Out Film Festival
Scham ist ein Kleid, das ich lang trage, um meine Wahrheit zu verdecken
Ich hatte noch nie über Scham als als Luxus nachgedacht - Ich hatte überhaupt noch nicht viel über Scham nachgedacht. Sie, gefühlt, ja, aber nie versucht, sie nӓher zu bestimmen und sie zu fragen, wann,wieso und wie sie Teil meines Lebens wurde. Erst als ich beim Out Film Festival (OFF) 2018 mit dem Festivalthema (We No Longer Have the Luxury of Shame) Wir haben den Luxux der Scham nicht mehr konfrontiert wurde, musste ich dieses abstrakte Gefühl hinterfragen.
Von Gloria Kiconco
Vor dem Festival las ich Fruit of Knowledge: The Vulva vs The Patriarchy (Der Ursprung der Welt), eine feministische Graphic Novel von Liv Stromquist[3]. In Kapitel vier, Feeling Eve, or In Search of Our Mother’s Gardens (Feeling Eve: Auf der Suche nach Mamas Garten), schreibt sie: „I once read that the difference between guilt and shame is that we feel guilt for something we have done, but we feel shame for what we are.“ (Ich habe einst gelesen, dass der Unterschied zwischen Schuld- und Schamgefühlen darin besteht, dass wir uns für etwas schuldig fühlen, was wir getan haben, aber Scham empfinden, für das was wir sind).
Diese Definition rief etwas in Erinnerung, das meinen Freunden und mir Anfang des Jahres passiert war.
Zwei Lesben, zwei schwule Männer und eine nicht geschlechterkonforme Person betraten einen Club in Kampala. Wir wurden von einem Türsteher an einem Eingang, der zu einer Bar im Freien führte, angehalten. Er ließ unseren nicht geschlechterkonformen Freund nicht durch, weil er Stöckelschuhe trug – oder mit den Worten des Türstehers „wie eine Frau“ gekleidet war. Als wir versuchten, unserem Freund beizustehen, zeigte der Türsteher auf einen unserer schwulen Freunde und warf ihm ebenfalls vor, sich wie eine Frau zu kleiden. Wir entschieden uns, zu verschwinden, bevor die Lage eskalierte. Beim Rausgehen zog der Manager, der unseren anderen schwulen Freund kannte, ihn zur Seite und teilte ihm mit, dass wir einen anderen Eingang benutzen könnten. Wir gingen trotzdem.
Um sein schlechtes Gewissen zu lindern, versuchte der Manager uns wie Waragi -Beutel einzuschmuggeln; wie die, die ich in meinen BH stecken würde, um die teuren Getränke an der Bar nicht kaufen zu müssen. Dies bekräftigte nur die Tatsache, dass das Problem nicht etwas war was wir getan hatten, sondern wer wir in ihren Augen und in den Augen des Gesetzes Ugandas waren: Illegale Ware.
Mein Leben in Uganda hat mich mit der Scham, die solche Begegnungen hervorrufen, nur allzu vertraut gemacht. Sie ist vergleichbar mit dem Schmerz von hundert winzigen Schnitten im Magen, wobei die inneren Blutungen jedoch schwer erkennbar bleiben. Es ist ein Gefühl, das in der preisgekrönten Kurzgeschichte Jambula Tree[5] von Monica Arac de Nyeko zum Ausdruck kam:
„Our names became forever associated with the forbidden. Shame.“
(Unsere Namen wurden für immer mit dem Verbotenen verbunden. Scham.)
Zehn Jahre nachdem die in Uganda spielende Geschichte Jambula Tree im Jahr 2007 den Caine-Prize gewann, wurde sie von der kenianischen Filmemacherin Wanuri Kahiu in einen Film mit dem Titel Rafiki umgearbeitet. Der Film Rafiki, der die Liebesgeschichte zweier Kenianerinnen – Kena und Ziki – erzӓhlt, wurde vom Kenya Film Classification Board (KFCB) verboten. Am 27. April 2018 wurde über Twitter bekannt gegeben, dass der Film aufgrund des homosexuellen Themas und der eindeutigen Absicht, lesbische Liebe in Kenia entgegen dem Gesetz und den vorherrschenden Werten der Kenianer*innen zu fördern, verboten wurde. Wanuri Kahiu brachte den Konflikt bis vor das Oberste Gericht und argumentierte, dass der Film wegen des Verbots dem Oscars Selection Committee Kenya nicht vorgelegt werden könne. Monate später hob das Oberste Gericht das Verbot sieben Tage auf, vom 21. bis 30. September. Bis zum Anfang des Festivals war das Verbot jedoch erneut in Kraft getreten.
