Oktober 2024
Junge mit schwarzem Hahn: ein Märchen für Erwachsene
Schon seit 2021, als das Buch in Deutschland erschienen ist, hatte ich mich darauf gefreut, Stefanie vor Schultes Roman Junge mit schwarzem Hahn zu lesen. Es hat mich deshalb besonders gefreut, als mir diesen Sommer in einer Buchhandlung in Edinburgh der namensgebende Hahn auf einem Buchdeckel (in Alexandra Roeschs Übersetzung) entgegenblickte. Das Märchen für Erwachsene handelt von Martin, einem Jungen mit einem reinen Herz, der ein verwüstetes, kriegsgebeuteltes Land bereist.
Bevor ich den Roman aufschlug, hatte ich mir überlegt, dass ein Vergleich mit Naomi Noviks Das dunkle Herz des Waldes (aus dem Englischen übersetzt von Marianne Schmidt) vielleicht interessant wäre: Der detailreiche Fantasy-Roman spielt auch in einem Quasimittelalter und hat eine junge Protagonistin, die darum kämpft, die Einwohner ihres Dorfes zu retten. Als ich Junge mit schwarzem Hahn aber las, musste ich immer wieder an eine Geschichte denken, die für mich mit viel Nostalgie verbunden ist: Die Schneekönigin von Hans Christian Andersen, in der die liebevolle Gerda auf ihrer Reise in den Norden, um ihren besten Freund zu retten, auf allerlei seltsame Menschen und Tiere trifft. Mit ihrem Ensemble aus meist namenlosen Figuren und dem Thema der scheinbar unmöglichen Suche erfasst vor Schulte die Stimmung der Fabel gekonnt.
Zu Beginn des Buches ist Martin elf und sein einziger Freund ist ein schwarzer Hahn. Als er als Einziger eine Familientragödie überlegt, behandeln ihn die anderen Dorfbewohner trotz seiner liebevollen und vernünftigen Art mit Misstrauen. Gleichzeitig haben die Dörfler aber kein Problem damit, ihm Aufgaben aufzutragen, für die sie sich selbst zu schade sind. Eines Tages auf dem Weg zum Markt sieht er, wie ein Kind von einem Reiter in einem Umhang entführt wird. Über Jahre hinweg hatte er Gerüchte gehört, dass Kinder verschwanden, und plötzlich weiß er also, dass diese wahr sind. Fortan verfolgt er ein einziges Ziel im Leben: die verschwundenen Kinder zu finden und zu befreien.
Martins Suche ist eine verschlungene Reise: Zuerst ist er gemeinsam mit einem Maler unterwegs – dem ersten liebevollen Erwachsenen, den Martin je kennengelernt hat – und anschließend alleine. Die Figuren, denen er begegnet, sind selten nur gut: Manche haben regelrecht finstere Beweggründe, doch die meisten versuchen schlicht zu überleben. Auf seiner Reise durch ein Land, das vom Krieg gebeutelt ist, begegnen dem Jungen Gefahren, Geheimnisse und Abenteuer – und bei alledem begreift er die Wahrheit und das Wesentliche mit einer Klarheit, die den Erwachsenen um ihn herum fehlt.
In den letzten paar Jahren ist mir – wie vielen anderen Menschen – das Lesen zum Vergnügen oft abgegangen (das mag ironisch anmuten, da ich doch so viel für die Arbeit lese). Umso mehr habe ich mich deswegen gefreut, bei vor Schultes Roman in die Welt des Buchs eintauchen zu können, denn die Lektüre hat mich daran erinnert, wie viel Vergnügen eine gute Erzählung macht. Junge mit schwarzem Hahn ist das perfekte Buch für einen düsteren Herbsttag: Ein Buch, in dem man mit einem heißen Getränk unter einer warmen Decke und, um die Dunkelheit zu verjagen, bei viel Kerzenlicht schmökern sollte.
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