Robin Roth, Karagandy
Was verschlägt einen jungen Deutschen nach Kasachstan? Und das, obwohl es weder biographische Bezüge zum Land noch verwandtschaftliche Beziehungen zu jenen Deutschen gibt, die seit langer Zeit hier wohnen. Was zieht ihn nach Karaganda - eine Stadt, obwohl von der Größe her in etwas Nürnberg entsprechend, von deren Existenz kaum jemand in Deutschland weiß, geschweige denn sie auf der Landkarte verorten kann?
Immer wieder ostwärts
Was verschlägt einen jungen Deutschen nach Kasachstan? Und das, obwohl es weder biographische Bezüge zum Land noch verwandtschaftliche Beziehungen zu jenen Deutschen gibt, die seit langer Zeit hier wohnen. Was zieht ihn nach Karaganda - eine Stadt, obwohl von der Größe her in etwas Nürnberg entsprechend, von deren Existenz kaum jemand in Deutschland weiß, geschweige denn sie auf der Landkarte verorten kann?
„Die Mitte liegt ostwärts“ lautet der Titel eines Essays, mit dem der deutsche Osteuropahistoriker Karl Schlögel seinen Landsleuten jenen Teil Europas näher bringen wollte, der zur damaligen Zeit noch jenseits des „Eisernen Vorhangs“ lag. Zwar lag die Mitte, von der er sprach, in Lemberg und in Vilnius, eben in Mitteleuropa, dennoch zeigte er auf, dass es eben mehr in jenem fernen und doch so nahen „Osten“ gab als das Bild von einem einheitlichen Monolithen namens Ostblock, der den weiten Raum zwischen der Oder und Wladiwostok umfasst. Ein Bild wohlgemerkt, das noch bis heute leider in der Gedankenwelt vieler Deutscher fortbesteht.
Mich zieht es nun seit ziemlich genau 10 Jahren immer wieder ostwärts, seitdem ich mich im Oktober 2005 an der Universität Göttingen für Politikwissenschaften und Slavische Philologie einschrieb. Dass ich Politologie studieren wollte, war mir seit langem klar, die Entscheidung für Slavistik resultierte aus einer Mischung aus dem Drang sprachlich nochmal was Neues zu probieren und einem diffusen Interesse am östlichen Europa. Eine Entscheidung, die ich aber bis heute nie bereuen sollte. Im Studium und im Rahmen von Exkursionen lernte ich faszinierende Literaturen, Kulturen, Regionen und Menschen kennen, die mich immer wieder dazu verleiteten, den Raum im Osten zu erkunden und – nun immerhin schon zum dritten Mal - für einen gewissen Zeitraum meinen eigenen Lebensmittelpunkt immer weiter ostwärts zu verlegen. Ein Auslandssemester im polnischen Toruń führte mich in eben jenes östliche Mitteleuropa, das Schlögel beschrieb. Nach dem Studium ging es für einen einjährigen Freiwilligendienst weiter ostwärts nach St. Petersburg, Russlands Fenster zum Westen und Europas Tor nach Osten. Und nun, nach einem Jahr in Deutschland die nächste Etappe in Richtung Osten, in die Weite des eurasischen Kontinents, in die Steppe Kasachstans. Nach Karaganda, die Perle des kasachischen Kohlereviers – eine Stadt, die trotz ihrer zarten 81 Jahre ein geschichtsträchtiger Ort ist, über den es auch für Deutsche in Deutschland noch eine Menge zu erfahren gibt.
Hier werde ich nun bis Juli nächsten Jahres als Sprachassistent des Goethe-Instituts am Sprachlernzentrum wirken. Und mich auf interessante Begegnungen und neue Erfahrungen freuen.