30 Jahre Mauerfall
Wie die Berliner Mauer nach Sydney kam
Überall auf der Welt finden sich Teile der Berliner Mauer: in englischen Gärten, in der Lobby eines Hotels in Texas, und natürlich zahllose Mauerteile in öffentlichen Parks, Kunstmuseen und Privatgrundstücken in ganz Europa. Nun wird eine Original-Betonplatte der Mauer in Sydney aufgestellt.
Von Scott Wales
Seit 25 Jahren markiert ein Stück Berliner Mauer den Eingang zu einem Deutschen Club am Stadtrand von Canberra. Aber wie es dazu kam, dass ein weiteres, drei Tonnen schweres Stück der Mauer in einer Lagerhalle in Blacktown im Westen von Sydney herrenlos vorgefunden wurde, ist eine ebenso schräge wie mysteriöse Geschichte.
Raymond Chims Familie leitet ein produzierendes Unternehmen im Westen von Sydney und hat im Lauf der Jahre Lagerraum untervermietet, unter anderem an einen deutsch-australischen Geschäftsmann namens Peter Kubiak.
„Um 2002 herum ließ Peter einen Container mit Industriemaschinen hierher liefern“, berichtet Raymond Chim. „Daran war nichts Ungewöhnliches, aber er sagte, es sei auch ein Stück Berliner Mauer mit dabei.“
Irgendwann brach der Kontakt zu Peter Kubiak ab und, wie Raymond erzählt, war es seiner Firma trotz intensiver Bemühungen nicht möglich, ihn ausfindig zu machen.
„Es ist, als sei es schon immer hier gewesen, es stand einfach im Lager herum, als gehöre es zum Mobiliar“, erzählt Chim. „Letzen Endes haben wir es hinaus auf den Parkplatz gestellt, wo es seither stand.“
Berliner feiern der Fall der Mauer in 1989
| Foto: Jürgen Lottenburger, © wir-waren-so-frei.de
Teil des Mobiliars
Chim sagt, er habe nie viel über die Bedeutung der Betonplatte nachgedacht, bis ein Freund letztes Jahr ein paar Fotos machte und auf Reddit postete.
„Lange Zeit stand einfach nur diese Platte der Berliner Mauer in unserer Fabrik, aber nachdem ein Freund von mir die Fotos gemacht hatte und ich mehr darüber nachzudenken begann, war es eher ‚Wow, das ist ein Stück der Berliner Mauer.‘“
Die Fotos wurden auf der Social-Media-Website Reddit gepostet, wo Sonja Griegoschewski, Direktorin des Goethe-Instituts Australien, auf sie aufmerksam wurde.
„Wir hatten nach Wegen gesucht, das 30-jährige Jubiläum des Falls der Berliner Mauer zu begehen“, erzählt Griegoschewski. „Als mir ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Canberra den Reddit-Post zeigte, fand ich das unglaublich – wie konnte dieses riesige Stück tatsächlich so lange Zeit verschwunden gewesen sein und niemand wusste davon?“
„Es war eine enorme Chance für uns, aber es bedeutete auch viel Organisation, und es musste alles mögliche klappen, damit aus dem Projekt tatsächlich etwas werden konnte.“Griegoschewski sorgte dafür, dass das Stück Mauer von Blacktown in den Osten von Sydney geschafft und dort in einem öffentlichen Park neben dem Goethe-Institut aufgestellt wurde. Die eine Seite ist leer, die andere ist mit einem Fabelwesen bemalt, aus dessen Mund die Worte „Jeder hat Kraft“ kommen.
