Weltweit wird der demokratische Dialog und damit auch die Diskussion über das Verhältnis der Geschlechter zunehmend mit Gewalt und Zensur unterdrückt. Doch unsere Gesellschaft durchläuft einen Wandel: viele der tradierten Modelle werden auf der eine Seite stärker in Frage gestellt und neu definiert aber auf der anderen Seite auch konservativ zementiert. Stereotype der Geschlechterdefinition verlieren jedoch immer mehr ihre Legitimität und damit ihre Autorität. Besonders seit dem Beginn der globalen #NiUnaMenos (#MeToo)-Bewegung werden die tradierten Männerrollen dekonstruiert.
Unbequeme Fragen werden gestellt: Was bedeutet es, sich als “Mann” zu identifizieren? Wie akzeptiere ich die eigene Verletzlichkeit? Wie kann Kunst zu einer Neudefinition von Rollen beitragen? Es wichtiger denn je, Freiräume für den künstlerischen Diskurs zu schaffen. Cathy de Haan und Héctor Gálvez
XY? Kunst – Labor Neue Maskulinitäten lud eine Gruppe von neun Künstler*innen am Beginn ihrer Karriere aus verschiedenen Regionen Perús, diverser Geschlechtsidentität, Alters und künstlerischer Disziplin ein, um gemeinsam individuelle oder kollektive Projekte zu entwickeln. Die Gruppenmitglieder wurden nach einem sorgfältigen Verfahren von den Jurymitgliedern, den peruanischen Künstler*innen Germa Machuca, Tilsa Otta und Venuca Evanan, ausgewählt. Unter der Leitung der interdisziplinären Künstlerin und Kuratorin Cathy de Haan (Deutschland) und des Filmemachers Héctor Gálvez (Peru) wurde die Idee der “neuen Männlichkeit” kritisch hinterfragt und im gemeinsamen Diskurs künstlerische Positionen dazu entwickelt. Teil der des Programms war u.a. eine 14-tägige gemeinsame Künstler-Residenz am Stadtrand von Lima.
Das Resultat war ein utopisches Territorium, in dem die Künstler*innen das Konzept der Männlichkeit in seiner ganzen Komplexität kartierten, untersuchten und analysierten. Grenzüberschreitung und Transformation waren Leitmotive für die Reise durch dieses „Königreich der Männlichkeit“. Neun Künstler*innen aus verschiedenen Kunstsparten stellten zehn Projekte vor, die eine neue Lesart der Männlichkeit in der zeitgenössischen peruanischen Gesellschaft vorschlagen. Die Ausstellung in der Villa im Kulturzentrum der Nationalen Universität San Marcos (UNMSM) im Jahr 2021 umfasste acht Installationen und zwei Aufführungen, in denen sich Dimensionen wie Körper, Macht, Privilegien, sexuelle Identität, patriarchale Visionen, Zärtlichkeit, Fürsorge und Gewalt kontrapunktisch zueinander verhielten und dabei Spannungen erzeugten.
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Carlos Sánchez Giraldo
Ergebnis des Projekts
Die Ausstellung hat ein interdisziplinäres Feld eröffnet, um Wissen durch materielle und visuelle Elemente zu produzieren, die eine Ergänzung zu dem darstellen, was Schrift und Worte, die Hauptmedien des akademischen Wissens, vermitteln können. Man betrachte dabei in erster Linie die unterschiedlichen Konzepte, die seit der Veröffentlichung von Judith Butlers erst 2007 ins Spanische übersetztem Werk „Gender Trouble” eine wichtige Herausforderung für Kultur und Gesellschaft in Lateinamerika, aber auch für den peruanischen Fall darstellen. Nicht umsonst ist die Gegenwart im 21. Jahrhundert – speziell deren letzte Dekade - geprägt von der Kritik am Feminismus innerhalb des Feminismus (einschließlich durch Butler selbst), die auch den Aktivismus und die Diskurse von Paul B. Preciado umfasst, vor allem aber durch die sozialen Bewegungen und Subalternen, die sich in Lateinamerika auf so unterschiedliche dekoloniale Diskurse berufen, wie die von María Galindo und auch noch Silvia Rivera Cusicanqui, um zwei der bekanntesten Denkerinnen aus dem globalen Süden zu nennen: Die eine wird mit der städtischen Kultur, die andere mit der ländlichen Kultur in Verbindung gebracht. Zwischen uns findet ein Überdenken und eine Neuformulierung sowohl der Rolle der „Frauen” als auch die der „Männer” statt, wobei unter diesen auch die „neuen Männlichkeiten” (nun bereits außerhalb des Binären, wie es oft heißt) aufgrund der Risiken und der Ungewissheit, in denen wir leben müssen, ständig neu überdacht und formuliert werden. (Augusto de Valle Cárdenas, Direktor des Kulturzentrums UNMSM)
Zeitraum
Erste Phase: 2020 bis 2021
Zweite Phase: Ab 2025
Leitung
Cd
Cathy de Haan
HG
Héctor Gálvez
Jury
Cd
Cathy de Haan
HG
Héctor Gálvez
TO
Tilsa Otta
GM
Germa Machuca
VE
Venuca Evanán
Künstler*innen
Ein kleiner Schmetterling, schwul, anders, queer, der das Feld der Grafik als Werkzeug des schwulen Widerstands erforscht und außerdem handgeschöpftes, künstlerisch bearbeitetes Papier für hochgradig schwule und inspirierende Zwecke und Objekte herstellt. Derzeit studiert er Druckgrafik im Studiengang Bildendende Kunst an der Escuela Nacional Superior Autónoma de Bellas Artes del Perú.
