Gastbloggerin Susann
Erfahrungen aus zwei Welten
Jungmetropole Sydney oder das alteingesessene Berlin. Welcher Standort bietet einen attraktiveren Nährboden für dessen wachsende Gründerszenen? Susann Noé entdeckt Möglichkeiten in und Unterschiede zwischen beiden Städten. Wichtige Details, auf die es für den Einzelnen Gründer letztendlich ankommen kann.
Von Susann Noé
Ich habe über 10 Jahre in Berlin gelebt, und hier meine Studienzeit und ersten Arbeitsjahre verbracht, daher kann ich nur bestätigen: wer in Berlin lebt(e), der lebt günstig. Um die Jahrtausendwende bot die Weltstadt preiswerten Wohnraum und niedrige Lebenshaltungskosten gepaart mit einem aufstrebenden und pulsierenden Lifestyle. Diese im nationalen und internationalen Vergleich höchst attraktiven Grundvoraussetzungen schufen damals den Auftakt für das schnelle Heranwachsen einer kritischen Masse in der Gründerszene.
Als wohl bekannteste Keimzelle für Start-ups galt vor Jahren die Torstraße im Berliner Stadtteil Mitte. Diese Entwicklung erkannten auch viele regionale, bundesweite- und heute auch EU-Förderorganisationen sowie Berliner Hochschulen. Das zentralisierte Potential des Standortes setzte den Förder-Fokus auf die Hauptstadt, und wurde daraufhin zum ausschlaggebenden Pull-Faktor auch die großen Firmen anzulocken. Investoren blickten und blicken auf die Stadt Berlin, welche im nationalen und internationalen Vergleich nun eine Hochburg für die Gründerszene geworden. Die bekanntermaßen niedrigen Mindesteingangshürden bieten weiterhin ein Magnet für viele Start-ups.
Die Berliner Start Up-Szene kommt langsam in Bewegung
| Foto: Sebastian Herrman/Unsplash
Das Start-up Barometer für Sydney
Nach meinem Umzug von Berlin nach Sydney 2016 bin ich letztes Jahr das erste Mal mit der Start-up Szene in Sydney in Berührung gekommen. Ich empfand die Vorstellung daran ein eigenes Unternehmen in einem fremden Land zu gründen zunächst beängstigend. Überlegt euch mal, was alles dazu gehört! Es geht ja hier nicht mehr nur um die eine Idee. Es geht plötzlich auch um Dinge wie Rechtsformen, Finanzierung, Markenschutz und vieles mehr. Kann man all dem überhaupt Herr werden? Oder läuft man Gefahr, sich zu übernehmen? Nun, wie ich gelernt habe, kann man alles schaffen. Aber fast jedes Start-up steht und fällt mit seinem Team. Keiner kann alles allein, und viele die das Gleiche können, können eigentlich auch nur wenig. Die richtige Kombination an Leuten, gepaart mit gehörig Leidenschaft für die eigene Sache, viel Mut und Tatendrang, das bringt dich nach vorne.
Mit einer nachhaltigen Geschäftsidee zur Vermeidung von Plastik im Alltag ging unser Team also an den Start. In Politik und Gesellschaft ist das Plastik-Problem auf vielen Ebenen ein heißes Thema. Und so fand unsere Anti-Plastik-Idee für den Gastro Bereich, nach der sich bereits erfolgreich etablierten KeepCup und nachhaltigen Papp-Strohhalmen, in Sydney großen Anklang. Vor allem Corporates fanden Gefallen an der Idee und hätten bekundeten Interesse als Kunden. Das Geld sitzt etwas lockerer und man stößt eher auf offene Ohren als in Deutschland, war sofort mein erster Eindruck. Hier half aber auch das ‚kein-Plastik-Versprechen‘ der City of Sydney welches im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurde. Der Incubator begann, wie so viele andere Dinge im Moment, auf Zoom | supplied Das Einzige was unserem jungen Start-up nun noch fehlte war begleitendes Coaching und Expertenberatung. So etwas findet man in Programmen zur Förderung von Start-ups, sogenannten ‚Start-up Acceleratoren‘. Leider sind die Acceleratoren in Sydney ausschließlich auf neue Geschäftsideen im Technologie- und Innovationsbereich fokussiert. Nachhaltigkeit fiel bisher hinten runter. Als Student bzw. Alumni einer der großen Universitäten in Sydney kann man auch Unterstützung in Form von z.B. Arbeitsplatzbereitstellung oder Zugang zu Investoren erhalten. Ist man jedoch Absolvent einer Berliner oder anderen Hochschule, so wie ich, ist man hier erst einmal auf sich gestellt.
