Nachhaltige Designermöbel
Möbelbau für Menschenrechte

© Verena Brüning

Bei CUCULA, der Refugees Company for Crafts and Design, erarbeiten sich fünf junge Asylsuchende durch Produktion und Verkauf von Designmöbeln eine tragfähige Lebensgrundlage.

Hinter der schweren Eisentür im zweiten Stock des alten Industriegebäudes liegt ein heller Raum mit weißen Wänden und Betonboden. Vor den hohen Fenstern bilden fünf schwere Arbeitstische ein Halbrund, neben dem sich in einer gläsernen Bürozelle Papiere und Werkzeuge stapeln. An der Wand hängen akkurat gezeichnete Entwürfe von Möbelstücken, ein Wochenplan ist mit Klebestreifen fixiert. Auf den ersten Blick ist dies eine Werkstatt unter vielen, auf den zweiten Blick aber ein landesweit einzigartiges Unternehmen. Denn neben Meetings und Arbeitszeiten stehen auch Deutschkurse, Museumsbesuche und Rechtsberatung im Kalender. Eine große Tafel ist kreuz und quer mit bunter Kreide beschrieben: „Dankeschoen“ steht dort in ungelenker Schrift, „Ich will Deutsch lernen“ und „Was arbeitest du?“.

Ganz praktisch, unbedingt etwas machen

Die fünf jungen Männer aus Afrika, die nach und nach in der Berliner Werkstatt eintreffen, bauen Möbel. Seit dem Winter 2013 sind sie Trainees bei CUCULA, dem ersten Unternehmen von Flüchtlingen und für Flüchtlinge. Das erscheint erst einmal unmöglich in einem politischen System, das Asylsuchende durch Arbeits- und Ausbildungsverbot zu Passivität und häufig zu Illegalität zwingt. Deshalb machen Ali Nouhou, Moussa Usuman, Maiga Chamseddine, Saidou Moussa und Malik Agachi rein rechtlich ein unbezahltes Ausbildungsvorbereitungspraktikum. Ganz praktisch aber arbeiten sie – so kräftig, dass sich im hohen Metallregal an der Werkstattrückseite die fertigen Möbel stapeln. Davor steht eine Bank aus hellem Holz, in deren Rückenlehne nur ein einziges blaues Brett verbaut ist. „Diese Bank erzählt eigentlich die Anfangsgeschichte von CUCULA – das blaue Brett kommt aus dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz“, erklärt Jessy Medernach.

Die zierliche junge Frau hat CUCULA mit aufgebaut und kümmert sich als Sozialpädagogin um das Bildungs- und Beratungsangebot für die Möbelbau-Trainees. Als sie im Herbst 2013 im Jugendkulturhaus Schlesische 27 ein Praktikum aufnahm, hatte dessen Direktorin Barbara Meyer gerade fünf Flüchtlingen aus dem Kreuzberger Protestcamp angeboten, im Kulturhaus zu wohnen. Nur fünf von rund 100 Flüchtlingen auf dem Platz, aber nur diesen wenigen konnte das Kulturhaus für den Winter ein richtiges Dach über dem Kopf bieten. „Im Camp waren junge Männer, die unbedingt etwas machen wollten, die man aber zum Nichtstun verdammt hatte“, erinnert sich Medernach. In der Schlesischen 27 organisierte man deshalb für die fünf Neuankömmlinge zunächst Malkurse und Fotoworkshops. Als der Produktdesigner Sebastian Däschle einmal als Workshopleiter einsprang, kam ihm eine andere Idee: „Lasst die Jungs doch mal etwas Ordentliches bauen! Zum Beispiel Möbel für ihre leeren Zimmer.“

Aus dem Nichts, sozusagen verkehrt herum

Däschle, der schnell spricht und lebhaft gestikuliert, hatte vorher nie mit der Asylthematik zu tun. „Wenn überhaupt, dann war eher Umweltschutz mein Thema“, lacht er. Aber aus dem Nichts etwas aufbauen, das konnte er schon immer gut. Also begannen Nouhou, Usuman, Chamseddine, Agachi und Moussa Stühle, Betten und Tische zu bauen – unter Däschles Anleitung und nach Entwürfen des Designers Enzo Mari. Mit dessen Idee der Demokratisierung von Design hatte sich Däschle gerade beschäftigt. Aus seiner kurzfristigen Vertretung wurde ein langfristiges Projekt, und als bald mehr Möbel gebaut waren, als in die Zimmer passten, entstand die Idee der Unternehmensgründung: Warum die Werke nicht auch professionell verkaufen und dadurch den jungen Männern Ausbildung und Lebensgrundlage finanzieren?

„Das ist Design-Denken. Man schaut sich etwas scheinbar Gegebenes von einer anderen Seite an und fragt sich, was sich daraus sonst noch machen ließe. Und dann probiert man einfach aus, ob sich der Entwurf Schritt für Schritt materialisieren lässt“, erklärt Däschle. Und Medernach ergänzt: „Wir haben sozusagen verkehrt herum begonnen: Obwohl es noch gar kein Unternehmen gab, haben die Trainees den Namen CUCULA gefunden, wir sind mit den Möbeln auf eine Designmesse nach Italien gefahren, haben erste Stücke verkauft, die Website und eine Werbestrategie aufgebaut. Je mehr man davon erzählte, desto wirklicher wurde es.“
 
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Ein Netzwerk, ein Versuch, ein Gegenbild

CUCULA bedeutet in Hausa, der Muttersprache der Trainees, „etwas gemeinsam machen, etwas verbinden“. Und genau das geschieht hier: Produkt- und Kommunikationsdesign, Handwerk und Ausbildung, Rechtsberatung und politische Arbeit ergänzen sich. Neben Medernach, Meyer, Däschle und der Designerin Corinna Sy ermöglicht ein Netzwerk aus Ehrenamtlichen, Privatfinanziers und Rechtsexperten den Aufbau der Refugees Company. Ein Crowdfunding brachte Ende 2014 das nötige Kapital, um den fünf Flüchtlingen ein weiteres Jahr lang Ausbildungsstipendien zu finanzieren. Diese Rahmenbedingungen sind auch die Voraussetzung dafür, dass die Trainees Ausbildungsvisa und eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragen können. „Wir wissen alle, dass es keine Garantie gibt und dass dies ein Versuch bleibt“, beschreibt Medernach die Situation. „Aber wenn einer von uns in ein Tief fällt, dann holt ihn die Gruppe da wieder heraus.“

Auch wenn die Zukunft unsicher ist: in der Gegenwart gibt es für CUCULA viel zu tun. „Wir wollen weg von den typischen Klischees und ein Gegenbild zeichnen: Diese jungen Männer haben nicht einmal eine Arbeitserlaubnis – schaut mal, was sie trotzdem jetzt schon beitragen!“ erklärt Medernach. Neben den 330 Stühlen, die im Crowdfunding bestellt wurden, stellten die Trainees die Bühnenbilder zu einer Inszenierung von Schuberts Winterreise her. Bilder zu den Themen von Heimatlosigkeit und Reise waren schnell gefunden. Und auch ihre eigene Geschichte haben die fünf jungen Männer bebildert – in den CUCULA- Heften, die zusammen mit zwei Bilderbuchillustratoren entstanden. Und CUCULA wird weiter an einer anderen Willkommenskultur bauen – Tag um Tag, Schraube um Schraube, Holz um Holz.