Christina Walser und Doris Schneider
Eine Bibliothek ist eine Bibliothek ist eine Bibliothek …?

Sessel
Bild: Christina Walser

Ja, stimmt. Medien, Regale, Kunden. Das passt immer. Und nein, so kann man den Satz nicht stehen lassen, wenn man aus Deutschland kommt und während eines zweiwöchigen Aufenthaltes neun finnische Bibliotheken besucht hat. 

Die Unterschiede zwischen deutschen und finnischen Bibliotheken werden schnell deutlich - meinen Christina Walser und Doris Schneider, beide Bibliothekarinnen aus Bayern, die im November 2018 mit Erasmus+ in Helsinki, Espoo, Lappeenranta und Turku waren. Einige Schlaglichter, Impressionen und Eindrücke sollen diese vierzehn Tagen beleuchten.
 

Finnland – Designland

In Deutschland weiß man: Finnen legen großen Wert auf schöne Gegenstände. Spätestens nach dem Besuch der zweiten Bibliothek kann man das bestätigen. Schon von außen fällt auf, dass Bibliotheken oft in architektonisch bemerkenswerten Gebäuden untergebracht sind. Die Möblierungen sind zweckmäßig, aber immer hochwertig, mit einem besonderen Verständnis für das Zusammenspiel von Formen, Farben und Materialien, die für eine angenehme Aufenthaltsqualität sorgen. Der Grundsatz „praktische Dinge dürfen auch schön sein“, wird konsequent verfolgt. Der Besucher fühlt sich sofort gut aufgehoben in dieser Atmosphäre. Oft gehört auch ein ansprechendes Café zur Bibliothek.
In den Augen der deutschen Besucherinnen wirkt alles sehr gepflegt; die finnischen Bibliothekskunden wissen ihre Umgebung offensichtlich zu schätzen und gehen sehr sorgfältig mit der Einrichtung um. Und: es gibt kaum Verbotsschilder in Bibliotheken!
 

Das finnische Bibliotheksgesetz

Öffentliche Bibliotheken genießen in Finnland einen sehr hohen Stellenwert. Deswegen hat Finnland etwas, wovon die deutsche Bibliothekswelt seit Jahren spricht und träumt: Finnland hat ein Bibliotheksgesetz. Dieses Bibliotheksgesetz (inzwischen in einer überarbeiteten Ausgabe) gilt zwar nur für öffentliche Bibliotheken, definiert aber das Aufgaben- und Serviceangebot von Bibliotheken und sorgt z. B. dafür, dass Vormerkungen kostenfrei sind. Zudem trifft es Aussagen über die Qualifikation des Personals und die Qualität des Angebots. Der Versuch eine Bibliothek zu schließen führt sofort zu massiven Protesten in der Bevölkerung.
 

Die finnische Berufswelt

Wegen der guten Kinderbetreuungssituation in Finnland arbeiten fast alle Vollzeit. Weit verbreitet sind die Möglichkeiten von Telearbeit. In einigen großen Bibliotheken bzw. Bibliothekssystemen wird ein Job Rotation Modell (Jobrotationsmodell?)  gelebt, in dem nach einigen Jahren die Stelle gewechselt werden muss.

In deutschen Augen ungewöhnlich ist die verbreitete Nutzung von Mobile Office oder Open Space. Es gibt weder feste Büros, noch individuelle Schreibtische. Wer kommt, überprüft die freien Plätze, nimmt seine Sachen aus einem Schrankfach oder holt seinen Rollcontainer und setzt evtl. sein Namensschild auf einer Übersichtstafel an den entsprechenden Arbeitsort. Dazu gibt es kleinere und größere Besprechungszimmer, oft mit einer hochwertigen Konferenzausstattung für Skype-Meetings, Räume für konzentriertes Arbeiten oder verteilt im Gebäude Besprechungsinseln als Orte des Rückzugs.
 
Die Aufgaben von Bibliotheken haben sich auch in Finnland in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Vor diesem Hintergrund werden neue Kompetenzen in den Bibliotheken gebraucht und die Personalstrukturen in den Bibliotheken verändert. Zunehmend werden fachfremde Kollegen eingestellt, wie Pädagogen oder IT-Spezialisten. Auch die klassischen bibliothekarischen Berufsbezeichnungen verschwinden. So findet man z. B. einen ‚Information Specialist‘, Senior Specialist‘ oder einen ‚Coordinator‘. Es dauerte ca. 10 Tage, bis wir auf die ersten Kollegen trafen, die von sich selber sagen „ich bin ein echter Bibliothekar“!
 

Makerspaces und Fablabs

In Finnland in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken fast schon Standard. Mit 3D-Druckern, Nähmaschinen und Roboterprojekten, die ganze Menschen nachbauen. Nicht nur die technische Ausstattung ist beeindruckend. Auch die personellen Ressourcen, die in diesen Bereichen stecken und die konsequente Fortbildung der Mitarbeiter.
  
  • Roboterhand Bild: Christina Walser
  • Sessel Bild: Christina Walser
  • Nähmaschinen Bild: Christina Walser
  • Lampen Bild: Christina Walser

Open science

Aufgrund der EU-Initiativen in Finnland ein wichtiges Thema mit einer eigenen Website: openscience.fi. Ergebnisse von öffentlich geförderter Bildung und Forschung sollen öffentlich zur Verfügung stehen. Nicht nur um die Wissenschaftswelt so optimal wie möglich zu versorgen, sondern auch um die wissensbasierten Gesellschaften zu stärken. Arbeitsgruppen an Hochschulen mit Bibliothekaren, Informatikern und Forschern kümmern sich um Themen wie Datenmanagementpläne und Open data. Die Idee des Open Access wird nicht nur bei Hochschulpublikationen einschließlich der Abschlussarbeiten konsequent verfolgt.
 

Davon können wir lernen

Kooperation wird in finnischen Bibliotheken sehr kreativ gelebt. Jenseits der klassischen Zusammenarbeit im Veranstaltungsbereich, gibt es ganz selbstverständlich Dinge wie: Das Busticket, das einem den Zugang zur Bibliothek öffnet, der Leseausweis, der als „culture card“ Sonderkonditionen für Theater- und Konzertbesuche ermöglicht. Der Trend geht zu hybriden Häusern, in denen Bibliotheken in Einkaufszentren, Bürgerhäusern oder Gesundheitszentren eingerichtet werden. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Bereichen sind dabei fließend. Es gibt keine abgegrenzten Räume für die unterschiedlichen Funktionen. Für den Kunden ist es nicht wichtig, ob er mit einem Mitarbeiter der Bibliothek, des Kulturinstituts oder des zentralen Kartenvorverkaufs spricht. Hauptsache, ihm wird in seinem Anliegen geholfen.
Und worauf wir wirklich neidisch sind: das schnelle, überall funktionierende Netz.
 
Dass wir all das erleben und erfahren durften haben viele Kolleginnen und Kollegen in Finnland ermöglicht. Ihnen allen sagen wir ganz herzlich Danke schön! Und freuen uns sehr, wenn wir die Gastfreundschaft in unseren deutschen Bibliotheken erwidern dürfen!