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August 2023
Joachim B. Schmidt: KALMANN

Das Buch 'Kalmann', welches Haie darstellt, liegt auf einem blau-weißen Tuch
© Bitter Lemon Press

Kein durchschnittlicher isländischer Thriller: Joachim B. Schmidts Kalmann wird von der erzählenden Stimme getragen und setzt sich mit Themen wie Gemeinschaft und Wandel auseinander. Ein sogenannter Krimi, in dem es mehr um Menschen als um Verbrechen geht, ähnlich wie in Mark Haddons Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone.

Ganz gleich, wie der Sommer in diesem Jahr für Sie war – von extremer Hitze oder verregneten Tagen geprägt – er hat sich wahrscheinlich nicht wie ein isländischer Winter angefühlt. Umso mehr lohnt es sich, die transportierende Kraft der Literatur auszunutzen und sich ein paar Stunden im verschneiten Dorf Raufarhöfn zu gönnen, dank dieses Romans von Joachim B. Schmidt und seines gleichnamigen Erzählers, Kalmann.

Kalmann, der bereits im April 2022 erschienen ist, versteht sich als isländischer Krimi und hat in einigen Rezensionen Vergleiche mit Fargo gezogen. Mit seiner unkonventionellen, abschweifenden Erzählung und vielen markanten Figuren ist das gar nicht so falsch; es wäre sicher ein Fehler, diesen lebhaften, charakterstarken Roman als ein weiteres Beispiel des berühmten nordischen Noirs einzuordnen. Im Mittelpunkt steht zwar ein Geheimnis – das Verschwinden des Geschäftsmanns Robert McKenzie – doch geht es in Kalmann viel mehr um seinen Erzähler und die Auswirkungen eines möglichen Verbrechens auf eine Gemeinschaft. Anstelle von klassischen isländischen Krimis wie Tödlicher Schnee oder Arnaldur Indriđasons Erlendur-Reihe sollte man eher an Mark Haddons Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone (übersetzt von Sabine Hübner) denken.

Der vierunddreißigjährige Kalmann, der in einem abgelegenen isländischen Dorf wohnt, verfügt über eine der stärksten Erzählstimmen, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Es ist genau diese Stimme – anfangs kompromisslos bis zur Forschheit, aber zunehmend von einer schwankenden Unsicherheit durchdrungen, je weiter die Geschichte voranschreitet und sein Geheimnis gelüftet wird – die die Leserin so fesselt und Kalmann eher zu einem Roman über eine Gemeinschaft als über ein Verbrechen macht. Unser neurodiverser Ich-Erzähler, der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, wird in vielerlei Hinsicht selbst als Außenseiter behandelt, jedoch sind es die Interaktionen, die das tägliche Leben in dieser isolierten Umgebung ausmachen, die ein lebendiges Bild des Dorfes als eine Gemeinschaft am Abgrund zeichnen. Wie Kalmann, dessen engste Freundschaft ausschließlich online gepflegt wird, ist Raufarhöfn mit der modernen Welt verbunden, wird aber von ihr weitgehend ignoriert, so dass es nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich als Außenseiter erscheint.

An diesem ungewöhnlichen Ort und mit dem Erzähler, der ihn verkörpert, könnten die dramatischen Ereignisse, um die sich die Handlung dreht – ein verschwundener Mann, Eisbären, die Entdeckung eines Drogenschmugglerrings – Kalmann in ein Werk der reinen Unterhaltung verwandeln. Wie viele gute Krimis, könnte er eine geheimnisvolle Reise durch eine unwahrscheinliche Umgebung sein, die wenig mit dem Leben ihrer Leser zu tun hat. Doch Schmidt versteht es, echte wirtschaftliche, ökologische und soziale Probleme einzubauen, mit denen wir alle konfrontiert sind: die Erwärmung des Meeres und das Schmelzen der Eiskappen, die Korruption im Geschäftsleben, Einsamkeit, komplexe Familienbeziehungen, die Schließung der örtlichen Schule. Den Schmerz Kalmanns über den Verlust seines Großvaters, der in einem Pflegeheim in einer nahgelegenen Stadt lebt und weitgehend in seinem Kopf gefangen ist, spürt man akut. Ebenso seinen Stolz auf die Herstellung von Hákarl, einer isländischen Spezialität, die langsam an Bedeutung verliert und selbst von ihrem Hersteller – der eine Vorliebe für Burger, Süßigkeiten und Fertiggerichte hat – teilweise gemieden wird. Die Welt um Kalmann herum verändert sich, oft auf alarmierende Weise, oft außer Kontrolle. Genau diese Veränderungen haben wir vielleicht nicht selbst erlebt, aber dieses Gefühl kennen wir alle.

So verortet Schmidt Raufarhöfn konsequent in der Realität und versetzt die Leserin – dank seiner klaren Beschreibungen – genauso fest in dieses Umfeld. Zu der lebendigen Atmosphäre und der robusten Erzählstimme kommen eine gesunde Portion Humor und eine Menge Herz hinzu, und schon wird Kalmann zu einem isländischen Krimi der Sonderklasse. Hart aber zärtlich, witzig und einfühlsam zugleich, gibt er den Außenstehenden eine Stimme und fordert uns auf, die Welt ein wenig anders zu betrachten.

Über die Autorin

Eleanor Updegraff liest extrem gerne, besonders übersetzte Literatur. Sie ist Ghostwriterin, Übersetzerin aus dem Deutschen, Lektorin und Buchrezensentin, sowie Autorin von Kurzgeschichten und Essays. Sie ist in Großbritannien aufgewachsen und wohnt nun seit 2015 in Österreich. Wenn sie nicht gerade liest, sitzt sie im Kaffeehaus oder läuft um einen österreichischen See herum.

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