Im April leiteten Dorothee Wenner und Pascal Capitolin einen Workshop für Filmemacher zur sogenannten i-doc. Im Interview sprechen die beiden über ihre Entdeckung der „boutique ambulante“ und was Berlin und Kinshasa gemeinsam haben.
Der Workshop im April diente zur Vorbereitung des Webfilmprojektes „Kinshasa Collection“. Dabei handelt es sich um ein innovatives, dokumentarisches Filmprojekt im Internet, das den Modemarkt zwischen der DR Kongo und China beleuchtet. Anfang Juli wird in Kinshasa gedreht – zusammen mit einigen Teilnehmenden des Workshops. Was war die tollste Begegnung während eures Workshops?
Dorothee Wenner: Für mich war der tollste Moment, als nach zwei Tagen allen klar geworden ist, was wir eigentlich machen wollen. Ich hatte das Gefühl: Wenn das jetzt schief geht, können wir eigentlich sofort nach Hause fahren. Unser Filmkonzept – eine Web-Serie, die dokumentarisch ist, aber gleichzeitig auch mit fiktionalen Elementen arbeitet – gab es hier noch nie. Es hat sich herausgestellt, dass den Teilnehmern von ihren Lehrern sehr starre Vorstellungen davon vermittelt wurden, was ein Dokumentarfilm ist und was innerhalb eines Dokumentarfilms erlaubt ist. Diese Schranken zu überwinden und rauszukommen aus dem Gefühl, man mache sich schuldig, braucht ein bisschen Vorbereitung.
Pascal Capitolin: Die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion haben sie sehr gut bespielt, sodass sie total verschwommen ist. Das war ganz in unserem Sinne und wir hatten schnell das Gefühl, dass wir mit Kollegen sprechen und etwas zusammen entwickeln wollen.
Ihr seid mit einer Projektidee gekommen, habt aber auch genug Raum für Veränderungen und Input gelassen. Gibt es Punkte, die sich am Projekt nochmals verändert haben?
Dorothee: Es gibt verschiedene Punkte. Ein paarmal haben wir uns der Realität angenähert: Wie läuft dieser Kleidungsmarkt? Manchmal war es andersrum: Ich saß in Berlin und habe mir irgendwas ausgedacht. Da hat sich dann sozusagen meine Phantasie der kongolesischen Realität angenähert. Etwa als ich gemerkt habe, was es mit dem Upcycling – dem Recycling von scheinbar wertlosen Abfallprodukten zu einem neuen Produkt – auf sich hat. Und es gibt jetzt die „boutique ambulante“ im Konzept.
Was ist das, eine „boutique ambulante“?
Dorothee: Die Kernidee ist, dass ein Kleidungsverkäufer als sein eigenes Schaufenster durch die Straßen geht. Es ist für mich ein Bespiel für die extremen Lebensbedingungen in Kinshasa. Hier ist es wahnsinnig teuer, einen Laden zu mieten. Die Menschen haben in einer Art und Weise darauf reagiert, die ich fast Science-Fiction-mäßig zukünftig finde. Wir haben Djo kennengelernt, dessen Geschäftsidee China, den Kongo und Europa zusammenbringt – quasi ein Weltunternehmen. Djo lebt in Kinshasa und hat mit Antonin, der in Guangzhou wohnt und Chinesisch spricht, einen Betrieb aufgemacht. Antonin macht Vorschläge, und schickt sie per WhatsApp oder WeChat an Djo. Wenn er etwas besonders Schickes entdeckt hat, dann bestellt Djo bei Antonin 20 T-Shirts, und die kommen eine Woche später aus China an. Die Mode, die er trägt, ist das, was er verkauft. Er wird auf der Straße von Fremden angesprochen. Das Outfit wird ihm sozusagen vom Leibe weggekauft.
Pascal: Das Mischen von verschiedenen Styles ist ein zentrales Element. Man kombiniert zum Beispiel Marken-Streatwear mit Homestyle, etwa indem man Hausschuhe zu einer total hippen Hose trägt. Die Stilrichtung heißt Glamchic.
Was ist euer Lieblingsort in Kinshasa?
Dorothee: Das Ausgehviertel Bandal, von den Kinois auch „Paris“ genannt, fand ich toll!
Pascal: Der große Markt. Die organische Bewegung an diesem Ort, der eigentlich sehr ungesund ist, fasziniert mich.
Was nehmt ihr als Souvenir mit nach Hause nach Berlin?
Pascal: Die Erinnerung an den Aha-Effekt bei den Teilnehmern, den Dorothee beschrieben hat. Ein wunderbarer Auftakt für unser Vorhaben.
Dorothee: Ich habe einen ganzen Koffer voll mit schicken Sachen! Und ich erinnere mich auch gerne an die tolle und unkomplizierte Atmosphäre. In einem solchen Workshop gibt es ja schnell Konkurrenzsituationen, im Sinne von: Ich behalte meine beste Idee für mich. Das war überhaupt nicht da.
Ihr wohnt beide in Berlin. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Kinshasa und Berlin? Wenn ja: welche?
Dorothee: Ich finde, die größte Gemeinsamkeit ist, dass die Leute hier ähnlich wie in Berlin sehr gerne ausgehen. Die Leute sehen zwar anders aus und machen sich deutlich schicker als in Berlin, aber die Stadt wird auch hier als Stadt genutzt. Gerade im Vergleich zu den afrikanischen Städten, die ich bis jetzt kenne, ist dies eine große Besonderheit. In Lagos zum Beispiel geht man viel aus, ist aber immer im Auto unterwegs…