Wo stehen wir jetzt?
Verbot von Plastiktüten
Im August 2017 verabschiedete Kenia ein Gesetz, das den Gebrauch, die Herstellung und den Import von Einweg-Plastiktragetüten rigoros verbietet. Obwohl dies nicht das erste Verbot ist – ähnliche Versuche wurden schon 2007 und 2013 unternommen – ist es mit Bußgeldern von bis zu 40.000 $ doch das bei weitem am strengsten durchgesetzte. Vor dem Verbot verteilten allein kenianische Supermärkte jährlich 100 Millionen Plastiktragetüten. Diese Zahl verdeutlicht, welch gigantische Menge von neu produzierten Plastiktüten durch das Verbot vermieden wurde.
„Wir müssen die Plastikscheuklappen von unseren Augen entfernen und die Realität anerkennen, dass Plastik unsere Umwelt zerstört und dass wir uns verändern müssen“, sagt James Wakibia, ein in Nakuru ansässiger Journalist, der zu einem der prominentesten Befürworter des Verbots wurde. Am Anfang war sein Ziel lediglich eine Mülldeponie in Nakuru – „ein Schandfleck“ – zu verlegen. Doch auch als die Mülldeponie verlegt war, verteilte sich der Plastikmüll weiter in der ganzen Stadt. Wakibia erkannte, dass der Plastikmüll selbst reduziert werden musste, um das Problem zu lösen. Während andere Arten von Müll biologisch abbaubar sind, sagt er, können die meisten Kunststoffe nicht recycelt werden und enden an den falschen Orten. Vor dem Verbot wurden allein in Kenia jeden Monat 4.000 Tonnen Einwegplastiktüten produziert, wovon etwa die Hälfte in den städtischen Müllströmen landete. Er begann also damit, Artikel zu schreiben, in denen er für ein Plastiktütenverbot warb und die er an Zeitungen in ganz Kenia verschickte. Dann erreichte das Thema die sozialen Medien, wodurch es, so Wakibia, schließlich Aufmerksamkeit auf der ganzen Welt erregte.
Als das Verbot schließlich eingeführt wurde, war es sicherlich ein Sieg für seine Befürworter*innen wie Wakibia. Aber ohne viel Vorwarn- und Übergangszeit für alle an der mit den Plastiktüten zusammenhängenden Wertschöpfungskette Beteiligten – von den Hersteller*innen bis zu den kadogo-Händer*innen, die von den Tüten abhängig waren – stieß das Verbot auf sehr gemischte Reaktionen. Nicht nur sind gesetzeskonforme Alternativen teurer als die vorher verwendeten Plastiktüten, auch wurden nach der Einführung des Verbotes hunderte Händler*innen inhaftiert oder mit Geldbußen belegt, die mitunter dem Gegenwert der Arbeit mehrerer Wochen entsprachen. Kritiker*innen weisen darauf hin, dass arme Menschen überproportional von den negativen Folgen des Verbots betroffen sind, besonders diejenigen, die in der kadogo-Wirtschaft arbeiten und darauf angewiesen sind Lebensmittel und andere Produkte in kleinen Tagesrationen zu kaufen, die bisher in Plastik verpackt wurden. Oft müssen die Kleinhändler*innen die Kosten für die Umstellung auf gesetzeskonforme Materialen tragen.
Als weitere Herausforderung hat sich der Schmuggel von Plastik erwiesen. „Die Strafverfolgung ist nicht so streng wie vor einem Jahr“, sagt Wakibia, „aus den Nachbarstaaten kommen so viele Plastiktüten ins Land.“ Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen betont, dass der Erfolg von Verboten, wie dem Verbot von Plastiktüten in Kenia, oft schlicht und ergreifend von der Fähigkeit des jeweiligen Staates abhängt, den grenzüberschreitenden Warenstrom kontrollieren zu können. Da andererseits von den gegenwärtig 127 nationalen Verboten von Einwegplastikprodukten mehr als 30 in afrikanischen Staaten erlassen wurden, besteht die Chance regionale Kooperationen bei der Reduzierung des Gebrauchs und Verkehrs bestimmter Einwegplastikprodukte zu etablieren – und dabei vielleicht sogar einen Dominoeffekt auszulösen.