Wir legten also erstmal ohne initiale Förderung los und erkannten schnell was Sydney Gründern trotzdem Einzigartiges zu bieten hat. Kleine Starthilfen wie das durch NSW finanzierte Start-up hub in der York Street zum Beispiel. Ein modern eingerichtetes Gebäude eigens für die Gründerteams, mit einer Vielzahl kostenfreier Arbeitsplätze, gratis Internet und Workshops die es zu dem zentralen Ort für die Szene in Sydney machen.
Aber wie schon gesagt, für den Absprung vom Hobbyprojekt in die echte Selbständigkeit benötigten wir mehr Hilfestellung. Experten für Produktweiterentwicklung, Steuern oder strategischer Planung zum Beispiel. Dafür wurde ein Start-up Acceleratoren-Programm in Berlin dann die Lösung. Die florierende Start-up Metropole gibt auch nachhaltigen Start-ups eine Chance. Und so wurden wir in einem Acceleratoren-Programm aufgenommen, das Gründern mit Lösungsansätzen zur Vermeidung von Kunststoffabfällen und der Begrenzung des Einsatzes von Einwegplastik unter die Arme greift. Der sogenannte ‚Act on Plastic‘ Incubator startete am 1. April in der Start-up Stadt Berlin.
Back to Berlin - im Incubator
Nach vier Jahren wieder in der Hauptstadt zurück zu sein weckt Erinnerungen. Nicht nur die vielen Veränderungen in den Kietzen fallen einem sofort ins Auge, sondern auch für Gründer haben sich die einst so rosigen Ausgangsbedingungen etwas verändert. In den vergangenen Jahren sind die Preise für Büroflächen im Berliner Zentrum in die Höhe geschossen. In der Torstraße findet sich kaum ein Start-up mehr. Ab vom Schuss, aber dafür günstig und groß heißt jetzt die Devise.
Der ‚Act on Plastic‘ Start-up Incubator, eine Initiative des Europäischen Sozialfond (ESF) und dem Land Berlin, hat die Türen für seine Gründerschützlinge im Süden von Tempelhof eröffnet. Der Incubator bietet jedem Gründerteam in der ersten Phase des Programmes ein 6-monatiges Coaching, gefolgt von 6 Monaten finanzieller Förderung für 30 ausgewählte Stipendiaten in einer zweiten Phase. Ausgewählt wird, wer die am vielversprechendsten klingenden Ideen zur Vermeidung von Plastikabfällen in der Umwelt hat. Die Glücklichen Stipendiaten bekommen ein steuerfreies Stipendium von Euro 1,500 pro Monat. Ein Betrag, der auch heute noch gut zum Leben in Berlin ausreicht. Kein schlechter Platz für ein Feierabendbier: Tempelhofer Feld in Berlin | Foto: Ralf Knüfer/Unsplash Durch COVID-19 verlief der Start in den Incubator - so wie quasi alles in diesem Jahr - etwas anders als geplant. Am 1. April trafen wir uns das erste Mal nicht wie gedacht im eigens für uns erbauten Co-Working Büro in Tempelhof, sondern auf Zoom, um dann voll loszulegen.
Der Incubator konnte aufgrund der weltweiten Pandemie erst zwei Monate später als geplant seine Türen öffnen und nur mit Ach und Krach hatte auch ich es für das Programm in die Hauptstadt geschafft.
Endlich angekommen haben wir ‚Incubees‘ nun die Möglichkeit in unserem Co-Working Büro Ideen auszutauschen, gegenseitig Produkte zu testen oder uns bei einem entspannten Feierabendbier, wie jeden Mittwoch auf dem Tempelhofer Feld, über das Leben als Jungunternehmer auszutauschen.
Die zweite Phase im Incubator vergeht schnell und wir stehen nun vor dem großen Finale, der Teilnahme and einem großen Investoren-Pitch. Unsere Ideen nach einem Jahr vor einer Garde ausgewählter Investoren präsentieren zu können ist ein Segen und im Besten Fall können einige von uns eine erste Finanzierung erhalten, um den nächsten Schritt in ein erfolgreiches Unternehmertum zu gehen