Friedrich Dahlhaus empfiehlt
Die Außenseiter
Stark ist das Buch insbesondere immer da, wo es historisch oft schon Vergessenes wieder ins Bewusstsein ruft. Wer erinnert sich noch wirklich an den Exodus der Griechen Kleinasiens nach dem Ende des Ersten Weltkriegs? Oder an die Flüchtlinge nach der Ungarnkrise 1956 oder dem „Prager Frühling“ 1968? Kurzbiografien zu den Lebensläufen von realen Flüchtlingen und Kurzporträts von Akteuren der Flüchtlingspolitik, wie dem UNHCR, machen darüber hinaus die Darstellung der historischen Abläufe lebendig.
Es ist sicher das Verdienst des Buches, deutlich zu machen, wie sehr Flucht und Flüchtlinge seit Jahrhunderten zu Europas Geschichte gehören – und sie oft auch geprägt haben. Etwas schwieriger wird es mit der Annäherung an den Begriff der „Integration“. Hier führt der Autor zwar zahlreiche historische Beispiele – vor allem erfolgreicher – Integration an. Hinsichtlich der aktuellsten Situation in Europa seit 2015 tritt die Trennschärfe historischer Begrifflichkeiten aber gelegentlich zugunsten einer eher appellativen Annäherung an das Thema zurück.
Man kann Philipp Thers Studie als Handbuch zu einer seiner Jahrhunderte andauernden „Normalität“ von Fluchtbewegungen verstehen und liest sie mit großem Erkenntnisgewinn. Zumal die Studie zahlreiche Anregungen für weiterführende Diskussionen im Kontext der Spannungsfelder von Nationalismus, Humanitarismus, Integration und europäischer Flüchtlingspolitik bietet.
Philipp Ther
Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Migration im modernen Europa
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2017
ISBN 978-3518427767
436 Seiten
E-Book in der Onleihe des Goethe-Instituts ausleihen