Rafiki-Filmposter © Big World Cinema
Am Eröffnungsabend des Out-Filmfestivals saß ich vor Beginn des Programms draußen und sah zu, wie sich Interessierte dem Auditorium des Goethe-Instituts Nairobi näherten. Am Eingang waren einige Dokumente aufgehängt. Eines war das Werbeplakat für das Festival und auf den anderen stand das Festivalprogramm. In der Mitte des Plakatdesigns befand sich ein abgerissenes Ticket von einer früheren Aufführung von Rafiki - eine Erinnerung an die sieben Tage, an denen das Verbot aufgehoben war. Ab und zu leuchteten Gesichter auf, sobald jemand das Plakat ansah - bis die Personen beim Durchschauen des Programms zu der Feststellung kamen, dass Rafiki nicht vorgeführt werden würde.
OFF 2018 wurde von Jackie Karuti und Muthoni Ngige kuratiert. Sie wählten neun Filme aus – Kurzfilme, Features, Dokumentarfilme und Fiktionen. Diese wurden über vier Tage während des Festivals aufgeführt und stammten aus Chile, Kuba, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, den USA, Kanada-Indien und anderen Ländern. Nur einer der Filme, Reluctantly Queer, stammte aus einem afrikanischen Land und war selbst dann eine gemeinsame Produktion von Ghana und den USA.
Reluctantly Queer ist eine düstere und graustufige 8-minütige Aufnahme, in der ein schwuler ghanaischer Mann mittels eines Briefes an seine Mutter seinen Alltag in Amerika schildert: Beim Duschen, Zähneputzen, Kuscheln mit seinem Geliebten. Er vermisst seine Mutter, aber kann das Gefühl, als Schwarzer in den USA und als Schwuler in Ghana bedroht zu sein, nicht überwinden.
Reluctantly Queer, Kwame Edwin Otu (2016) © Obibini Pictures LLC
Bei einem Filmfestival bilden die aufgeführten Filme den Schwerpunkt des Festivals. Beim OFF 2018 waren die nicht-aufgeführten Filme jedoch mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger. Der Gebrauch von dem Rafiki Ticketfetzen und die Vorführung von Reluctantly Queer lenkten die Aufmerksamkeit auf die zensierten Filme und die stummen Stimmen, die nicht anwesend sein konnten.
Das Verbot eines Filmes ist eine rechtliche Maßnahme, Scham die anschließende kulturelle Sanktion. So wird das Unannehmbare, das Unerwünschte und das Tabu von der Kultur, der Gemeinschaft und dem Land abgestempelt. Es ist ein wirksames Werkzeug: Eines, das dich bittet, die ganze Arbeit zu erledigen, dich selbst zu erniedrigen und dich in Schach zu halten - eine Art Selbstverstümmelung.
Aus diesem Grund haben wir den Luxus der Scham nicht mehr. Aber was bedeutet es, frei von Scham zu sein? Was ist das Gegenteil von Scham?
Der Eröffnungsabend trug den Titel „Shameless“ (schamlos), ein Wort, das normalerweise einen negativen Beigeschmack hat. Es war ein ehrlicher Austausch von homosexuellen Erfahrungen, vor allem lesbischen und bisexuellen Erfahrungen, denn so haben sich die Panel-Mitglieder identifiziert.
Ein Gespräch rund um Sex führt zu einer hohen Aufmerksamkeit beim Publikum. Aber diese Diskussion ging über das Thema Sex hinaus. Es ging darum, die Art und Weise zu verändern, wie wir darüber empfinden, die Scham loszulassen. Es ging darum, dem Publikum das Gefühl zu vermitteln, dass Scham kein Geburtsrecht oder irgendein pervertiertes Ehrenzeichen ist. Es ging darum zu verstehen, dass Schamlosigkeit nicht immer schlecht ist.
Früher an diesem Tag war ich mit einigen der Diskussionsteilnehmer*innen zusammengekommen, die Ishtar besucht hatten, ein MSM Zentrum für Gesundheit und soziales Wohlbefinden. Wir besichtigten die Einrichtung und trafen einige der Männer, die dort Sozialarbeit leisten. Zudem trafen wir einige der Ishtar Dolls, eine Gruppe von Künstlern, Designern und Performern. Ein Mitglied dieser Gruppe sagte etwas, das mich für die ganze Dauer des Festivals nicht losließ – es sei wichtig, das Publikum dazu zu bringen, die Ishtar Dolls und Ishtar-Mitglieder nicht lediglich als Männer, die Sex mit Männern haben, wahrzunehmen. Anstatt sie auf ihre Sexualität zu reduzieren sei es von großer Wichtigkeit, sie als Künstler, Performer und über alle anderen Schichten ihrer Identität zu betrachten.
