Eeva-Kristiina Harlin
Máttaráhku ládjogahpir –
Die Hornmütze der Vormutter

Outi Pieski im Finnischen Nationalmuseum vor dem Abbau der Ausstellung 2017. Die Hornmütze gehörte einst ihrer Vormutter Gáddjá Boine.
Outi Pieski im Finnischen Nationalmuseum vor dem Abbau der Ausstellung 2017. Die Hornmütze gehörte einst ihrer Vormutter Gáddjá Boine. | Foto: Eeva-Kristiina Harlin

 Zur Rückführung des Kulturerbes der Samen

In den im Keller des Museums Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem gelegenen Archiven befindet sich eine Sammlung von 980 Gegenständen der Samen. Unter diesen Objekten sind vier Ládjogahpire (Hornmützen) und vier Fierras (Holzstück, das im Inneren der Mütze durch seine hervorstehende Form dieser ihr Aussehen verleiht). Bis Ende des 19. Jahrhunderts trugen die samischen Frauen in der heute in Nordnorwegen und Finnland gelegenen Region der Samen die Ládjogahpir, eine elegante, einer Krone ähnliche Kopfbedeckung. Das hoch hervorstehende Holzstück am Hinterkopf, Fierra genannt, verlieh der Mütze ein markantes Aussehen. In der Gesellschaft der Samen ist eine überzeugende Erzählung oder volkstümliche Überlieferung bekannt, nach der die laestadianischen Geistlichen das Tragen dieser Mütze mit der Begründung verboten haben, dass der Teufel deren hölzerne Ausbuchtung bewohnt. Die Priester sammelten die Mützen ein, die ebenso wie die heiligen Trommeln verbrannt werden mussten. Es sollte nichts von der früheren Weltordnung übrig bleiben. Mit dem Ende der Herstellung und Nutzung der Mütze verschwanden auch die damit verbundenen überlieferten Kenntnisse und Bedeutungen. Heute sind noch 58 dieser Mützen in Museumssammlungen nordischer Länder und Europas erhalten, wie etwa die Mützen in Berlin, jedoch nur wenige in Sápmi [Kulturraum und Siedlungsgebiet der Samen].
 
Viele der damals vorhandenen Ládjogahpire wurden, während des betriebsamsten Zeitabschnittes der Kolonisierung, mit Billigung und Unterstützung durch die Praktiken der westlichen Wissenschaft, für Museen in den nordischen Ländern und Kontinentaleuropa gesammelt. Im Eifer, die vermeintlich verschwindenden Bestandteile der samischen Kultur zu bewahren, sind nur wenige Mützen in Sápmi verblieben, wobei viele der erfassten Ládjogahpire schlicht im Magazin vergraben und nur noch in Museumsberichten über die Fundumstände erwähnt wurden.

Iteration der Miracle Workers-Kollektive in Berlin_Im Bild Sara Marielle Gaup Beaska, Outi Pieski und Lada Suomenrinne Iteration der Miracle Workers-Kollektive in Berlin. Im Bild Sara Marielle Gaup Beaska, Outi Pieski und Lada Suomenrinne | Bild: Giovanna Esposito Yussif Dies ist der Widerspruch der Museen. Während sie die Geschichte der Menschheit bewahren und die universellen Werte unserer Vergangenheit verteidigen, verwandeln sie gleichzeitig kulturelle Artefakte in repräsentatives Staatseigentum. Die Tatsache, dass sich ein Großteil des samischen Kulturerbes und der Kulturgüter in den Händen Außenstehender befindet deutet darauf hin, dass das samische Kulturerbe für die Samen selbst nicht leicht zugänglich war und immer noch nicht ist, was das Vermögen der Samen, sich ihrer eigenen Geschichte zu bemächtigen, stark einschränkt. Duodji (Handwerk der Samen) – das heute in Museen bewahrt wird – war in der Vergangenheit überlebensnotwendig. Noch heute ist Duodji ein wesentlicher Bestandteil der samischen Kultur und eines der samischen Wahrzeichen. Es hat jedoch auch viele andere Bedeutungen. Duodji trägt das überlieferte Wissen der Vorfahren in sich, so dass auf diese Weise Botschaften über Generationen hinweg übermittelt werden. Für diejenigen, die diese Sprache lesen können, verkörpern die Artefakte verschlüsseltes Wissen. Duodji zu praktizieren ist darüber hinaus eine der Möglichkeiten, gemeinschaftlich mit der schmerzlichen gemeinsamen Kolonialgeschichte der Samen umzugehen und die schweren Zeiten durchzustehen, denen sich die Samen immer noch gegenübersiehen.
 
