Bicultural Urbanite Luke
Wenn dein Balkon auch dein Kühlschrank ist
Wenn Berlin eine Kehrseite hat, dann ist es wohl die Schwierigkeit, in einer Stadt, die nur so von faszinierten Neuankömmlingen strotzt, die passende Bleibe zu finden. Aufgrund des schieren Volumens an Bewerbern, mit denen es der Vermieter jedes Berliner Zimmers zu tun hat, fühlen sich die ‚lockeren‘ Kennenlern-Gespräche während der Besichtigungen oft so an, als sei man Kandidat in irgendeiner peinlichen Reality-TV-Show. Der Druck ist hoch – nicht nur all die fabelhaften Vorzüge der eigenen umwerfenden Persönlichkeit lautstark hervorzuheben, sondern dies auch noch auf eine Art zu tun, die einen nicht gleich wie den schlimmsten Angeber der ganzen Stadt aussehen zu lässt.
Und dann ist da noch der mühsame Prozess, dafür zu sorgen, dass es zu diesen Begegnungen überhaupt kommt. Bei jedem, der jemals ohne vorherige Beziehungen vor Ort eine Wohnung in Berlin suchen musste, kann der bloße Anblick des grellen Orange von http://www.wg-gesucht.de eine echte Krise auslösen. Ich kannte mal jemanden, der während seiner Berliner Wohnungssuche den Begriff ‚WG gesucht‘ in das Suchfeld seines Gmail-Kontos eingab: Ihm wurden über 200 Ergebnisse angezeigt. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. So versteht es sich von selbst, dass ich ohne zu zögern akzeptierte, als mir nach nur ein paar Wochen in Berlin ein „großes Zimmer in einem stattlichen, alten Gebäude in Neukölln“ angeboten wurde. Diese spezielle Wohngemeinschaft – oder, WG‘ – wurde von einem Freund eines Freundes eines entfernen Bekannten gegründet; mit anderen Worten, der Abstand ist groß genug, um die Geschichte erzählen zu können.
Zähneklappernde Straßenbauarbeiten
Nun weiß ja jeder, von welch zentraler Bedeutung das eigene Zuhause für unser persönliches Wohlbefinden ist. Die Menschen, Innenräume und Orte, mit denen wir uns tagtäglich umgeben, können uns wahrhaft in Himmel oder Hölle versetzen. Vor diesem Hintergrund kann man bedenkenlos feststellen, dass die Situation, in der ich mich nun wiederfand, suboptimal war. Die Sache verhielt sich nämlich so: Ja, die Wohnung lag in Neukölln. Aber nicht in einer der ultra-hippen Gegenden, die man in Kreuzkölln und ähnlichen Ecken findet; sondern ganz, ganz tief im Herzen des wahren Neukölln, wo einem das aktuelle Ausmaß an Straßenbauarbeiten im wahrsten Sinne des Wortes das Zähneklappern beibrachte. Und ja, das Gebäude war ein „stattliches altes“ Ding. Aber es war ein heruntergekommenes stattliches altes Ding, das dringend genau die Art von Rundumerneuerung benötigte, die dem Rest der Gegend gerade zuteilwurde.Die Küche in meiner wunderschönen Altbau WG in Friedrichshain, circa 2012. | © Isabelle Beyer Mir wurde mitgeteilt, ein Spülbecken würde innerhalb der nächsten Woche eingebaut, aber bis dahin könnten wir unser Gemüse im Bad abwaschen (sofern nicht gerade einer der anderen vier Bewohner duschte; ein Prozedere, das angesichts der immer wieder auftretenden Warmwasserprobleme eine Weile dauern konnte).
Mir wurde außerdem versichert, dass innerhalb einer Woche die doch recht praktische Annehmlichkeit eines Kühlschranks eintreffen würde – in der Zwischenzeit sollten wir jedoch die Außentemperaturen von 15 Grad Minus ausnutzen und unsere Frischwaren auf dem Balkon lagern. Und schließlich wurde mir versprochen, dass wir innerhalb der nächsten Woche Zugang zu dieser grandiosen Erfindung namens Internet haben würden. Hach; was für ein Optimismus.
Eine Woche verging, dann noch eine, und dann noch eine. Nach ungefähr einem Monat fand ich mich dabei wieder, wie ich meinen Broccoli vom eiskalten Balkon holte, um ihn nach fünfzehnminütigem Hämmern an die Badezimmertür neben der Toilette abzuspülen, und mich regelmäßig inmitten einer Kakophonie von Presslufthämmern und Bulldozern hinaus in den Schnee zu einem Internetcafé wagte, wann immer ich den Drang verspürte, im Netz nach etwas Besserem zu suchen – sprich also jede freie Minute. Ansonsten verbrachte ich meine Zeit in dieser Wohnung entweder mit der strategischen Vermeidung verkrampfter Interaktionen mit den ‚interessanten‘ Charakteren, die dort lebten, oder schlaflos in meinem zur Hauptstraße hinausgehenden Zimmer, das die ganze Nacht im Takt vorbeirauschender LKWs pulsierte – eine Geräuschkulisse, die noch von periodischen Schreianfällen und dem Zerschellen zerbrechlicher Objekte aus dem Nachbarzimmer unterstrichen wurde.
Berliner WG-Leben wie es sein sollte. | © Luke Troynar Langer Rede kurzer Sinn: Ich schaffte es, da lebend herauszukommen. Und dankenswerterweise war die nächste Berliner WG, in der ich mich wiederfand, das genaue Gegenteil der ersten – eine gemütliche, einladende Wohnung, die ich für die nächsten zwei Jahre gerne mein Zuhause nannte. Nicht nur erfüllte sie ihren Zweck als Familiensitz, sie beherbergte außerdem auch umgängliche, rücksichtsvolle und interessante Charaktere (diesmal ohne Anführungszeichen), die sich als perfekte menschliche Ausgangsbasis für mein heutiges Berliner Leben erweisen sollten. Ich schätze mal, die Moral von der Geschichte – mal abgesehen von ‚Erst denken, dann handeln‘ – ist, dass bei weitem nicht alle WGs gleich sind. Aber wenn man die richtige findet, eröffnet sich einem Berlin in all seiner rauen, unverwechselbaren Schönheit.