Die Thematisierung von Schamlosigkeit am ersten Tag der Diskussionsrunde fühlte sich wie ein Echo dieses Gefühls an. Ja, lasst uns ohne Scham über Sex reden, aber dabei zugleich die Scham loswerden. Denn auch wenn sich die ostafrikanischen Regierungen mit unserem Sexualleben beschäftigen, und sich ständig die Mühe geben, uns dafür zu beschämen, sind wir weitaus mehr als das, was wir im Schlafzimmer tun (Wie groß ihre Enttäuschung wäre, wenn sie wüssten, dass wir unsere Schlafzimmer die meiste Zeit zum Schlafen nutzen. Wie alle anderen auch).
Die kollektive Queer-Bewegung in Ostafrika umfasst Jahrzehnte harter Arbeit. Die achte Ausgabe des OFF ist gerade zum Abschluss gekommen – daher ist es ein relativ junges Projekt. Kevin Mwachiro, Mitgründer des Festivals, erzählte uns, wie am Anfang das Publikum nur aus einer Handvoll Personen bestand, die bereit waren, das Risiko einzugehen, an den Vorführungen teilzunehmen. Das war im Jahr 2010. Bis 2018 wurde das Auditorium des Goethe-Instituts jedoch voll und es wurde jeden Tag schwieriger, einen Platz für die Vorführungen zu ergattern. So kommt es oft zu Veränderungen – durch Ausdauervermögen. Durch Leute wie Kevin, die den ersten Schritt wagen, auch wenn es den Anschein hat, als wäre die Zeit noch nicht reif.
Am zweiten Tag des Festivals brachte das Panel „All the Threatened and Delicious Things Joining One Another“ (All die bedrohten und köstlichen Dinge, die sich verbinden) solche Persönlichkeiten zusammen – Aktivist*innen, Künstler*innen, Podcast-Moderator*innen und Blogger*innen. Alle leisten ihren Beitrag zu der Bewegung und machen eine bessere Existenz für queere Gemeinschaften möglich – online wie offline, in Ostafrika bis auch nach Südafrika – jeder dabei gewisse Risiken eingehend.
Samantha Mugatsia, die in Rafiki Kena darstellt, war Teil dieses Panels. Sie war mit dem Film zu Festivals in der ganzen Welt gereist. Auf dem Weg erhielt Rafiki mindestens neun Auszeichnungen. Dennoch hielten einige Kritiker*innen den Film für konventionell auf ein westliches Publikum ausgerichtet. Aber was für sie konventionell war fühlte sich revolutionär an, als Rafiki Ende September endlich nach Hause kam und die Vorführungen in ganz Kenia ausverkauft waren. Was für Kenia revolutionär war schien für Uganda, wo der Film möglicherweise nie gezeigt wird, unerreichbar. Aber es gab Hoffnung. Die Grundlage war gesetzt worden. In gleicher Weise wie Indiens Entkriminalisierung von Homosexualität, könnte dem juristischen Kampf um die Aufhebung ähnlicher repressiver Gesetze in Kenia der Weg geebnet werden.
Wenn es dort passieren könnte, dachte ich, könnte es vielleicht auch hier passieren.
Eines der anhaltenden Themen in diesem Panel wurde von Linda Pepper, bei ihrer Online-Community auch als Kenyan Babydyke bekannt, angesprochen. Sie ist der Meinung, dass Führungspersönlichkeiten, Künstler*innen, Aktivist*innen und Personen mit einer Stimme in der Queer-Community eine Verantwortung dafür tragen, den kommenden Baby-Queer den Weg zu bereiten oder Fortschritte für diese zu machen. Dies könnte bedeuten, Gesetze zu ändern, sichere Räume zu schaffen, Gespräche auf verschiedenen Ebenen in Gang zu setzen und Plattformen zu schaffen, die einst unvorstellbar waren. Andererseits fühlte Neo Musangi, ein nicht geschlechterkonformer Gelehrter, Künstler und Performer, keine aufkommende Verantwortung gegenüber denen, die nach ihnen kämen.
Als Queere, Feminist*innen und Künstler*innen ist es leicht, die Last von Veränderungen einander aufzulegen oder unsere Prioritäten als Prioritäten aller anzusehen. Wir stellen Erwartungen an andere und schlagen dann wild um uns, wenn sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden.
