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Interview mit Olive Wangui
Inspirierende Klimaaktivisten

Interview with Olive Wangui_Nairobi
© Julian Manjahi

Für viele Menschen kristallisiert sich die Realität der Klimakrise in einem kleinen Moment heraus, einem einzelnen Bild oder einer bestimmten Folge von Wörtern. Aus dieser Erkenntnis heraus und dem Gefühl von Dringlichkeit, das mit ihr verbunden ist, beginnen sie schließlich zu handeln. Oft sind diese Momente mit dem Gefühl verbunden, durch die Klimakrise persönlich bedroht zu sein. Häufiger jedoch hängen sie mit der Erkenntnis zusammen, dass andere unter ihren Folgen leiden. 

Für Olive Wangui, die an der Moi University in Eldoret Soziale Arbeit studiert und dort einen Klimastreik organisierte, trifft letzteres zu.
 
Während eines Praktikums bei World Vision, reiste Wangui mit ihrem Team zum Tana River Delta, wo sie von Haushalt zu Haushalt gingen und Umfragen durchführten, um zu beurteilen, wie Ressourcen am besten verteilt werden könnten. Dabei kamen sie auch an der kleinen Hütte einer Frau vorbei, die sich um fünf kleine Kinder kümmerte. Sie war 78 Jahre alt. Die Frau erzählte Wangui, dass die Mutter der Kinder sie dort zurückgelassen habe, um nach Essen zu suchen, aber nie zurückkam. „In diesem Moment wurde mir klar, dass die Auswirkungen des Klimawandels schon da sind“, sagt Wangui. „Ich fühlte wirklich, dass dies etwas ist, dem sich die Leute annehmen müssen.“
 
Wangui spürte, dass sie handeln musste. Etwa zur gleichen Zeit legte sie sich einen Twitter-Account zu und begann sich mit Greta Thunberg auseinanderzusetzen, der sechzehnjährigen schwedischen Klimaaktivistin, die 2018 damit begann sich freitags – anstatt die Schulbank zu drücken – mit einem Schild mit der Aufschrift „SKOLSTREJK FÖR KLIMATET“ vor das schwedische Parlament zu setzten. Seitdem sind die Schulstreiks zum globalen Phänomen geworden, das am 20. September 2019, vor dem UN-Klimagipfel in New York seinen Höhepunkt erreichte, als Millionen Menschen in über einhundert Ländern für das Klima streikten. Nairobi war an diesem Tag eine der Städte weltweit, in denen gestreikt wurde. Dank Wanguis Initiative und Organisationsgeschick gehörte auch Eldoret dazu. „Ich will keine von denen sein, die nur reden“, sagt Wangui, „wir müssen auch etwas Konkretes tun. Wenn jemand zu mir sagt ‚Ich höre dich reden, aber was machst du persönlich für die Umwelt‘, dann kann ich sagen, dass ich Bäume pflanze und Clean-Ups organisiere. Es geht nicht nur ums Reden.“
 
Um den Streik vorzubereiten, suchte Wangui Kirchengemeinden und Organisationen auf, um deren Unterstützung zu gewinnen. Überraschenderweise, sagt sie, waren sie alle an Bord. „Ich mag Gretas Ansatz, wo man, anstatt in die Schule zu gehen, mit Postern zum Rathaus oder dem Parlament geht, um die Regierung dazu zu bringen, etwas für das Klima zu tun und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Kenianer*innen zu bekommen. Am 20. September marschierten sie von der Moi University ins Zentrum von Eldoret und demonstrierten dabei auch vor dem Büro des Parlamentsabgeordneten. Die Idee zu streiken ist für Wangui wichtig. Sie sagt, sie wollte, dass der Streik an einem Schultag stattfindet und nicht an einem Wochenende, weil die Aktion ausdrücklich den „normalen“, alltäglichen Gang der Dinge durchbrechen sollte.
 
