Statement der Kuratoren
Abschied von Gestern
2018 – seit der bewegten Zeit um das Jahr 1968 sind 50 Jahre vergangen. An vielen Orten der Welt finden derzeit Filmreihen, Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen, Forschungstreffen, Symposien und andere Veranstaltungen zu diesem Thema statt.
Von Go Hirasawa, Roland Domenig
Die Filmreihe im Goethe-Institut bewegt sich ebenfalls in diesem Kontext, nimmt aber das ikonische Jahr 1968 zum Anlass, um die Phase zwischen den späten 50er Jahren und der Mitte der 70er Jahre als eine größer angelegte historische Zeitenwende zu interpretieren, und aus dieser Perspektive innovative Filme aus Deutschland und Japan neu zu betrachten. Um nach dem Zweiten Weltkrieg einen Weg aus dem Faschismus zu finden, wurde sowohl in Japan als auch in Deutschland im Rahmen heftiger Protestbewegungen der „Abschied von Gestern“ eingefordert.
In allen Bereichen - Politik, Gesellschaft, Kultur und im Alltagsleben – begann man, Kontinuitäten zwischen der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg bloßzulegen. Im Sinne eines radikalen Abschieds von diesem Kontinuum lehnten die Vertreter der 1968er Bewegung das bestehende politische und gesellschaftliche System und seine Symbolik kategorisch ab. Diese neue Bewegung brachte in Deutschland das Oberhausener Manifest, den Neuen Deutschen Film und den feministischen Film hervor, in Österreich den Wiener Aktionismus, in Japan die New Wave mit Shochiku und Iwanami Film im Zentrum, den Film Study Club der Nihon University, Fluxus, die Film Independents und die Art Theater Guild. Weiterhin experimentierten Filmemacher im Sinne eines „Expanded Cinema“ mit den Möglichkeiten der Erweiterung der Filmleinwand in den Raum hinein.
Wenn man diese Arbeiten aus Deutschland bzw. dem deutschsprachigen Raum und aus Japan zusammen sieht, entdeckt man Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die über den Rahmen direkter Beziehungen und Einflüsse hinausgehen. Das öffnet den Blick für den synchronen Charakter weltweiter Entwicklungen.
In Bezug auf das Thema 1968 herrscht heute eine starke Tendenz, das Nachdenken über diese Zeit in den Bezugsrahmen der Gegenwärtigkeit zu stellen. Natürlich ist es immer die Gegenwart, welche den Blickpunkt auf eine bestimmte historische Phase formt. Andererseits ist auch die Gegenwart nicht mehr als ein Tempus unter mehreren. Daher sollte man vermeiden, die 50 Jahre zurückliegende Vergangenheit aus einer einseitigen Perspektive zu analysieren, zu bejahen oder zu verneinen. Wenn man das Jahr 1968 befragt, heißt dies auch, aus dem Blickwinkel der Geschichte von 1968 nach der Beschaffenheit der „Gegenwart“ zu fragen. Ein essentieller Bestandteil dieses Projektes ist neben Filmvorführungen, Filmperformances und einer Ausstellung, dass Filmregisseur*innen, Filmkünstler*innen und Schauspieler*innen die in der Zeit um 1968 aktiv waren, in den Dialog mit Filmregisseur*innen, Musiker*innen, Forscher*innen und Kurator*innen treten, die erst nach 1968 aktiv wurden. Durch eine genreübergreifende Diskussion, die gegenwärtige wie auch historische Perspektiven einbezieht und sowohl Film, Kultur wie auch politische Bewegungen umspannt, möchten wir neue Blickwinkel auf das Jahr 1968 und unsere Gegenwart öffnen.“