1987-1992
Korea im gesellschaftlichen Umbruch

Die „Dreigroschenoper“ in koreanischer Inszenierung 1988
Die „Dreigroschenoper“ in koreanischer Inszenierung 1988 | Foto: Goethe-Institut Korea

Hans-Jürgen Nagel war von 1987-1992 Institutsleiter des Goethe-Instituts Seoul – eine Zeit, in der Korea sich in einem umfassenden gesellschaftlichen Umbruch befand. An dieser Stelle reflektiert er, was das für die Arbeit des Goethe-Instituts im Land bedeutete.

Meine Leitung des Instituts in Seoul fiel in die Zeit von 1987 bis 1992. Zu Beginn fand in Korea ein gesellschaftlicher Umbruch statt, der seine Auswirkungen auch auf unsere Programmarbeit haben sollte. Roh Tae-Woo wurde zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Südkoreas gewählt. Es begann eine ökonomische Weiterentwicklung des Landes von einem der ehemals ärmsten Länder der Welt zu einer Weltwirtschaftsmacht. Dies führte jedoch auch zu weiteren „säkularen“ Auswirkungen vor allem in den subkulturellen Zentren Seouls, zu einer Liberalisierung des Denkens unter Studenten und den Eliten sowie zu einem Prozess der Inkulturation - der Durchdringung einer vorhandenen Kultur mit den Lebensformen und Werten einer anderen.  Auswirkungen gab es auch auf Themen der akademischen Forschung des Landes: zum Beispiel bei Themen zum Zwiespalt zwischen dem „schamanistischen Erbe und dem religiösen Faktor im Modernisierungsprozess“ oder dem der „Rolle der Frau im Konfuzianismus vor dem Hintergrund von asiatisch-feministischen Bewegungen.“

Diese gesellschaftlichen Entwicklungen, die Liberalisierung und Öffnung der koreanischen Gesellschaft, hatten weitreichende Konsequenzen für die Programmarbeit. Besondere Berücksichtigung fanden in dieser Zeit zum Beispiel deutschsprachige Autoren wie Bertold Brecht, die bis dahin unter die Zensur gefallen waren. So wurde erstmalig die „Dreigroschen-Oper“ von Bertold Brecht und Kurt Weill in koreanischer Übersetzung, mit ausschließlich koreanischen Schauspielern und einem koreanischem Produktionsteam produziert. Alle 17 Aufführungen waren ausverkauft.

Eine Performance im Rahmen der Kunstdisco in Seoul 1988.
Eine Performance im Rahmen der Kunstdisco in Seoul 1988. | ©Affonso Gavinha 1988 @kristinakorb.com
1988 war die „Kunstdisco“ der offizielle kulturelle Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Sommerolympiade in Seoul. Junge deutsche Künstler - Komponisten, Architekten, Designer - konzipierten eine Art Gesamtkunstwerk, bei dem das Goethe-Institut „Bauherr“ und Koordinator vor Ort war. Das Projekt wurde in der deutschen Presse und unter den Eltern der jungen Generation Koreas kontrovers diskutiert. Daran zeigte sich, wie fragil die breitere koreanische Gesellschaft bei der Konfrontation mit einem relativ unorthodoxen Lebensstil des Westens offenbar noch war.

Ein weiteres zentrales Thema war, vor dem Hintergrund der nationalen Spaltung Koreas, die deutsche Vereinigung. Bei Seminaren mit deutschen und koreanischen Politikern und Experten spielten auch ganz pragmatische Fragen eine Rolle, wie zum Beispiel die Bewältigung der Kosten einer Vereinigung. Die Teilung Koreas wirkte sich auch auf die Planung eines Konzerts aus Anlass des 75. Geburtstages des in Berlin wirkenden Komponisten Isang Yun aus. Es musste auf Betreiben von südkoreanischen Regierungskreisen schließlich abgesagt werden, da koreanische Studenten das Konzert gegen ihre eigene Regierung zu instrumentalisieren drohten. Studentenunruhen gehörten durchaus zum Straßenbild des Umbruchs in dieser Zeit.

Isang Yun hatte bekanntlich in der Vergangenheit Kontakte zu Nordkorea gehabt und war auf Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes in den 1960er Jahren aus Deutschland entführt und in Südkorea angeklagt und verurteilt worden. Dass die südkoreanische Regierung als Vorsichtsmaßnahme das Konzert absagte, war sicher auch ein Beispiel für die Fragilität der jungen koreanischen Republik. Yun hatte einstmals aus Anlass der Aufführung seiner Kantate „An der Schwelle“ gesagt: „Die Realität ist hoffnungslos, aber Gott ist da!“

Grundsätzlich bildeten neueste westliche Entwicklungen der 1980er Jahre in den Bereichen Musik, Film, Kunst und Literatur, gesellschaftliche Umwandlungen, vor allem im Bereich der Rolle der Frau, sowie das zentrale Thema der Ökologie Schwerpunkte des Programms. Hierzu gab es erfolgreiche Formen der Zusammenarbeit mit koreanischen Partnerorganisationen. Herausragend war zum Beispiel die Produktion und Uraufführung von Mozarts „Figaros Hochzeit“ im Nationaltheater. Das Team des Pantomimen Milan Sladek inszenierte Mozarts Oper im japanischen Bunraku-Stil mit großen Puppen sowie mit koreanischem Orchester und koreanischen Sängerinnen und Sängern. Die Produktion wurde anschließend in viele Länder und Opernhäuser eingeladen.

Nicht zu vergessen ist das Ansehen der Deutschen Sprache, dass sich während meiner Zeit als Institutsleiter nicht nur in jährlich nahezu 4000 Sprachstudenten widerspiegelte. Auch in der Pädagogischen Verbindungsarbeit mit ihren vier aus Deutschland entsandten Mitarbeitern sowie in der Zusammenarbeit mit über 1000 Deutschlehrern, die an etwa 450 Oberschulen Koreas über eine halbe Million Schüler in Deutsch als zweite Fremdsprache unterrichteten, war das Interesse an der Deutschen Sprache zu erkennen.

Seitdem sind 26 Jahre vergangen und man fragt sich nicht selten, ob das alles so sinnvoll war, was man da machte. Diese Frage ist jedoch insbesondere im Bereich des kulturellen Austauschs nur im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen und vor dem Hintergrund des Zeitgeistes zu beantworten - wobei Irrungen nicht ausgeschlossen sind.

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