Wie streikende Arbeiter*innen versammelten sich Studierende und Schüler*innen auf der ganzen Welt zu Großdemonstrationen, um die Gesellschaft zu einer Pause zu zwingen und um die Probleme ebenso wie das Handeln, das daraus folgen sollten, zu definieren und einzufordern und – noch wichtiger vielleicht – durch ihre schiere Zahl der Dringlichkeit, dem Ausmaß und den möglichen Konsequenzen des Klimawandels Sichtbarkeit zu verleihen. Wenn der Klimawandel wirklich eine so existentielle Krise darstellt, wie die wissenschaftlichen Beweise belegen, würde man drastische Maßnahmen erwarten oder zumindest eine allgegenwärtige Panik. Aber wie Thunberg in ihrer TEDx-Rede in Stockholm 2018 formulierte, „machen die Leute einfach so weiter wie gehabt, weil die überwältigende Mehrheit keine Ahnung von den tatsächlichen Konsequenzen unseres Alltagsverhaltens hat…. Denn, wie könnten wir? Wenn es wirklich eine Krise gäbe, und diese Krise von unseren Emissionen verursacht wäre, würde man doch zumindest ein paar Anzeichen sehen…. Niemand handelt so als würden wir uns in einer Krise befinden.“
 
Wegen seiner physischen Geografie ist Kenia besonders anfällig für zyklisch auftretende Dürren und Überflutungen, die der Klimawandel nun weiter verschärft und noch unberechenbarer gemacht hat. Wie der Fall der Frau, die Wangui im Tana River Delta getroffen hat, zeigt, trifft diese Veränderung diejenigen Menschen besonders hart, die nicht über die Ressourcen verfügen, sich an die immer extremer und unberechenbarer werdenden Klimabedingungen anzupassen und ihnen deshalb besonders schutzlos ausgeliefert sind. Das Ziel des UN-Klimagipfels, der zwei Tage nach dem globalen Klimastreik stattfand, war es, die Staaten dazu zu bewegen, sich zu ambitionierteren Klimazielen zu verpflichten. Obwohl bereits das Klimaabkommen von Paris von 2015 das Ziel ausgegeben hatte, die Globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, stieg die globale Emission von Treibhausgasen stattdessen weiter an. Die Vereinigten Staaten, der weltgrößte Kohlendioxid-Verursacher, versuchen sogar das Übereinkommen von Paris zu verlassen. „Wenn es ums Klima geht, stehen wir alle in der Verantwortung”, sagt Wangui. „Am Ende werden wir alle die gleiche Luft atmen, wir alle werden Wasser benötigen und wir alle wollen, dass unsere Kinder in einer lebenswerten Umwelt aufwachsen.“


Klimastreiks zeugen von der Erkenntnis der Streikenden, wie dringend notwendig es ist zu handeln. Gerade die Schulstreiks benennen diejenigen die unter den Konsequenzen der Untätigkeit am meisten leiden werden – und die gleichzeitig diejenigen sind, die den Protest organisieren: junge Menschen und Menschen, die in Armut leben, ebenso wie die Menschen im Globalen Süden. Auf diese Weise ist ihre Forderung nach Nachhaltigkeit weit davon entfernt, eine diffuse Vision für eine ferne Zukunft zu sein: die Streikenden, die jungen Kenianer*innen, die zusammen mit Wangui in Eldoret demonstrierten, werden Leben führen, auf die der Schatten der sich immer deutlicher abzeichnenden, allgegenwärtigen Bedrohung des Klimawandels fällt. Indem sie für das Klima streiken, fordern sie so letztlich die Zukunft von denjenigen zurück, die sie in der Gegenwart kontrollieren.


Nachhaltigkeit ist schließlich eine Übung darin, die eigenen Füße in der Gegenwart zu bewegen, während die Augen bereits in der Zukunft sind. So definiert auch Wangui Nachhaltigkeit als jegliche Entwicklung, die „ihre Pionier*innen überflüssig macht“ – etwas, das mit auf den Horizont gerichtetem Blick entworfen wird und auch dann weiterläuft, wenn seine Vordenker*innen verschwinden. Bevor sie ihr Studium abschließt, plant Wangui noch einen weiteren Streik zu organisieren.

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