Manchmal ist das Ziel, im Namen einer Gemeinschaft Fortschritte zu machen; wie wenn es sich um die Veränderung der Gesetzgebung handelt, was die National Gay & Lesbian Human Rights Commission (NGLHRC) sich vorgenommen hat, oder wenn es darum geht, Gespräche mit staatlichen Organen zu initiieren, die unmittelbaren Einfluss auf die Gesundheitsfinanzierung von MSM haben, was Teil der Tätigkeiten der Ishtars ist.
Den Weg für die nächste Generation zu ebnen ist manchmal eine Selbstverständlichkeit. Neo war sichtbar – physisch, durch Vorführungen über Nicht-Geschlechterkonformitӓt auf den Straßen von Nairobi. Sie waren online über soziale Medien, Blogs und wissenschaftliche Arbeiten sichtbar. Das Schaffen aus eigener Wahrheit, wie Neo es tut, regt andere zum Folgen an, oder ermutigt sie, den eigenen Weg zu finden.
Aus diesem Grund kamen Künstler*innen und Aktivist*innen zur Diskussionsrunde zusammen. Es hat uns daran erinnert, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Veränderungen vorzunehmen. Die Kunst ist dem Aktivismus an Stärke gleich zu stellen. Die Reflexion erfordert so viel Zeit und Raum wie das Handeln. Das Feiern und der Stolz ergänzen den Widerstand und den Protest.
Freitag, den 9. November 2018 war der dritte Tag des OFF und der Veranstaltungssaal war überfüllt. An diesem Tag moderierte ich die Diskussionsrunde für den Abend, „Pride and Protest “ (Stolz und Protest), bei der ugandische Künstler*innen und Aktivist*innen vorgestellt wurden. Während wir uns auf die Diskussionen vorbereiteten, berichteten die Independent[15-Nachrichten über die Festnahme von zehn Männern auf Sansibar. Es war der aktuellste Bericht in der Flut von Medienberichten über die Verfolgung homosexueller Menschen in Tansania. Die Männer hatten angeblich an einer homosexuellen Hochzeit teilgenommen und sollten deshalb Analuntersuchungen unterzogen werden. Diese überholte und unwissenschaftliche Art der Untersuchung sollte dazu dienen, homosexuelle Aktivitäten unter Beweis zu stellen. Alles, was es jemals sein kann, ist die Verletzung von Menschenrechten.
Während wir uns für das Festival in Nairobi versammelten, stellte der Leiter der Stadtverwaltung von Dar es Salaam, Paul Makonda, ein Einsatzteam zusammen, das homosexuelle Menschen aufsuchen und einsperren sollte. Diese Aktion wurde als ein hartes Vorgehen gegen Prostituierte getarnt. Jedoch verbreitete sich sein Aufruf, Homosexuelle zu melden, auf YouTube und eskalierte zu einer Hexenjagd, die zum online Coming-Out hunderter LGBTQ+ Tansanier*innen führte. Sollten sie erwischt werden, müssten sie wegen „Geschlechtsverkehrs mit einer Person, der gegen die natürliche Ordnung spricht“ mit 30 Jahren Gefängnis rechnen.
Die Lage in Tansania war ein eiskaltes Echo von Uganda 2014, als tausende LBGTQ+ Ugander*innen angesichts des infamen Gesetzes gegen Homosexualität aus dem Land flohen, um den Auswirkungen zu entgehen. Das hat starke Angst and Scham in uns wiederbelebt, die durch öffentliche Demütigung ausgelöst wird.
Das Pride and Protest Panel stellte durch Geschichten über Trauma, Ausdauer und Frustration eine emotionale Reise dar. Er war zudem ein Ort der Heilung, da wir Gedichte und Geschichten der Solidarität austauschten und sogar einen stärkenden Zauber durch unsere örtliche Hexe, Verteidigerin und Aktivistin Mildred Apenyo teilten. Die anderen Mitglieder des Panels waren Godiva Akullo, eine Rechtsanwältin, Aktivistin sowie Schriftstellerin, und DJ Racheal, eine Musikproduzentin und Aktivistin. Alle waren auf die eine oder andere Weise Spitzenreiter*innen gewesen. Sie kannten nur zu gut die Panik, über ein bekanntes Foto in einer Boulevardzeitung zu stolpern, den Terror einer Polizeirazzia – die Erinnerung ließ immer noch ein Zittern durch Godiva‘s Hӓnde laufen – und die anhaltende Qual, als ein Verbrechen auf Beinen angesehen zu werden. Soweit wir uns den Schmerzen stellten, tauschten wir Strategien darüber aus, sie zu überleben, zu heilen und zu gedeihen.
