Digitale Hetze
Gegen den Hass im Internet
Cybermobbing und hetzerische Online-Kommentare haben schwerwiegende Folgen für die Betroffenen und fördern weitere Aggression. Die sprachliche Gewalt im Internet ruft in Deutschland auch Politik und Justiz auf den Plan.
Lukas Pohland ist erst 13. Doch statt Fußball zu spielen oder seine Freizeit mit Kumpels zu verbringen, erklärt er Politikern, was sie gegen Cybermobbing unternehmen können. Er wurde unfreiwillig zum Experten für die Hetze aus dem Internet, als er sich für eine gemobbte Mitschülerin einsetzte. Dabei, dass das Mädchen die Schule verließ, wollte er es nicht belassen und gründete eine Hotline für Betroffene.
Über eine Million deutsche Schüler betroffen
Das Perfide am Cybermobbing, das weiß heute auch Lukas, ist seine besondere Dynamik: Mobbing im Internet ist schwer kontrollierbar, die Inhalte – ob erniedrigende Kommentare, kompromittierende Fotos oder üble Beleidigungen – können sich rasant verbreiten. Zudem können sie jederzeit und überall gespeichert oder verändert werden. Die Hänselei endet nicht vor der Wohnungstür, sondern ist via Smartphone immer und überall gegenwärtig.
Besonders verbreitet ist das Phänomen unter Jugendlichen. „Du nervst, geh‘ sterben“ oder „Du bist so hässlich“: In Deutschland sind digitale Beschimpfungen für 1,4 Millionen Schüler trauriger Alltag, so das Bündnis gegen Cybermobbing in der „Cyberlife II“-Studie aus dem Jahr 2017. Gymnasiasten sind demnach seltener betroffen als Berufsschüler, Mädchen häufiger als Jungen. Die meisten befragten Jugendlichen, immerhin 72 Prozent, gaben an, online beschimpft oder beleidigt worden zu sein. Knapp die Hälfte wurde Opfer von Lügen oder Gerüchten, wobei in beiden Fällen Mädchen häufiger davon berichteten. Jeder Vierte wurde unter Druck gesetzt, erpresst oder bedroht.
Beleidigung von Flüchtlingen und ihrer Unterstützer
Doch auch Erwachsene bleiben nicht verschont. Laut einer Onlinebefragung des Bündnisses gegen Cybermobbing waren 2014 acht Prozent der Befragten – über 6.000 Erwachsene in Deutschland – Opfer solcher Beleidigungen. Frauen sind besonders häufig betroffen. Studien zufolge finden 59 Prozent der Attacken im privaten Umfeld statt, etwa wenn Menschen ihre Ex-Partner online stalken oder intime Videos von ihnen verbreiten. Meist bleibt es nicht bei einem einzigen Angriff, fast 40 Prozent der Mobbingattacken dauern länger als ein Jahr. Während die Betroffenen unter Persönlichkeitsveränderungen, Depressionen oder Suizidgedanken leiden können, gab fast jeder dritte Cybermobber an, „aus Spaß“ zu hetzen.
Eine weitere Form von sprachlicher Gewalt im Internet ist die sogenannte Hassrede. Im Gegensatz zum Cybermobbing richtet sie sich meist nicht gegen eine einzelne Person, sondern gegen eine Gruppe. Vor allem im Zuge der Flüchtlingsdebatte in Deutschland bedienen sich fremdenfeindliche Internetnutzer zunehmend einer aggressiven Sprache und fordern Gewalt. Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin, beschreibt ein gefährliches Prinzip: „Hassrede ist nicht nur ein Problem des kommunikativen Umgangs oder der Verbreitung, Anstiftung, Förderung oder Rechtfertigung von Hass. Sie ist zentral an der Erzeugung des Hasses und der für den Hass notwendigen Denkmodelle beteiligt.“
Internethass bedroht die Demokratie
Viele Formen des Hasskommentars, von Beleidigung bis Nötigung, sind bereits durch das Strafgesetzbuch abgedeckt. Dies ermöglicht der Polizei, gezielte Aktionen gegen Hassredner durchzuführen. Die immer stärkere Verbreitung von Hassbotschaften über das Internet veranlasste 2015 jedoch den damaligen deutschen Justizminister Heiko Maas dazu, darüber hinaus eine Task Force zu gründen und im Herbst 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, auf den Weg zu bringen: „Die geltende Rechtslage ist klar: Plattformbetreiber sind verpflichtet, strafbare Inhalte zu löschen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Dieses Recht müssen wir auch durchsetzen. Das ist der Zweck dieses Gesetzes. Die Gesetze muss jeder und jede von uns jeden Tag beachten; das muss auch für soziale Netzwerke gelten. Sie dürfen nicht länger zulassen, dass ihre Infrastruktur zur Begehung von Straftaten missbraucht wird.“