Transfeministische Aktivist*in. Kulturmanager*in von La Promesa. Abtreiber*in, transmaskulin. Lesbe. Soziolog*in. Schriftsteller*in. Assistent*in für kulturelle Aktivitäten in der Bicentenario Bibliothek des peruanischen Kulturministeriums.
Multidisziplinäre Künstlerin. Ihre Arbeiten haben einen kommunitaristischen Ansatz, der die soziale Position des Patriarchats in Frage stellt. Sie untersucht die Themen Weiblichkeit/Männlichkeit mittels der Erforschung der individuellen und kollektiven Psyche. Für ihre eigenen Arbeiten sowie für Workshops setzt sie Übungen zur Erfahrung des kollektiven Gedächtnisses ein, wobei sie verschiedene Werkzeuge und Hilfsmittel verwendet.
Studierte am TUC (Teatro de la Universidad Católica) Schauspiel mit Schwerpunkt Musik und Gesang. Er hat regelmäßig Rollen in sehr verschiedenen Produktionen für Kino und Fernsehen und ist auf Bühnen in Peru, Chile, Ecuador und Brasilien aufgetreten. Für seine Performances entwickelt er eigene Bühnenkonzepte und Texte, die er mit Elementen der Komödie, des Tanzes, den Masken und der Musik umsetzt.
Multidisziplinäre Künstlerin mit Fokus auf textilen Arbeiten. Feministin. In ihrer künstlerischen Arbeit reflektiert sie über den „textilen Körper“ mit der Absicht, eine symbolische Heilung zu erzeugen. Sie hat an Ausstellungen in Peru und in internationalen Galerien, z.B. in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten, Bolivien und Brasilien teilgenommen. 2020 wurde ihre Arbeit mit einer lobenden Erwähnung beim „Concurso Pasaporte para Artista“ - einem Wettbewerb der Alliance Française in Lima (2020) – ausgezeichnet.
Afro-peruanisches Model. Er schätzt Kunst in all ihren Ausdrucksformen. Besonders Musik. Seine Arbeit als Model gibt ihm die Möglichkeit, durch die Zusammenarbeit mit Designer*innen, Fotograf*innen und anderen Künstler*innen, Kunst aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen, und neue Erfahrungen zu sammeln. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse inspirieren ihn, konstant weiter zu lernen und offen zu sein für alle Formen künstlerischer Zusammenarbeit.
Szenischer Künstler, Folkloretänzer und mit einem beruflichen Hintergrund in Marketing. Er ist Choreograph der Asociación Cultural Amanecer Peruano, wo er in der Leitung und Produktion von künstlerischen Projekten des peruanischen Tanzes tätig ist. Er ist außerdem Direktor von Kancha Cultura, einem Raum für szenisches Schaffen. Dort arbeitet er sowohl mit populärer als auch traditioneller Kultur im gesellschaftspolitischen Kontext und bezieht dabei auch Aspekte der Interkulturalität und der Geschlechteridentität in seine Inszenierungen ein.
Multidisziplinärer Künstler mit den Schwerpunkten Sounddesign und audiovisuelle Komposition und Improvisation. Seine Projekte thematisieren meist Beziehungen und Spannungen zwischen Identität, Performativität und politischem Handeln sowie den Prozess des Zuhörens. In seinen Arbeiten reflektiert er gesellschaftskritische Positionen – eingerahmt in den kulturellen Diskurs und die Diskussion der verschiedenen Interpretationen der symbolischen Identität Perus.
Bildhauer und Anthropologe. Er studierte beides mit Abschluss als Magister an der PUCP (Pontificia Universidad Católica del Perú), wo er auch als Dozent für Bildhauerei tätig ist. In seinen künstlerischen Arbeiten als Bildhauer und in seiner Forschungstätigkeit setzt er sich mit dem Körper, Aspekten der Männlichkeit und dem männlichen Blick auseinander.
Weitere Informationen
Video Making of XY? Neue Maskulinitäten
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