Schleichende Spuren des kolonialen Erbes in Kunst und Leben der Einwohner Kinshasas
Laboratoire Kontempo

Virtuelle Ausstellung
© Christ Mukenge

Die Online-Ausstellung, die seit dem 17. Oktober 2020 unter https://labkontempo.com/en/ zu sehen ist, verdeutlicht, wie sich die im Denken der Kinois (Einwohner Kinshasas) präsenten Nachwirkungen des Kolonialismus oft unbewusst in Kunst und Alltagsgesten manifestieren. Wenn die Ausstellung sie nicht in den Vordergrund stellt, beweist es nicht umso mehr, dass das Denken schon zutiefst vom Kolonialismus geprägt ist…

Wenn man sich in den drei virtuellen Ausstellungsräumen, die für die Ausstellung Laboratoire Kontempo entstanden sind, umschaut, entdeckt man ein kollektives Machwerk von Künstlern verschiedener Ausdrucksformen, die sich auf unterschiedlichen Medien präsentieren. Es ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Kunsttheoretikern, Forschern und Fachleuten nach Analyse und Auseinandersetzung mit den „Spuren der kolonialen Strukturen in zwischenmenschlichen Beziehungen“ in Kinshasa. Die kulturellen und politischen Betrachtungsweisen, die in Video, Malerei, Fotografie, Performance/Installation, Zeichnung, Choreografie oder Collage zum Tragen kommen, orientieren sich an dem Ansatz, den das Duo Christ Mukenge/ Lydia Schellhammer entwickelt hat. Es wird nichts in Frage gestellt, sondern genau hingeschaut und erzählt.

So entwickelt sich filigran, vom ersten bis zum dritten Raum, der Diskurs der Künstler: ein direkter Bezug zu seinen Mitbürgern, den Kinois, aber nicht nur. Auch wenn das Motiv von Kinshasa im ersten Raum sehr präsent ist, kann es auf das ganze Land und sogar auf den afrikanischen Kontinent übertragen werden. Der lokale Bezug wird dann überwunden, es wird auf den Westen verwiesen und dessen Betrachtungsweise der Kunst oder der Künste Afrikas, wobei alles unmerklich auf die subjektive Konnotation der „afrikanischen Kunst“ reduziert wird. Als Einstieg in die Ausstellung des Laboratoire Kontempo geht es hier offenbar um „Une question de perspective“ (Eine Frage der Perspektive). Gezielte künstlerische Umsetzungen werden sowohl erforscht als auch kritisiert, da sich die Besucher anhand von "Au-delà de la pitié" (Jenseits des Mitleids), dem ersten Video des Duos Mukenge / Schellhammer, einer Mischung aus Animation und Malerei, ihre persönliche Meinung bilden. Das zweite Video, "Ton exoticisme est mon pain quotidien" (Dein Exotismus ist mein tägliches Brot), erinnert an eine ganze Reihe hartnäckiger Stereotypen, vor allem in Bezug auf die Hilfsmaßnahmen des Westens für Afrika, die so weit reichen, dass sie die Beziehungen zwischen den Menschen mitbestimmen. Sinzo Aanzas vier Fotomontagen "Une esquisse de la ville pour Manzambi de I à IV" (Entwurf der Stadt für Mazambi, I bis IV) können als architektonischer „Entwurf“ verstanden werden, der den urbanen Utopien von Bodys Isek Kingelez Gestalt verleiht. Zwei berühmte Straßenkreuzungen, Place de la Gare oder Place du 30. Juin, sowie der Kreisverkehr Rondpoint Victoire in "Une esquisse de la ville pour Manzambi I et II", geben einen neuen anregenden Charakter zu erkennen. Mega Mingiedis Zeichnung auf Papier "Nouveau fonctionnaire" (Neuer Beamter), erkennt dem kongolesischen Beamten einen Platz zu. Sein Traum von der Reform der öffentlichen Verwaltung, durch die er aus seinem prekären Leben herausfinden soll, beherrscht seine Gedanken und regt ihn zu vielen Überlegungen an.

