Protestkunst
Kunst in Zeiten von Instagram
Politisches Engagement wird in der Kunstszene nicht immer nur positiv bewertet. Zuweilen wird der Einsatz für eine gute Sache als „Servicekunst“ oder schlicht als „gut gemeint“ abgetan. Bilder entstehen, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen und um gepostet zu werden.
Einen Tag bevor im Juli 2017 die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zum G20 Gipfel zusammenkamen, schlurften 1.000 lehmverkrustete Gestalten in Zeitlupe durch die Hamburger Altstadt. „Die 1000 Gestalten sollen eine Gesellschaft verkörpern, der das Gefühl dafür abhanden gekommen ist, dass auch eine andere Welt möglich ist“, steht als Erklärung auf der Website der Kunstaktion. Mit leerem Blick wurde über Menschen gestiegen, die auf der Strecke blieben, zu Boden sanken, nicht mehr konnten. Nach gut 90 Minuten dann die Erlösung. Die grauen Gestalten rissen sich die Kleider vom Leib, halfen sich gegenseitig auf, fielen sich in die Arme und tanzten jetzt bunt und fröhlich gemeinsam durch die Straßen. Happy End.
So einfach ist es im richtigen Leben nicht – könnte es aber sein, wenn nur alle mitmachen. Das ist in etwa die Botschaft der Protestaktion. Wie schlecht das tatsächlich klappt, war in den folgenden Tagen zu sehen: Vermummte zogen durch Hamburgs Straßen, es flogen Steine, Böller und Flaschen, Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke wurden eingesetzt, Barrikaden errichtet, Scheiben eingeschlagen und Autos angezündet. Es gab zahlreiche Verletzte und Hunderte Festnahmen. Aber wenigstens gab es schöne Bilder von den „1000 Gestalten“ für Instagram, so könnte man hämisch kommentieren. Denn natürlich wurde die Gruppenperformance auch inszeniert, um geinstagrammt zu werden. 1.000 Likes für Protestkunst.
Protestieren, um zu gefallen?
Was ist die Kunst in Zeiten von Sozialen Medien? Ein Like? Ein Aufreger? Wird die Kunst instrumentalisiert, um ihren Machern Aufmerksamkeit zu garantieren? Kann Kunst überhaupt in einer politischen Krise helfen oder führt es sie selbst in eine Krise, weil Kunst mit Aktionismus verwechselt wird?Eines zumindest kann man vielen Künstlern nicht vorwerfen: dass sie unpolitisch sind und sich einfach raushalten. Der Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans hat vergangenes Jahr Plakate entworfen, mit denen er die Briten vor dem Austritt aus der EU warnte. Er stellte die Plakate ins Netz, sie konnten heruntergeladen, gedruckt und aufgehängt werden. „What is lost is lost forever“, stand auf einem der Protestplakate.
Die Anti-Brexit-Kampagne von Tillmans ging auch viral, weil der James-Bond-Darsteller Daniel Craig eins der Motive als T-Shirt trug und Tillmans ein Foto schickte, das dieser wiederum bei sich auf Instagram teilte. Tillmans versteht sich als ein Verstärker; die sozialen Medien machen seine Stimme noch lauter, während er auf die Schlagkraft seiner Argumente und Inhalte setzt. „No man is an island. No country by itself“, steht auf dem T-Shirt von Daniel Craig. Darunter: Vote Remain. So wie es für den Künstler nur eine Meinung zum Brexit geben konnte, gab es auf die Kampagne von Tillmans fast nur Zustimmung. Weil er reflektiert und besonnen agierte und ein Ziel hatte, nämlich die Aufklärung und Mobilisierung der Wähler.
Kein Protest ohne Spektakel
Tillmans Aktion ist eine Seltenheit. Kein Protest ohne Spektakel, so könnte man die Aktionen der letzten Zeit zusammenfassen. Es wurde heftig diskutiert, gestritten und bisweilen scharf verurteilt, was Künstler sich haben einfallen lassen. Allen voran Ai Weiwei und das Zentrum für politische Schönheit. Ai Weiwei stellt ein Foto nach und legt sich an den Strand wie der ertrunkene, drei Jahre alte Aylan Kurdi. Zu plakativ, zu opportunistisch, zu zynisch, kurz: ein Skandal – so die Reaktionen im Netz. Das Zentrum für politische Schönheit kündigte an, dass in Berlin Flüchtlinge von Tigern gefressen werden, sollte das Gesetz nicht abgeschafft werden, dass Beförderungsunternehmen verbietet, Personen ohne Einreiseerlaubnis zu transportieren. „Unser Kommentar zu #fluechtlingefressen: Aktion ist zynisch & wird auf dem Rücken der Schutzbedürftigen ausgetragen“, twitterte das Bundesministerium des Inneren. Eskalation für größtmögliche Aufmerksamkeit.Servicekunst?
Die Diskussionen in der Kunstwelt sind kontrovers: Wolfgang Ullrich ist sich sicher, dass politische Aktionskunst nicht die bessere Form des Protests ist. Er befürchtet, dass sich dadurch die Fronten eher verhärten. Kia Vahland sieht in der SZ die Verantwortung bei uns, dem Publikum der Künstler: „Die Macher bieten Servicekunst, sie verkaufen ein gutes Gewissen so wie die Teebeutelhersteller, die ihre Produkte mit aufgedruckten Lebensweisheiten an die Leute bringen.“ Und Julia Voss reagiert in der FAZ auf den Vorwurf, dass Künstler wie Ai Weiwei das Flüchtlingselend für eigene Zwecke instrumentalisieren. Die Kunstgeschichte sei voll von Beispielen, in denen politisches Engagement zum Karriereknick führte, schreibt sie.Wie man die einzelnen politischen Kunstaktionen für sich auch einordnen mag, die Künstler jedenfalls haben geschafft, woran ihnen gelegen war: die Diskussion um aktuelle politische Probleme zu forcieren.