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Mai 2021
Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen

Bucheinband: Higher Ground
© Scribe Publications

Wenn A. L. Kennedys facettenreiches aber unbehagliches Erzählen dich in den Bann gezogen hat, empfehlen wir Anke Stellings Schäfchen im Trockenen.

Die großartige Ali Smith hat die schottische Autorin A. L. Kennedy einmal als die „Preisträgerin des guten Schmerzes“ beschrieben. Kennedys Figuren sind schmerzlich glaubhaft angelegt: Sie treffen die falschen Entscheidungen aus den richtigen Gründen, oder gar aus den falschen Gründen, aber mit der richtigen Motivation. „Nein!“ wollen wir als Leser*innen manchmal rufen. “Mach das lieber nicht! Das kann nur schieflaufen!” Aber genau deswegen sind die Geschichten, die Kennedy erzählt, und die Welten, die sie schafft, verlockend, manchmal witzig und immer aufschlussreich.

Ich musste immer wieder an Kennedy denken, als ich Anke Stellings Roman Schäfchen im Trockenen gelesen habe – den ersten Roman der preisgekrönten Autorin, der ins Englische übersetzt wurde. Die Übersetzung – von Lucy Jones – ist großartig; Jones greift nicht nur Stellings offenen und oft ironischen Ton auf, sondern auch die Vorliebe der Erzählerin für Reim und Wortspiele. Das Buch ist in seiner sozialen Landschaft eingebettet, und Jones‘ Entscheidung, bestimmte Wörter auf Deutsch direkt zu übertragen – zum Beispiel das schwäbische Wort ‚Bähmull‘ – funktioniert dabei besonders gut.

Resi, die Erzählerin, Anfang vierzig, Autorin, ernährt ihre vier Kinder mit einem prekären Einkommen. Über die Jahre haben ihre kritischen Bücher und Artikel ihre wohlhabenden und gutbürgerlichen Freund*innen, die auch ihre Vermieter sind, immer mehr verärgert. Das Resultat? Der Mietvertrag wird ohne Absprache gekündigt. Als Reaktion darauf verfasst Resi die Notizen, aus denen der Roman entsteht. Lebhaft, oft frustriert und manchmal bösartig richtet sich der Text an Resis vierzehnjährige Tochter Bea: ein Versuch, ihr alles zu erklären. Unter „allem“ versteht Resi generationenübergreifendes Vermögen und kulturelles Kapital und die langfristigen Auswirkungen daraus.

Resi weigert sich, die Augen zu verschließen, gegen die vielen kleinen Momente des Verrats an den Idealen, die wir früher laut proklamiert haben. Gelegentlich wird das unbehaglich, und ich verstehe schon irgendwie die abwehrende Haltung ihrer ehemaligen Freund*innen. Gleichzeitig ist aber Resis Frustration mit dem Status quo und der Tatsache, dass sich nichts ändert, mir schmerzvoll bekannt:

„Diesen Gesichtsausdruck habe ich auch, diesen Gesichtsausdruck geben Mütter ihren Töchtern weiter, genau wie die ungelebten Träume, ja: dieser Gesichtsausdruck erzählt von diesen Träumen, während der Mund verkniffen schweigt. Der Mund ist verkniffen, das Kinn ein wenig vorgereckt. Renate ist groß darin, so zu gucken. Ich aber auch.

Und Bea fängt jetzt ebenfalls schon damit an, und ich ertrage nicht, dass es immer so weiter geht, lieber will ich wütend sein.“

Wir sind nicht gut darin, Frauen – oder Menschen der Arbeiterklasse oder generell Menschen, die Unrecht bekämpfen – zuzugestehen, wütend zu sein. Man darf seine Rechte einfordern, aber man sollte doch dabei höflich bleiben. Lächle doch mal. Ich bin doch nicht schuld daran, dass ich mit mehr Privilegien geboren wurde, oder?

Ich bin da auf Resis Seite. Lieber will ich wütend sein. Und wenn das manchmal ein bisschen unbehaglich ist? Damit kann ich leben.

Über die Autorin

Annie Rutherford ist eine hoffnungslose Leseratte, kann sich nie auf nur eine Sache festlegen und bewegt sich am Liebsten irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Sie ist Programmkoordinatorin bei StAnza (Schottlands internationalem Lyrikfestival), übersetzt vor allem literarische Texte aus dem Deutschen ins Englische, leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und vieles mehr. Sie wurde schon erwischt, wie sie fahrradfahrend gelesen hat (was sie nicht empfehlt) und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.


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