Weil Plastiktüten außerdem meist von Vliesstoffen, die zwar stoffartig in ihrer Textur, aber nichtsdestotrotz aus Polypropylen hergestellt sind, ersetzt wurden, hat das Verbot letztlich dazu geführt, ein biologisch nicht abbaubares Produkt durch ein anderes zu ersetzen. Ebenso sind sogenannte „kompostierbare“ Plastiktüten auf den Markt gekommen. Diese sind jedoch nicht nur teurer als herkömmliche Plastiktüten, sondern müssen auch auf eine spezifische Art verarbeitet werden, um sich wirklich zu zersetzen. Dazu müssen die Plastiktüten oft über mehrere Wochen hohen Temperaturen ausgesetzt werden, wobei Kenia bisher allerdings über keine entsprechenden Anlagen verfügt.
Obwohl das Verbot alles in allem ein Schritt in die richtige Richtung war, ist Leah Oyake-Ombis, Professorin an der University of Nairobi, der Meinung, dass Kenias rigoroses Verbot von Plastiktüten andere Ideen und Ansätze, die sich damit beschäftigen, wie der Plastikmüll reduziert, wiederverwertet oder recycelt werden könnte, verdeckt. Diese Alternativen könnten jedoch letztlich effektiver sein als das Verbot. Ebenso sind Alternativen wie biologisch abbaubare Tüten nicht immer für lokale Verwendungszwecke geeignet. So sind weder Maismehl noch Flüssigkeiten und Öle, die früher oft in Plastiktüten verpackt wurden, besonders gut in Tüten aus Vliesstoffen aufgehoben.
Oyake verweist aber auch darauf, dass beim derzeitigen Stand des Müllmanagementsystems in Kenia jenseits des bloßen Verbots von Plastiktüten ein unglaubliches Potential besteht, langfristige, nachhaltige Fortschritte zu erzielen. Oyake schlägt vor, den Blick auf Recyclinginitiativen wie jene Gruppen, die Plastikmüll aller Art sammeln und in Materialen umformen, die für den Bau von Zäunen und Gebäuden verwendet werden können, zu werfen und diese als Übergangslösung zu fördern. Vor dem Verbot, so sagt sie, zielten viele Diskussionen tatsächlich darauf ab, die Dicke der Tüten so zu erhöhen, dass sie wiederverwendet werden könnten oder eben darauf, informelle Recyclesysteme zu unterstützen. Diese Ansätze würden letztlich dazu führen, bereits bestehende Bemühungen zum Recycling von Plastik zu fördern.
Sie erklärt, dass in anderen Länder zu der Zeit, als Einwegplastiktüten auf den Markt gebracht wurden, bereits Entsorgungssysteme existierten. Kenia hingegen, wo Plastiktüten Tüten und Taschen aus Stoff und Papier erst in den 1980er Jahren verdrängten, verfügte zu diesem Zeitpunkt weder über eine eigene Plastikproduktion noch über ein Müllmanagementsystem, das eine Grundlage für Recycleprogramme hätte bieten können. Bis heute ist die kommunale Müllabfuhr in Kenia informell und nicht standardisiert.
Dabei ist es wichtig, sich daran zu erinnern, was der Zweck von Nachhaltigkeit sein sollte und wer von politischen Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit auf welche Weise betroffen ist. Obwohl das Verbot eine zentrale Rolle dabei gespielt hat, Plastik völlig aus dem System herauszuhalten – während vor dem Verbot die Hälfte aller Plastiktüten in der steigenden Müllflut endete – können wir Nachhaltigkeit nicht allein auf Verboten errichten. „Das Verbot ließ einen signifikanten Teil der Bevölkerung außer Acht, den wir aber mitnehmen müssen“, sagt sie, „oder wollen wir jene Menschen, von denen wir den Eindruck haben, dass sie mehr Verschmutzung verursachen, einfach bestrafen?“
Obwohl er zustimmt, dass das Verbot weit davon entfernt ist eine perfekte Lösung zu sein, glaubt Wakibia, dass es für die Regierung essentiell ist, parallel zu einer strikten gesetzlichen Lösung wie dem Plastikverbot, mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um der Gesellschaft die Gründe hinter ihren politischen Entscheidungen zu vermitteln. „Die meisten Leute fühlen sich als würden sie bestraft, aber so ist es nicht“, sagt er, „Aufklärung und Bewusstseinsbildung darüber sind nötig, dass das Verbot da ist, damit auch ihr Recht auf eine saubere Umwelt geschützt wird – so wie es die Verfassung vorsieht.“