Grüner Widerstand in Mathare
Wo Bäumepflanzen radikal ist
In Nairobi, einer stark entlang von Klassengrenzen segregierten Stadt, endet der Müll in den informellen Siedlungen – und ist so eng mit ihnen verflochten. Müll ist nicht nur Teil der Landschaft, er bestimmt sie. In anderen Teilen der Stadt entsorgt und unter dem Vorwand eine „Müll-Wirtschaft“ zu schaffen hierhergebracht, sickert der Müll in den Boden, verpestet verbrennend die Luft und wird so hoch aufgetürmt, dass er die Topografie verändert.
Von April Zhu
2018 führte eine Gruppe junger Männer einen „Baumzensus“ in Mathare, einer inoffiziellen Siedlung in Nairobi, durch. Sie waren Freiwillige des Mathare Green Movement (MGM), einer Graswurzel-Organisation, deren Ziel es ist das Verhältnis der Einwohner von Mathare zu dem Land, auf dem sie leben, zu verändern.
In Nairobi, einer stark entlang von Klassengrenzen segregierten Stadt, endet der Müll in den informellen Siedlungen – und ist so eng aufs engste mit ihnen verflochten. Müll ist nicht nur Teil der Landschaft, er bestimmt sie. In anderen Teilen der Stadt entsorgt und unter dem Vorwand eine „Müll-Wirtschaft“ zu schaffen hierhergebracht, sickert der Müll in den Boden, verpestet verbrennend die Luft und wird so hoch aufgetürmt, dass er die Topographie verändert. Hinzu kommt der Fakt, dass die Frage des Landbesitzes angespannt ist, weil nur wenige Menschen das Land auf dem sie leben auch besitzen und das Land zu großen Teilen von illegalem „Land Grabbing“ bedroht ist. Die Konsequenz davon ist, dass die Menschen mit jeder Generation noch stärker von jeglicher „Natur“ entfremdet sind als die vorangegangene. Die Freiwilligen des MGM durchstreiften Mathare über einen Monat hinweg und dokumentierten jeden Baum, den sie fanden. Es stellte sich heraus, dass in Mathare auf 1.200 Einwohner*innen nur ein Baum kam.
Kein fruchtbares Schwarz, sondern ein totes Schwarz
Es ist Samstagmorgen im Bezirk Mabatani von Mathare, doch eine Gruppe von etwa einem halben Duzend junger Männer haben schon einen Pfad an einem steilen Hügel freigeräumt und dabei einen Kanal für dunkles, fauliges Wasser geschaffen, dass aus einem leckenden Tank auf dem Hügel ausläuft. Wo sie mit ihren Schaufeln den Boden umgraben ist die Erde voller Plastik, Dreck und Kleidungsfetzen. Unter dieser obersten, mit vielfarbigem Plastik durchsetzten Bodenschicht kommt eine unnatürlich schwarze Erde zum Vorschein – kein fruchtbares Schwarz, sondern ein totes Schwarz.Die Freiwilligen, von denen einige von der lokalen Jugendgruppe Shantys Youth Group und andere vom MGM sind, sind hier, um diesen Ort in einen Park zu verwandeln. Nach einem Jahr voller Gespräche mit Gemeindeleiter*innen und Anwohner*innen, haben sie endlich die Erlaubnis erhalten zu graben. Später sollen Bäume, genauer gesagt eine Mischung aus medizinischen und einheimischen Bäumen, sowie Zierbäumen gepflanzt werden.
Das MGM dekonstruiert den „öffentlichen Park“. Sie pflanzen Bäume auf vergessenen Schulhöfen und Brachflächen – kurz, an jedem Ort, der nicht genutzt wird. Alle sind Freiwillige; weder Sponsor*innen noch Politiker*innen sind involviert.
Wyban Mwangi, ein in Mathare lebender Schriftsteller, ist Mitglied des Mathare Green Movement. Während er eine Pause vom Graben macht, sagt er: „Wenn man die Umgebung von Menschen verändert, kann man verändern wie Menschen über diese Umgebung denken und sogar, wie sie sich selbst sehen.“ In seinen Texten verfolgt Mwangi das, was er „Mathare Futurism“ nennt, ein literarischer Ansatz in dem er die Zukunft Mathares durch die Augen seiner Bewohner*innen zu imaginieren versucht und nicht durch einen Blick von außen. Beim Pflanzen der Bäume, so sagt er, geht es nicht um die „Verschönerung“ des Ortes, sondern darum Zusammenhalt und Zusammenarbeit zu stärken.