Nacht der Unwissenheit

Der zweite Raum „Sortir de la grande nuit“ lädt ein (Die große Nacht zu verlassen). Und dazu nimmt uns Prisca Tankwey in ihre "Boite à Clichés" (Klischeebox) mit. Eine Performance/Installation, in der sie ihren Blick aufteilt, indem sie verschiedene Betrachtungsweisen und verfälschende Projektionen ihres Afrikas aufzeigt: sie sind Gegenstand reduzierender exotischer Phantasien, die von der kolonialen Vergangenheit, den anthropologischen Studien und Klischees gekennzeichnet sind und fortwähren. Durch mangelnde Kenntnis ihrer Kulturen und Traditionen tragen die Afrikaner jedoch dazu bei, diese zu verbreiten. Einige von ihnen tun sich offensichtlich sehr schwer damit, diesen ex-kolonialen Deckmantel, mit dem sie sich selbst präsentieren, wieder abzulegen. Peter Miyalu ist daher der Ansicht, dass es notwendig ist, mit einer "Mutilation" vorzugehen, deswegen auch die Rasur, eine Metapher für die Anregung, die er den Kongolesen nahelegt: das Denken soll bewusst dekolonisiert werden. Das im kollektiven Denken wahrnehmbare koloniale Erbe, welches im täglichen Leben feststellbar ist, führt dazu, die Tradition voreingenommen zu betrachten, da sie noch immer vom Geist der Kolonialisierung beherrscht wird. Dagegen verdeutlicht Paulvi Ngimbi mit "Ekuluzu" (Kreuz in Lingala) den aktuellen Einfluss dessen, was seiner Auffassung nach das Symbol für Religion, Heiligkeit und Sakralität, aber auch für Reichtum darstellt und wie sich das auf die Gesellschaft Kinshasas und die kongolesische Gesellschaft im Allgemeinen auswirkt. Ehemals von Missionaren zur Etablierung der Kolonisation eingesetzt, ist das Kreuz in den Volksglauben eingebunden, der manchmal eher abergläubisch, als in den christlichen Glauben verankert ist und gilt in seinen Augen als neuer „Fetisch“. Beim Betrachten von Barbie Chicken hat man zunächst den Eindruck, dass dieses Video von Elisabeth Bakambamba denkbar ungelegen kommt. Es mag so manche Gemüter schockieren, die Interpretation ist verwirrend und scheint aus dem Rahmen zu fallen. Der Performance-Tanz zum Rhythmus von Baby Girl, dem durchaus umstrittenen Titel der dänischen Gruppe Aqua, liegt scheinbar außerhalb des thematischen Rahmens von Laboratoire Kontempo. Es ist eher schwierig den Ansatz der Performerin, ihre lautstarke Entrüstung gegenüber Kosmetik-, Pharmaindustrie und Marketing in dieser Ausstellung unterzubringen. Ein Beitrag zur eigenen Selbstwahrnehmung? Möglicherweise ein Appell, sich nicht für das Nachahmen zu entscheiden, für die Schönheitschirurgie, die versucht, „jeden in den zu verwandeln, der er sein möchte“, so wie sie es hier kritisiert? Besser schneiden in Kinshasa Hautbleiche und Make-up ab, aber der Alarm könnte Gold wert sein, denn die Zukunft kann noch viele Herausforderungen für uns bereithalten! Wenn nun Elisabeth Bakambamba im Laboratoire Kontempo ihr Huhn – Barbie-Chicken genannt - in eine Blondine verwandelt, wäre das Angebot der Kosmetik- und Pharmaindustrie nicht nur illusorisch…

