Interview mit Omar Elmawi
DeCOALonisierung von Lamu
Im Juni 2019 gewann eine Koalition aus Umwelt- und Graswurzel-Organisationen einen bedeutenden Gerichtsstreit gegen die Pläne, auf der Insel Lamu ein Kohlekraftwerk zu errichten. Dieses Kohlekraftwerk wäre das erste in Ostafrika gewesen. Das National Environmental Tribunal (NET) – Kenias nationales Umweltgericht – widerrief die dem Unternehmen Amu Power von Kenias National Environmental Management Authority, einer Regierungsbehörde, die für das Umweltmanagement und die Umweltpolitik zuständig ist, erteilte Baugenehmigung.
Im Urteilsspruch hallten die Argumente der Aktivist*innen wider, die darauf hinwiesen, dass Amu Power sich nicht an die Regeln des Umweltverträglichkeitsprüfung, in diesem Fall vor allem die Konsultation betroffener Gemeinschaften, die vom Bau und dem Betrieb des Kraftwerkes betroffen wären, hielte.
Dies war jedoch nur eines von vielen Probleme, auf das die Aktivist*innen hinwiesen. Viele argumentierten, dass das Kohlekraftwerk Landschaften, Kulturgüter und Lebensweisen zerstört hätte, die für die jahrhundertealte Swahili-Gesellschaft auf Lamu von essentieller Bedeutung sind. Andere vertraten die Ansicht, dass das Kraftwerk nicht mit alternativen, erneuerbaren Energiequellen konkurrenzfähig wäre und darüber hinaus angesichts Kenias bestehender Stromkapazität, die sich vor allem aus Wasserkraft und geothermalen Quellen speist, überhaupt nicht notwendig ist. Das auf eine Kapazität von 1.050 Megawatt angelegte und zwei Billionen Dollar teure Kraftwerk, das in erster Linie von der chinesischen Industrie- und Handelsbank finanziert wurde, wäre zunächst auf aus Südafrika importierte Kohle angewiesen gewesen und hätte eines Tages schließlich Kohle aus dem kenianischen Kitui beziehen sollen.
Im Juni 2019 hat AMU Power Berufung gegen die Entscheidung des NET eingelegt. Obwohl dies erwartet worden war, sorgt der Umstand, dass die Berufung sich immer noch auf viele im Gerichtsurteil bereits abgewiesene Punkte bezieht, bei den Aktivist*innen für Optimismus. Die Berufung könnte eine Gelegenheit bieten, den Fall vor den Environmental and Land Court zu bringen – den für Umwelt- und Landfragen zuständigen Gerichtshof, der in diesen Fragen denselben Status wie der Oberste Gerichtshof besitzt und in diesem Fall die letzte Berufungsinstanz darstellt. Dieser könnte mit einer Entscheidung gegen das Kohlekraftwerk einen bedeutsamen Präzedenzfall für Umweltgerechtigkeit in Kenia schaffen.
Omar Elmawi, ein auf Lamu geborener und aufgewachsener Umweltjurist, ist Kampagnenkoordinator von deCOALonize, einer der Organisationen, die sich dem Kampf gegen das Kohlekraftwerk auf Lamu verschrieben haben. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie man eine schlagkräftige Koalition aus unterschiedlichen Gruppen schmiedet, wer dabei im Zentrum stehen sollte und warum sie sich nicht gegen eine „nachhaltige Entwicklung“ stellen.
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April Zhu: Es wurde viel über die juristische Dimension der Schlacht gegen das Kohlekraftwerk auf Lamu berichtet, aber dabei wurden anderen Formen der Organisierung, besonders denen auf der Graswurzelebene, vielleicht nicht genug Beachtung geschenkt. Könnten Sie beschreiben, was sich hinter den Kulissen des Gerichtsprozesses abgespielt hat?
Omar Elmawi: Obwohl das Gerichtsverfahren wichtig ist, wissen wir doch, dass es nicht die einzige Strategie ist, die uns erlauben wird, diesen Kampf zu gewinnen. Einerseits ist die Community-Arbeit das Rückgrat der Kampagne, weil wir wissen, dass wir, wenn Communities auf Lamu und in Kitui sich für die Kohle entscheiden, keine wirkliche Berechtigung haben in ihrem Namen über diese Fragen in Nairobi vorzusprechen. Mitglieder der Organisationen Save Lamu und Human Rights and Civic Education in Kitui haben viel Arbeit auf der Community-Ebene geleistet. Unsere Freund*innen aus Kitui haben zum Beispiel für Mitglieder ihres Bezirksparlaments eine Reise nach Mpumalanga in Südafrika organisiert, um dort Kohlekraftwerke und Kohleminen zu besichtigen und sich darüber zu informieren, wie sich diese Projekte auf die lokale Bevölkerung auswirken. Unsere Freund*innen von Save Lamu hingegen konnten Prozessionen und Demonstrationen in Lamu durchführen, nach denen einige von ihnen festgenommen wurden.
AZ: Wie viele weitere Unterstützer*innen der Bewegung sind auch Sie selbst aus Lamu. Warum ist es so wichtig, dass Menschen, die selbst von den betroffenen Orten stammen, im Vordergrund und im Zentrum von Bewegungen wie diesen stehen?