Als die Diskussion zu Ende ging, lud Mildred Godiva ein, eine Nachahmung von Mato Oput, eine Acholi-Zeremonie der Vergebung und Versöhnung, vorzuführen. Jeder legte seine Hand auf den Kopf des anderen und sprach Wörter der Vergebung, die den stillen Veranstaltungssaal füllten. Mit diesem Versöhnungsakt zielte Mildred darauf ab, das anwesende Publikum an etwas Einfaches, etwas Monumentales zu erinnern. Wir müssen einander vergeben. Wir müssen uns vergeben. Wir müssen uns versöhnen.
Wie viele andere Bewegungen, ist die Schwulenbewegung in Uganda (und in Kenia) von internen Streitigkeiten, Gerangel um Finanzierung und lang-gehegtem Groll geplagt. Solche Probleme bringen uns oft noch weiter zurück als die öffentliche Diskriminierung oder das Verbieten von Filmen. Sie segmentieren eine bereits segmentierte Vereinigung von Individuen, bis wir isoliert dastehen.
Am Samstagabend sprach Jim Chuchu beim Abschlusspanel „The State, the Award and the Academy“ (Der Staat, der Preis und die Akademie) darüber, wie sein erster Spielfilm, Stories of Our Lives (2014), in Kenia verboten wurde. Stories of Our Lives, eine Anthologie von fünf Geschichten aus Kenias LGBT-Gemeinschaft, wurde mit einem Teddy Jury Award ausgezeichnet. Der Teddy Award ist eine Auszeichnung für Queere Filme, die von Wieland Speck, einem deutschen Filmregisseur, mitbegründet wurde. Dieser wurde vom Goethe-Institut als Ehrengast eingeladen und saß neben Jim Chuchu. Andere Teilnehmenden an der Diskussion waren die britische Drehbuchautorin und Regisseurin Dionne Edwards, sowie Aida Holly-Nambi, die bei None on Record und zugleich als Reporterin und Produzentin des Podcasts AfroQueer arbeitet.
Nach dem Abschluss der Diskussionen hielt die Kuratorin Jackie Karuti eine kurze Rede. Darin erwähnte sie, wie jemand ihr vorgeworfen hatte, nicht queer genug zu sein, um das Out-Filmfestival zu kuratieren.
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Lasst uns hier eine Pause für ein Pop-Quiz einlegen.
1. Dieser Angriff zielte darauf ab
a. was sie ist oder
b. was sie getan hatte
2. Dieser Kommentar sollte in ihr
a. Schamgefühle oder
b. Schuldgefühle erwecken
Als ich gebeten wurde, diesen Artikel zu schreiben, wurde ich ängstlich, weil mich eine anhaltende Stimme im Hinterkopf fragte: Was macht dich würdig, dies zu tun? Welche Autorität hast du, dies zu schreiben? Was weißt du überhaupt darüber?
Es ist natürlich, zu befürchten, was andere zu uns oder über uns sagen werden. Es ist natürlich, zu befürchten, dass sie uns in Fetzen reißen werden, wenn auch nur, um sich selbst aufzubauen. Anstatt Kritik zu üben mit der Absicht, unsere Fehler zu korrigieren (und wir alle machen Fehler), führen unsere Feinde wie auch Verbündeten unsere Fehler auf unsere persönlichen Schwächen zurück. Das ist ein lähmendes Gefühl. Eine Illusion, der man sich leicht hingeben kann. Sie hält uns davon ab zu realisieren, dass wir es Wert sind zu schreiben, Festivals zu kuratieren, Filme zu machen, Kunst zu schaffen, Podcasts aufzunehmen und zu feiern, sowie zu überleben und zu gedeihen.
In ihrem Essay, „Poetry is Not a Luxury” (Die Poesie ist kein Luxus), schreibt Audre Lorde:
“For women, then, poetry is not a luxury. It is a vital necessity of our existence. It forms the quality of the light within which we predicate our hopes and dreams towards survival and change, first made into language, then into idea, then into more tangible action.”
(Für Frauen ist die Poesie daher kein Luxus. Sie ist eine elementare Notwendigkeit unserer Existenz. Sie macht die Qualität des Lichts aus, innerhalb dessen wir unsere Hoffnungen und Träume vom Überleben und der Veränderung verankern, die erst in Sprache, dann in Ideen und schließlich in konkretere Maβnahmen umgesetzt werden.)
Diese Worte sind der Grund dafür, dass ich schreibe, auch wenn ich an mir selbst zweifle. Weil es für meine Existenz wesentlich ist.