Noémi Kiss empfiehlt
Archipel
Inger-Maria Mahlke wurde in Hamburg geboren und ist Juristin, als Kind verbrachte sie ihre Urlaube auf Teneriffa, woher ihre Mutter stammt. Mahlke kennt demnach den Ferienort des deutschen „geordneten” Bürgertums gut, welches hier auf die spanische koloniale Mentalität trifft. Archipel erzählt genau hundert Jahre aus dem Leben von drei Familien. Anhand dieser Familien bekommt man einen Einblick in das Alltagsleben und die engmaschige, von Tragödien durchzogene Vergangenheit dreier verschiedener gesellschaftlicher Schichten. Die Komposition ist wirklich bravourös! Die Handlung des Romans steckt voller spannender Wendungen. Schon am Beginn des Buches erfährt man, dass „Archipel” der Name einer nicht existierenden Insel ist, die einmal entstehen soll. Ein Ort ohne Vergangenheit und Wurzeln, wo jeder glücklich sein kann. Nur dass sich herausstellt, dass es eine solche ersehnte Insel nirgends gibt, so wie auch keine menschlichen Beziehungen ohne Vergangenheit und Wurzeln existieren. Dieser Roman ist ein Meisterwerk der Alltagssituationen, Dialoge und Beziehungen. Seine Kapitel erinnern an Filmetüden: Die einzelnen Teile bieten jeweils einen Einblick ins Leben einer (fehlbaren) Figur, dann folgt ein klarer Schnitt, und im nächsten Kapitel findet man sich in einer ganz anderen Situation wieder. Man weiß nie, was passieren wird, wer sich worin verstrickt, und auch die Dialoge zwischen den Figuren bringen, ähnlich wie im Nouveau Roman, stets neue Wendungen. Nicht immer kann ich mich so sehr für preisgekrönte Bücher begeistern, doch Inger-Maria Mahlke hat den Deutschen Buchpreis 2018 meines Erachtens zweifelsfrei verdient erhalten.
Inger-Maria Mahlke
Archipel
Rowohlt, Hamburg, 2018
ISBN: 978-3-498-04224-0
432 Seiten
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