Maarja Jakobson
Von Gummibären bis zum deutschen Theater
Maarja Jakobson - Schauspielerin
Im Jahre 1988 beschlossen alle meine Klassenkameraden am Gymnasium in Otepää, die gute Zensuren hatten, Englisch zu lernen. Ich – auch eine vorbildliche Schülerin – entschied mich für Deutsch. Die Anregung hierfür lag an einem früheren Besuch meiner Oma bei ihrer Schwester, die in den Wirren des Krieges nach Deutschland gelangte und dort blieb. Als Oma in den 1970ern meine Großtante besuchte, brachte sie einen ganzen Haufen ausländisches Zeug mit: Alle möglichen Klamotten und Stoffe, bunt bedruckte Plastiktüten und Bonbons aus Gummi, die einem südestnischen Mädchen besonders verlockend erschienen. Diese Haribo-Gummibären reichten bei meiner Oma unendlich lange, immer wieder konnte ich diese bunte, anders riechende Wunderwelt stückchenweise vernaschen.
Meine erste Lehrerin, Frau Maila Värk, brachte uns vor allem das Sprechen bei, und die Sprache schien gar nicht so schwer zu sein. Nach dem Schulwechsel nach Tartu hatte ich einige strengere Lehrer, die mehr Wert auf Grammatik legten. Erst später, als noch Englisch als Fremdsprache dazukam und ich meine Deutschkenntnisse mit Sprachkursen vertiefte, begann ich allmählich das wahre Wesen der Sprache und ihrer Struktur zu begreifen. Das Lernen der deutschen Sprache fand mit der Immatrikulation zum Germanistik-Studium an der Universität Tartu sein Ende, eine Philologin ist aus mir aber nicht geworden: Mich zog es an die Theaterschule.
Mit Deutsch auf Du und Du kam ich eigentlich erst nach der Theaterschule, als ich 2000–2001 meine Ausbildung in Berlin fortsetzte. Ich verschlang in diesem Jahr alles, was eine vor Kultur strotzende Großstadt bieten konnte, ich lernte andere Traditionen des Theaterspielens und der Theaterausbildung kennen. Deutsch ist tief in mir verwurzelt: Wenn ich mitternachts, aus dem Schlaf gerissen, am Telefon auf Deutsch antworten müsste, wäre das kein Problem. Natürlich hätte ich meine Laufbahn auch dort fortsetzen können, aber im Nachhinein muss ich bekennen, mein Entschluss nach Estland zurückzukehren, war ganz und gar richtig. Meine Freundin in Berlin besuche ich immer wieder gern und genieße die Möglichkeiten, deutsches Theater zu erleben.
Sprachkenntnisse geben uns die Chance von außen auf Estland zu blicken. Außerdem eröffnen sie uns die Welt, und ermöglichen neue Freunde zu finden. Ist das nicht ein tolles Komplett-Paket?