Atelierbesuch bei Sinzo Aanza

Vereinnahmung und Verlernen

Laboratoire Kontempo lässt den dritten Raum „En filigrane“ mit "Lele" (Kleid oder Gewand) ausklingen, einer Fotografie von Sephora Mianda. Die Künstlerin posiert in einem Kleid auf weißem Hintergrund, die Motive stammen aus der schwarzafrikanischen Schrift Mandombe, das Material: Papiercollage auf Wachsstoff. Die Paradigmen des „Afrikanisch-Seins“ werden hier also in Frage gestellt, insbesondere da der berühmte Kleidungsstoff Dutch Wax, der für das Symbol Afrikas steht, aus Europa importiert wird. Daher ist "Lele" nicht nur ein gutes Beispiel für die Wirkung der Vereinnahmung, sondern auch eine Aufforderung zur Wertschätzung der lokalen Textilien. In "Zetu" (Die Unsrigen), ihren beiden experimentellen Videos, fordert Godelive Kasangati uns auf, die Einflüsse importierter Sprachen im täglichen Leben zu hinterfragen: um zu erforschen, warum die fremden Sprachen die unsrigen dominieren. In "Abstraction", ihrem zweiten Video im Laboratoire Kontempo, widmet sich Elisabeth Bakambamba in ihrer Choreografie der Frage nach der Identität. In den Kontext gesetzt, könnte es die Wahrnehmung der bei der Geburt zugeordneten Identität widerspiegeln: Nachname, Vorname, Identitätsmerkmale wie etwa Geschlecht, kulturelle und soziale Herkunft und wie der andere sie wahrnimmt. Harmonie Eley knüpft in den Bewegungssequenzen ihrer Choreografie an die spielerische Welt der für Kinshasa typischen Kindheit an, in der Unbekümmertheit, Fröhlichkeit, gute Laune und Spaß im Vordergrund stehen. Eine Ermunterung, sich von der Last der Vergangenheit zu befreien, es den Kindern gleich zu tun, zu verlernen, um sich für ein neues Bewusstsein zu öffnen.

Der Kinois ist findig – er hat spontan ein Talent dafür jedes Konzept auf persönliche Weise neu umzusetzen, vermutlich auch, um es besser zu verinnerlichen. Am Ende dieser Erfahrung, bei der er Substanz und Essenz erkannt hat, übersetzt er sie in eine vertrautere Form und gibt ihr damit einen neuen Namen. Die zeitgenössische Kunst ist davon nicht verschont geblieben. „Kontempo“ ist der Begriff, der es wohl besser zu treffen scheint. Er hört sich auch mehr nach Kinois an und ist wohl besser in den allgemeinen Sprachgebrauch zu integrieren. Außerdem hat es den Anschein, dass sich von allen künstlerischen Ausdrucksformen die „Kontempo-Kunst“ am besten eignet, den durchschnittlichen Kinois zu „rühren“, seine Neugierde und Aufmerksamkeit zu gewinnen. Eine Live-Performance zum Beispiel kann einem Gemälde die Schau stehlen, egal wie schön die Landschaft oder das gemalte Porträt ist. Angeblich ist die Kunst, die am besten ankommt, oder vielleicht sollte ich lieber sagen, diejenige, die das Publikum dazu anregt, mit den Künstlern zu interagieren: zu hinterfragen, aber auch sich selbst infrage zu stellen. Laboratoire Kontempo hat sich diesen Aspekt zunutze gemacht, indem es sich mit den Spuren der Kolonialisierung beschäftigt.

Bis zu einem Grad abgeschwächt, der für viele nicht mehr wahrnehmbar ist, bleiben diese Spuren aber bestehen. Ihre Omnipräsenz äußert sich in der häufigen und gebräuchlichen Verwendung bestimmter „Redewendungen“, die zum festen Bestandteil des Alltags geworden sind, wie Kurator Jean Kamba erklärte. Darunter sind „Nga naza mundele! (Ich bin ein weißer Mann!)“, wenn ein Kinois zum Beispiel mit seiner Pünktlichkeit auftrumpfen will; oder um jemanden zu „beglückwünschen“: „Yo oza mundelee! (Sie sind doch ein weißer Mann!)“, weil er sein Wort gehalten hat usw.

Laboratoire Kontempo hat meines Erachtens seine Rolle erfüllt, da sein Ansatz darauf abzielte, unser Bewusstsein auf die alltäglich gewordenen Missstände, über die sich niemand mehr wirklich aufregt, aufmerksam zu machen. Kompliment an die Künstler für diese Ausstellung, die die Diskussion einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat, denn die Spuren der Kolonisation, obwohl sie inzwischen ziemlich verwischt sind, sind nach wie vor hartnäckig. Wenn man bedenkt, dass wir zu ihrem Fortbestehen beitragen!

Atelierbesuch bei Papa Mfumu'eto le 1er
 

Top