Vor diesem Hintergrund entstand unser Vorhaben mit dem Titel Máttaráhku ládjogahpir – Die Hornmütze der Vormutter, ein gemeinsames Projekt mit der samischen bildenden Künstlerin Outi Pieski. Dieses Vorhaben verbindet Pieskis Kunst und meine Forschung, wobei wir auch Methoden der visuellen Forschung und Duodji-Herstellung einsetzen. Wir haben diese samische Mütze, ihre Geschichte und die verborgene Geschichte der samischen Frauen im Allgemeinen untersucht. Die Mütze begann uns langsam auf Wege zu führen, denen wir begierig folgten: hin zu den verdeckten Werdegängen der samischen Frauen und der von den Vorfahren überlieferten Kosmologie, Spiritualität, weiblichen Gottheiten und Mutter Erde. Unser Forschungs- und Kunstprojekt beteiligt sich an der Debatte bezüglich intersektionellem indigenen Feminismus, der untersucht, wie Kolonialismus und Rassismus geschlechtsspezifische und soziale Einstellungen sowie Beziehungen bestimmt haben und weiterhin prägen, die heute auf die samischen Frauen einwirken.

Installation Ovdavázzit-Forewalkers im Finnischen Pavillon_Biennale Venedig 2019 Bild: Outi Pieski Installation Ovdavázzit-Forewalkers im Finnischen Pavillon_Biennale Venedig 2019 Installation Ovdavázzit-Forewalkers im Finnischen Pavillon. Biennale Venedig 2019 | Bild: Ugo Carmeni Wir haben unter anderem Kurse für samische Frauen durchgeführt, in denen sie gemeinsam erlernt haben, mittels moderner Verfahren eine Ládjogahpir herzustellen. In unserer Arbeit ist das Wissen der Gemeinschaft mit dem Wissen der bildenden Künste und der Forschung verwoben.
 
Outi Pieski bedient sich in ihren Kunstwerken hauptsächlich der handwerklichen Tradition des Duodji der Samen und zeitgenössischer weiblicher Duodji-Verfahren und –Materialien. Auf diese Weise fördert sie Praktiken, die insbesondere im Zusammenhang mit Kunst häufig unterschätzt, entwertet oder gar dämonisiert wurden. Pieski nähert sich der Duodji-Handwerkskunst als einer die samischen Frauen bestärkenden Übung, wobei sie häufig kollektive Verfahren in die Herstellung ihrer Kunstwerke einbezieht. Die Berliner Iteration war Teil des 2019 auf der 58. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale di Venezia gezeigten Kunstprojektes, das Outi Pieski im Finnischen Pavillon als Mitglied des Miracle Workers Collective vorstellte. Pieskis Installation Ovdavázzit – Vorgänger ist durch ihre Kooperationsvorhaben angeregt, u. a. Máttaráhku ládjogahpir – Die Hornmütze der Vormutter und Rárácumma – Kiss from the Bordes mit Niillas Holmberg und Jenni Laiti. Ihre Arbeit ist auch eine Hommage an die samischen Vorfahren, an Pieskis Vorläufer, die ihr vorausgegangen sind und deren Vermächtnis in der heutigen Kultur der Samen weiterlebt.
 
Die samische Wissenschaftlerin Rauna Kuokkanen hat geschrieben, dass die zeitgenössische Gesellschaft der Samen an den Folgen kultureller Entfremdung leidet und ihr ein stärker matriarchalisch geprägtes Weltbild zuträglich wäre. Während die samischen Frauen den Männern traditionell nicht untergeordnet waren, änderte sich dies durch den Kolonialismus und den Assimilierungsprozess. Sowohl Rauna Kuokkanen als auch die indigene Wissenschaftlerin Bonita Lawrence haben die Geschlechterdiskriminierung als einen Bestandteil der Kolonisierung autochthoner Gemeinschaften erkannt.
 
Kulturgüter sind Wirkkräfte, die Trost, Sicherheit und ein Zugehörigkeitsgefühl bieten und eine Heilungsfunktion haben können. Die im Symbol verkörperten geistigen Bedeutungen und die Ästhetik der Ládjogahpirs, die Wiederherstellung und Wiederbelebung der Mütze selbst, das mit der Herstellung und dem Tragen der Mütze verknüpfte Wissen und die durch die Beschäftigung mit der Mütze hervorgebrachten Emotionen bedeuten nichts weniger als Remantriierung. Als bejahender Ausdruck der Energie und Lebenskraft der samischen Frauen kann die Wiederbelebung der Ládjogahpirs als Rematriierung, also als Resozialisierung von Kulturgütern in einem sozialen und gemeinschaftlichen Zusammenhang verstanden werden, wobei diese Aspekte im Prozess der Repatriierung nicht erreicht wurden. Die Ládjogahpir ist zu einem Symbol des hartnäckigen Widerstandes und des neuen dekolonialen Feminismus geworden. Die Ládjogahpir bietet auch ein gutes Beispiel dafür, wie kulturelle Zughörigkeit tatsächlich Einfluss nehmen und als Vermittler und Wegbereiter auf die Prozesse der Dekolonialisierung in den Gesellschaften der Samen wirken kann.