei dem Kurzfilm Negotiating Liberation führte die kenianische Filmemacherin Amirah Tajdin Regie. Die (auf 16-mm-Film gedrehte) Liebesgeschichte stellt einen typischen Wesenszug des Einwandererlebens in den Mittelpunkt: das Traurigsein und die Sehnsucht nach den Lieben daheim.
 
Die aus den Philippinen stammende Choreografin und Tänzerin Eisa Jocson beleuchtet die Körperpolitik im Dienstleistungs- und Unterhaltungssektor aus dem einzigartigen sozioökonomischen Blickwinkel der Philippinen. Ursprünglich wollte sie nach Dubai reisen, um die Arbeit von Filipinas in der Unterhaltungsindustrie zu untersuchen. Als diese Pläne von der Pandemie durchkreuzt wurden, produzierte sie in Manila drei Performance-Videos.  
 
Saba Qizilbash wuchs als Tochter pakistanischer Eltern in Dubai auf. Ihre äußerst detaillierten Panoramazeichnungen ähneln gleichzeitig Schwarz-Weiß-Fotos und Metallstichen oder Radierungen. Das Breitformat und die abgerundeten Ecken erinnern an einen flachgelegten Globus oder an alte Landkarten. Grenzen, willkürliche Demarkationslinien, die die Bewegungen von Menschen einschränken, sind im Werk der Künstlerin ein wiederkehrendes Motiv. Ihr Beitrag zu Love, Labor, Leisure trägt den Titel From Jabel Ali to Gwadar, eine Zeichnung eines imaginären Landweges zwischen zwei hochmodernen Seehäfen, einer nahe Dubai und der andere in Pakistan.
 
Der kommerzielle Fotograf Augustine Paredes aus Dubai steuerte eine Serie von Fotos bei, die seine ganz persönliche Geschichte davon wiedergeben, sich im Ausland ein Zuhause zu suchen, Lücken zu füllen und Liebe und Sehnsucht zu verstehen. Es handelt sich dabei um den persönlichsten Bericht in diesem Projekt.
 
Riyas Komus (Mumbai) großformatige fotografische oder hyperrealistische Ölporträts von Wanderarbeitskräften in den VAE erinnern häufig an die sozialistisch-realistische Kunst vergangener Zeiten. Arbeitstechnik und Format können als Versuch gewertet werden, die Persönlichkeit und Würde von Menschen wiederherzustellen, die gewöhnlich übersehen werden.
 
Mohamed Somji ist tansanischer Staatsbürger mit indischen Wurzeln und hat den Großteil seines Lebens in Dubai verbracht. Er ist Kurator, Fotograf und Direktor von Seeing Things und Gulf Photo Plus, beides Institutionen in der Dubaier Kunstszene. Seine großformatigen Totalaufnahmen zeigen die Bevölkerung von Dubai bei Freizeitaktivitäten.
 
Für New Silk Road Patterns #02 sammelte Anahita Razmi (Berlin) auf verschiedenen Märkten in Teheran, Tokio, Peking, Dubai und Istanbul Kleidung von minderer Qualität. In ihrem Werk hinterfragt sie historische und zeitgenössische Strukturen einer globalisierten Wirtschaft, Migration, Handel, Inklusion und Ausgrenzung.
 
Und jetzt ist es an der Zeit, mit der Musikkuratorin Nadia Says und internationalen elektronischen Künstler*innen und DJs aus Berlin, dem Mekka der elektronischen Musik, Party zu machen.

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