Kristina Sprindžiūnaitė empfiehlt
Kein Sturm, nur Wetter
Judith Kuckart (Jahrgang 1959) ist keine Anfängerin auf der Literaturbühne, auch wenn sie vom Tanztheater kommt. Daran lassen unwillkürlich ihre plastischen Figuren und feine Rhythmik denken. Ja, auch starke emotionale Intensität mit Sogwirkung. Durchsetzt mit Visionen sind die Erinnerungen ein bewährtes Mittel, um zu zeigen, was im Leben eher misslungen war, aber auch dem menschlichen Gehirn erzählerisch nahezukommen. Denn die Neurobiologin forscht, was alles unser Gehirn nachweislich zum Beziehungsorgan macht. Welches nebenbei auch sehr gut die Zahlenmagie herstellen und legitimieren kann: Die Zahl 18 in Bezug zum Alter kommt in mehreren Konstellationen vor.
Die Szenen rucken vor und zurück in der Zeit, dies wirkt aber nicht verwirrend, sondern organisch, weil man ja auch sich selber überhaupt nicht chronologisch erzählt. Dazwischen kommen Aufzeichnungen der Journal-Ebene, in der von subjektiver Betrachtung zu der eines Außenstehenden, vom Spiel- zum Arbeitslicht umgeschwenkt wird. Auch dieser Wechsel animiert bestimmt Gedanken im Hinterkopf, ob wir nun das sind, was wir vergessen haben, und darüber hinaus. Denn: Geschichten sind nicht zu Ende, wenn Bücher zu Ende sind.
DuMont
Judith Kuckart
Kein Sturm, nur Wetter
DuMont, Köln, 2019
ISBN 978-3-8321-8386-8
224 Seiten
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