Bicultural Urbanite Luke
Der Berliner Sommer – Eine Liebeserklärung
Gott sei Dank ist es wieder so weit. Die Berliner Sonne ist aus weiter Ferne von ihrem jährlichen Sabbatical zurückgekehrt. Ab jetzt eskaliert die Lage dann auch eher schnell. Sobald die Temperaturen auf über 15 Grad kriechen, vervierfacht sich die Anzahl der Leute auf der Straße und Hemdknöpfe beginnen mit ungebremster Begeisterung aufzuplatzen. Die Vögel singen, der Alkohol fließt, und die kuriose deutsche Vorliebe für nackte Tatsachen kommt so richtig in Fahrt – Zeit für eine Liebeserklärung an den Berliner Sommer.
Nachdem ich an dieser Stelle meine Nöte, als australischer Expat den langen Berliner Winter zu überleben, bereits ausführlich geschildert habe, ist es nur fair, dem Sommer die blendende Kritik zukommen zu lassen, die er verdient. Denn Berlin ist eine Stadt mit zwei Gesichtern – eine saisonale Dualität, die so gravierend ist, dass sie wohlhabende Expats für einen beachtlichen Teil des Jahres in sonnigere Gefilde entfliehen lässt. Ein mir bekannter sehr sympathischer Kiwi pflegte genau dies zu tun: Jedes Jahr verbrachte er sechs Monate in Berlin, wo er ein paar coole Events organisierte, und flog dann nach Neuseeland zurück, sobald sich auf dem historischen Kopfsteinpflaster der Frost auszubreiten begann. Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals ohne ein Grinsen gesehen habe, das von einem Ohr zum andern reichte.
Am Kreuzberger Kanal entlang wird es langsam wärmer.
| © Luke Troynar
Nichtsdestotrotz kann es auch etwas für sich haben, sich durch seinen ersten grauen Berliner Winter zu kämpfen und dann Zeuge zu werden, wie die ganze Stadt plötzlich in allen Farben aufblüht. Wie jede Belohnung ist dieses Erlebnis umso süßer, wenn man das Gefühl hat, es auch verdient zu haben. Und wenn gegen Ende April eine ganze Reihe saisonaler Veranstaltungsorte entlang der pittoresken Kanäle wieder ihre Türen öffnen und auf dem Weg zu deinen Lieblingsplätzen am See an den Bahnstationen malerische Erdbeerstände wie Schilder Richtung Sommer aus dem Boden sprießen, dann weiß man, dass man es sich verdient hat. Das freundlichere Gesicht der deutschen Hauptstadt kommt zum Vorschein und es herrscht, jedenfalls für kurze Zeit, einmütig gute Laune.
Es gibt jedoch ein Element der Berliner Sommersaison, das kontroverser bleibt: der massive Zustrom an Touristen. Wenn im Juni/Juli die Hauptsaison kommt, kommt schnell das Gefühl auf, es seien doppelt so viele Leute in der Stadt. Und vielen Berlinern – den echten Einheimischen, den Langzeit-Ansiedlern aus dem übrigen Deutschland, den alteingesessenen Expats – sind die Horden an Besuchern, die durch Berlins Kultur- und Partyszene flanieren, nichts als ein nerviger Dorn im sommerlichen Auge. Ich persönlich empfinde den Ansturm an neuen Gesichtern hauptsächlich als erfrischend.
Sommer-Sonnenuntergang am Maybachufer.
| © Luke Troynar
Zugegeben, es nervt, wenn große Gruppen von Bummlern die Straßen verstopfen und den öffentlichen Nahverkehr mit Beschlag belegen; und natürlich gibt es immer ein paar von der abstoßenden Sorte Touristen, die jedem auf die Nerven gehen. Aber man sollte dabei nicht vergessen, dass zahlreiche ‚echte‘ Berliner einst selbst Touristen waren. Ich jedenfalls werde meinen ersten zweiwöchigen Urlaub hier nie vergessen, bei dem ich die europäische Sonne schon genoss, noch bevor ich so richtig heraushatte, wie man sich benimmt, um die Einheimischen versöhnlich zu stimmen und nicht unangenehm aufzufallen. Trotz meiner damaligen völligen Ignoranz – oder vielleicht gerade deshalb? – bleiben mir diese zwei Wochen als eine der besten Zeiten meines Lebens im Gedächtnis und ich habe eine gewisse Freude daran, zuzusehen, wie nun die aktuellsten Sommer-Neuzugänge an der Reihe sind.
Ob man den Ansturm von Urlaubern nun liebt oder hasst, eines ist sicher: Für Australier, die ein komplett anderes Spektrum an Jahreszeiten gewöhnt sind, ist die Pracht des Berliner Sommers etwas, das man am eigenen Leib erfahren muss, um es wirklich zu verstehen. Wenn man bedenkt, dass meine Mutter in Melbourne die Zentralheizung aufdreht, sobald die Temperaturen auf 15 Grad ‚sinken‘, ist es anfangs ein krasser Anblick, wie sich die Leute in den Parks in der Innenstadt an einem Tag, der für unser Empfinden doch etwas kühl ist, im Adamskostüm ins Vergnügen stürzen. Dann lebt man sich ein, ein paar Jahre rasen vorbei, und ehe man sich‘s versieht, reißt man sich an einem milden Frühlingstag voller Begeisterung selbst die Kleider vom Leib. Vielleicht ist es das, was es wirklich bedeutet, ein ‚Berliner‘ zu ‚sein‘.