OE: Ich war immer davon überzeugt, dass nur Menschen, die von etwas selbst betroffen sind, benennen und erklären können, was die eigentlichen Probleme sind. Ich habe erlebt, dass manchmal Personen von Umweltorganisationen oder gutmeinende Leute von außerhalb sich in Fragen einschalten, die jedoch keine persönliche Beziehung zu den Problemen haben. Manchmal ziehen wir eine dieser großen NGOs hinzu und sie übernehmen das Ganze; sie sprechen über Dinge, die sie für das Problem halten. Aber manchmal kommt es vor, dass sie eine Lösung vorschlagen, die nicht dem entspricht, was die Community eigentlich will. Deshalb ist es wichtig sicherzustellen, dass die betroffenen Gemeinschaften selbst diejenigen sind, die die Kampagne vorantreiben. Deshalb ist die Community bei Demonstrationen, die wir organisieren, immer repräsentiert und auch die Sprecher*innen kommen aus der Community. Deshalb ist die Community auch im Vorstand von deCOALonize vertreten. Deshalb stellen wir bei deCOALonize sicher, dass wir nichts in einer betroffenen Gemeinschaft tun, ohne dabei mit ihr zusammenzuarbeiten. Wenn wir irgendetwas auf Lamu tun, sagt Save Lamu uns, was zu tun ist.
AZ: Können Sie mir ein Beispiel für so einen Unterschied zwischen einer von außen aufgedrängten und einer von innen entwickelten Lösung geben?
OE: Definitiv. Eine wäre der Naturschutz. Viele Naturschutzorganisationen setzen sich für den Schutz der Mangrovenwälder auf Lamu ein, aber dafür gibt es kaum Unterstützung durch die Bevölkerung auf Lamu, weil diese andere Vorstellungen vom Schutz dieser Wälder hat als die Organisationen. Für die Regierung und die großen Organisationen bedeutet die Erhaltung der Wälder hier „fälle keine einzige Mangrove.“ Aber die Menschen vor Ort leben seit Jahren mit diesen Wäldern – und die Wälder sind immer noch da. Sie wissen auf eine nachhaltige Weise mit den Mangrovenwäldern umzugehen, die es den Menschen gleichzeitig erlaubt, das Holz der Wälder zu nutzen, etwa als Baumaterial. Wenn man nach Lamu geht und sagt „das Fällen von Mangroven ist verboten“, nimmt man den Menschen eine Quelle ihrer Identität.
AZ: Oft haben wir eine sehr verengte Vorstellung von Nachhaltig. Haben Sie, in Ihrer Arbeit als Organisator, festgestellt, dass sie die Idee der Menschen von „Nachhaltigkeit“ erweitern müssen?
OE: Das ist eine sehr gute Frage. Zwar sprechen mehr und mehr Menschen darüber, aber nicht viele Menschen verstehen, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Ich habe für mich festgestellt, dass es einfacher ist den Swahili-Begriff für Nachhaltigkeit – maendeleo endelevu – zu verwenden, weil er die Ideen von „sustainability“ und „development“, von Nachhaltigkeit und Entwicklung, miteinander verbindet. Ich war immer begeistert von dem, was Save Lamu tut, weil sie sich nicht nur für Entwicklung einsetzten, sondern auch sicherstellen, dass diese Entwicklung die Menschen vor Ort miteinbezieht. Während einige Menschen sagen würden, dass der Schutz der Mangroven eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht, würde eine Mehrheit der Bevölkerung von Lamu dem widersprechen. Nur wenn man diese Menschen befragt und ihre Unterstützung gewinnt, kann man erkennen, dass es nachhaltige Arten und Weisen gibt, natürliche Ressourcen zu nutzen.
AZ: Wie können Kenianer*innen, die sich einbringen und die Bewegung unterstützen wollen, engagieren?
EO: Am wichtigsten ist es, dass alle Kenianer*innen verstehen, dass es hier nicht um einen Kampf der Menschen auf Lamu und in Kitui geht. Dies ist ein Kampf aller kenianischer Bürger*innen, weil wir auf ein auf 25 Jahre angelegtes Abkommen zusteuern, für das wir – wenn man die voraussichtlichen Bereitstellungskosten betrachtet – jährlich 300 Millionen Dollar zahlen werden müssen. Das bedeutet etwa 10.000 Dollar – 100 Millionen kenianische Shilling – täglich und das für ein Kraftwerk, für das wir günstigere, erneuerbare Alternativen haben. Was denken Sie, wo das Geld dafür herkommt? Es müsste zum größten Teil von den Steuerzahler*innen finanziert werden. Ebenso müssten Bildungs- und Gesundheitsausgaben gekürzt werden. Nur wenn wir uns alle als Kenianer*innen und Stromkund*innen zusammenschließen und gemeinsam unsere Stimme gegen das Kohlekraftwerk auf Lamu erheben, nur dann werden wir die Regierung davon überzeugen können Vernunft anzunehmen und diese unkluge Investition zu stoppen.