Radikaler als es auf den ersten Blick erscheint
Aber wie kann dieses Ziel durch das bloße Pflanzen von Bäumen erreicht werden? Die Abfolge der Arbeiten ist simpel, erklärt Mwangi, aber es erfordert notwendigerweise gemeinsames Handeln über einen langen Zeitraum hinweg. Zunächst muss eine Gruppe von Menschen zusammenkommen, um als Kollektiv eine Idee von etwas zu entwickeln – in diesem Fall einen Park. Auf dieses Ziel müssen sie über eine lange Zeit hinweg hinarbeiten und sich dabei um die Erlaubnis auf einem ungenutzten Streifen Land pflanzen zu dürfen bemühen. Dieser Prozess kann Monate dauern. Sie erschaffen diesen Ort schließlich zusammen, graben mit der Kraft ihrer Körper den Boden um und beginnen dann ihn zu kultivieren. Schließlich müssen sie sich um den Erhalt der Bäume kümmern – ein Endlosprojekt. Das Ziel des MGM ist, dass mit der Zeit das Pflanzen von Bäumen eine „Gewohnheit“ der Gemeinschaft wird, etwas an das sich die Menschen gewöhnen und das sie vorauszusetzen beginnen – das Ergebnis dieses Prozesses sind damit nicht die Bäume selbst, sondern das gemeinsame Handeln mit dem eine Vision der Zukunft im Hier und Jetzt realisiert wird.„Wir machen keine ‚Events‘“, sagt Oyunga Pala, eines der Gründungsmitglieder des MGM. „Zu oft fokussieren wir uns in Kenia auf die schönen Bilder des Bäumepflanzens und lassen dabei den langfristigen Prozess der Kultivierung, des Schutzes und der gemeinschaftlichen Nutzung der Bäume außer Acht.“ Die Länge dieses Prozesses, die Verwurzelung, nach der das „Aufziehen“ eines Baumes verlangt, sagt er, ist antithetisch zu den Kräften, die das Leben vieler junger Menschen in Mathare prägen: prekäre Lebensbedingungen, Disponibilität, Misstrauen. Die simple Arbeit des MGM, nämlich die gemeinschaftliche Kultivierung des Landes wiederzubeleben, ist daher viel radikaler als sie auf den ersten Blick erscheint.
Vor kurzem unternahm das MGM mit seinen Mitgliedern einen Ausflug in den üppigen Karura Forest, einen der größten Parks in Nairobi, der von Mathare im Grunde nur von einer riesigen Schnellstraße getrennt wird. Für die meisten der Mitglieder war es das erste Mal, dass sie den Park besuchten. Der Park ist umzäunt, wird von bewaffneten Posten bewacht und der Eintrittspreis liegt weit über dem, was sich der allergrößte Teil der Bewohner*innen von Mathare leisten kann. Pala erklärt, dass für viele der Armen in Nairobi der Anblick eines Baumes ein Zeichen dafür ist, dass sie sich in einer reichen Gegend der Stadt befinden. Mit anderen Worten, dass sie sich an einem Ort befinden, den sie nur auf der Durchfahrt sehen werden und nur dann Zugang zu ihm haben, wenn sie dort arbeiten. Der Baum ist – auf verstörende und perverse Weise – Symbol der Klassenschranken.
Nachhaltigkeit jenseits des Mülls
Gleichzeitig ist Mathare, wie viele andere informelle Siedlungen von Großstädten auf der ganzen Welt, zur Mülldeponie der Stadt geworden. Das bedeutete, dass das, was die Bewohner*innen tagtäglich sehen und wo sie leben, Müll ist. Es erübrigt sich zu sagen, dass dies ein gefährlicher, ungesunder und menschenunwürdiger Ort ist. Wenn wir an Nachhaltigkeit denken, dann ist es vielleicht genau das, woran wir sofort denken: an Müll und dass wir weniger davon produzieren sollten – und, dass wir diesen Müll nicht dort entsorgen sollten, wo Menschen leben.Müllmanagement und Müllreduzierung sind zweifellos sehr wichtig, aber die Freiwilligen des MGM denken „Nachhaltigkeit“ jenseits des Mülls. Im Geiste von Mwangi’s „Mathare Futurism“ haben sie zunächst eine Idee dessen geschaffen, was sie überhaupt „erhalten“ wollen, nämlich eine Form menschenwürdigen Lebens, performativ geschaffen durch kollektives Handeln.
Bis zum Nachmittag hatte die Gruppe von Freiwilligen, die von Stunde zu Stunde größer wurde, den Streifen Landes komplett herausgearbeitet, den Müll von ihm entfernt und den Boden umgegraben. In diesen wenigen Stunden war der Ort zum Zentrum hektischer Betriebsamkeit geworden, als Passanten stehen blieben, um zuzusehen, ihre Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, Fragen zu stellen oder sich sogar selbst spontan zu beteiligen. In wenigen Wochen werden Bäume gepflanzt sein und, noch ein paar Wochen später, wird der Ort zu einem Park geworden sein. Vielleicht wird Nachhaltigkeit viel öfter als wir denken durch kleine, grüne Akte des Widerstands erreicht.