Wie Griegoschewski erklärt, wird das Denkmal „eine bleibende Erinnerung an die Berliner Mauer sein, die eine Stadt – meine Stadt – und ihre Menschen fast 30 Jahre lang trennte.“
Eine einzigartige Geschichte
Die Berliner Mauer war das bestimmende Symbol des Kalten Krieges. 1961 vom ostdeutschen Regime in aller Hast errichtet, war sie ein kruder, aber wirksamer Versuch, dem Eisernen Vorhang, der Linie, die nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt den Osten vom Westen trennte, eine physische Dimension zu verleihen. Aber im November 1989 fiel die Mauer so schnell, wie sie errichtet worden war. Das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch des Kommunismus machten sie beinahe über Nacht obsolet. Und lange Zeit nach ihrem Fall konnte sich jeder, der ein Stück davon haben wollte, einfach eines mitnehmen.
Raymond Chim war gerne bereit, sein Stück Mauer vom Goethe-Institut umsiedeln zu lassen, unter der Bedingung, dass sie es auch abholten. „Das war tatsächlich ein Problem – drei Tonnen Beton durch die halbe Stadt zu transportieren war kompliziert und sehr teuer“, gibt Griegoschewski zu. „Aber dann fügte sich auf einmal alles.“ Das gefundene Segment der Berliner Mauer in seiner ursprünglichen Position im Februar 1990 | © ullstein bild / Getty Images Der Chef der in Sydney ansässigen Logistikfirma Henning Harders hat väterlicherseits starke familiäre Bindungen an Deutschland und erklärte sich bereit, das Stück Mauer kostenlos zu transportieren.
„Für die Deutschen war der Fall der Mauer etwas sehr persönliches“, erläutert Griegoschewski. „Es geht nicht nur um Geschichte. Ich bin Berlinerin, und die Mauer hat meine Stadt sehr lange geteilt. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls möchten wir diese Erinnerungen teilen.“
Der Stadtrat von Woollahra gab seine offizielle Genehmigung und das Stück Mauer wurde per Lastwagen erfolgreich quer durch Sydney an seinen neuen Standort geschafft.
Überraschende Entdeckung
In einer überraschenden Wendung löste sich das Rätsel um den ursprünglichen Besitzer der Mauer dann ebenfalls. Peter Kubiaks Tochter Jennifer wurde auf einen Medienbericht über den Fund des Mauerstücks aufmerksam gemacht, kurz bevor es von Blacktown in den Osten von Sydney umgesiedelt wurde.
Peter Kubiak steht neben seinen Stück Berliner Mauer in Sydney (circa 1990) | © Jennifer Kubiak „Ich konnte es nicht glauben“, sagt sie. „Mama meinte, ‚Ach du meine Güte, das ist unsere Berliner Mauer!‘“
Jennifer Kubiak erzählt, dass ihre Eltern sich im Jahr 2000 trennten, und als ihr Vater 2013 starb, ging die Geschichte der Mauer mit ihm verloren.
„Ich nahm an, dass er sie weiterverkauft oder verschenkt hatte, aber ich habe mich oft gefragt, was wohl daraus geworden ist.“
„Es freut mich sehr, dass sie an einen Ort kommt, an dem auch andere etwas davon haben, aber für mich ist sie noch immer eine sehr persönliche Verbindung zu Deutschland und zu meinem Vater und seiner Vergangenheit. Er war sehr stolz auf seine Herkunft und für ihn war es immer mehr als nur ein Souvenir.“
Sonja Griegoschewski betont, dass das Mauerstück heute etwas anderes repräsentiert als damals, als die Mauer eine feste Barriere war, die Berlin teilte.
„In den drei Jahrzehnten, in denen die Mauer stand, war Berlin Schauplatz eines politischen Spiels zwischen den Großmächten“, erläutert sie. „Aber ihr Ende kam aufgrund friedlicher Demonstrationen, ohne Blutvergießen.“
„In Stücken ist die Mauer ein Symbol für diese friedliche Revolution und nicht wie damals, als sie die Mauer war, die Barriere, die uns voneinander trennte.“
Das Mauerstück wurde am 23. November 2019 im Rahmen einer Feier zum 30. Jubiläum des Mauerfalls enthüllt. Es verbleibt dauerhaft in Euroka Reserve, dem kleinen Park direkt vor dem Goethe-Institut in Woollahra.