Auch international gibt es Unterstützung für das NetzDG, etwa vom früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan. Hass, Diskriminierung und Fake News im Internet seien die größte Bedrohung für die Demokratie, so der Friedensnobelpreisträger auf einem Vortrag an der Technischen Universität München im Februar 2018. Deshalb müssten die sozialen Medien den gleichen Regeln unterliegen wie die klassischen Medien. „Wir brauchen hier die gleiche Transparenz“, sagte Annan, „und klare Verantwortlichkeiten.“
Hilfe kommt ebenfalls aus dem Internet
Das Medium, über das der Hass transportiert wird – das Internet –, ist zugleich eine wichtige Quelle für Informationen zu Hilfe und Beratung. Ob für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene – zu den Themen Cybermobbing und Hassrede bietet das Netz ein großes Unterstützungsangebot. Eine wichtige Anlaufstelle ist der Verbund „Safer Internet“. Seit Juli 2016 ist zudem die Internetpräsenz von „No Hate Speech“ online, einer Kampagne des Europarats. Sie wird in Deutschland von den Neuen Deutschen Medienmachern koordiniert, einem Zusammenschluss von Journalisten und anderen Medienschaffenden mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. Die Website soll vor allem Jugendliche beim Umgang mit Hasskommentaren in Online-Medien und sozialen Netzwerken stärken. Initiativen gegen Hassrede wie #ichbinhier auf Facebook gewinnen darüber hinaus immer mehr Anhänger, ebenso digitale Bürgerrechtsbewegungen wie „Reconquista Internet“ des deutschen Moderatoren Jan Böhmermann.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)
Das NetzDG (komplett: Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken) ist am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Es soll soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook und YouTube zwingen, strafrechtlich nicht zulässige Inhalte schnell zu löschen. Verabschiedet wurde das NetzDG im Oktober 2017 vom Bundesjustizministerium, weil die Netzwerke unzulässige Hassrede nicht freiwillig entfernen wollten. Die Anbieter sind nun verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ – etwa Anleitungen zu schweren Straftaten, Volksverhetzung oder die Verbreitung verbotener Symbole – innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte haben sie sieben Tage Zeit. Kommen sie ihren Pflichten dauerhaft nicht nach, drohen Bußgelder in Millionenhöhe. Eine umstrittene Regelung im Gesetz sieht vor, dass die Netzwerke selbst entscheiden müssen, welche Äußerungen von Nutzern ganz eindeutig strafrechtlich nicht zulässig sind. Dabei besteht die Gefahr, dass viele Kommentare und Postings entfernt werden, die in juristisch nicht eindeutigen Grauzonen liegen. Overblocking nennt sich dieses vorsorgliche Löschen. Es ist zu früh zu sagen, ob Hassbotschaften und Cybermobbing in sozialen Netzwerken durch das NetzDG spürbar abnehmen werden. In den ersten 100 Tagen gingen rund 250 Beschwerden im Bundesamt für Justiz ein. Das ist wenig im Vergleich zur Schätzung der Regierung, die 25.000 Beschwerden jährlich erwartet. Im Juli 2018 sollen die ersten Transparenzberichte der Netzwerke vorliegen.
Wo das NetzDG nicht greift
Das NetzDG greift nur bei sozialen Netzwerken ohne spezielle Themen- und Nutzerfestlegung. Daher fallen zum Beispiel berufliche Netzwerke oder Fachportale nicht in den Anwendungsbereich. Dasselbe gilt für Dienste der Individualkommunikation, insbesondere E-Mail- oder Messenger-Dienste (zum Beispiel WhatsApp), sowie Portale, die weniger als zwei Millionen registrierte Nutzer in der Bundesrepublik Deutschland haben. Es muss aber bedacht werden, dass vor allem Kinder im Wesentlichen zwei Arten von Online-Interaktion nutzen: die Chatfunktion in Spielen und WhatsApp-Gruppen mit Mitschülern oder Vereinsmitgliedern. Hier gibt es noch keine gesetzliche Handhabe gegen Cybermobbing. Experten raten Betroffenen, sich Lehrern, Eltern oder der Polizei anzuvertrauen. Alternativ können sie auch Beratungsangebote wie die (Cyber-)Mobbing Erste-Hilfe-App der Initiative klicksafe oder Hilfhotlines nutzen.