Deutschland 83: Interview mit Produzent Jörg Winger
Von Anna Schiller und Magnus Pölcher
Können Sie uns etwas zu der Entstehungsgeschichte von Deutschland 83 erzählen? Was war die Idee dahinter?
Die Idee für Deutschland 83 kam von meinen Erlebnissen aus den 80er Jahren, als ich als wehrpflichtiger Bundeswehrsoldat in der Eifel russische Truppen in der DDR abgehört habe. Damals war die Mauer noch nicht gefallen. Ich habe 6 Stunden am Tag Russisch gelernt und dann wurden wir mit großen Kopfhörern an große Maschinen gesetzt und sollten wichtige Informationen aufnehmen. Bei diesem Abhören wurden ab und zu auch Nachrichten an uns zurückgeschickt, in denen wir zum Teil persönlich gegrüßt wurden von den Russen. Damals war mir zum ersten Mal klar, dass Spionage eben auch immer Gegenspionage impliziert.
Die Geschichte hab ich eine Zeit lang mit mir rumgetragen und überlegt ob ich eine Komödie, einen Krimi oder Thriller daraus machen könnte. Meine Frau Anna, mit der ich die Serie kreiert habe, hatte dann die Idee die Geschichte aus der Perspektive des Maulwurfes, des DDR Spions, zu erzählen. Das war der Grundstein für die Serie. 1983 haben wir spontan gewählt. Es war das Jahr in dem deutsche Popmusik international durch die Decke schoss, Nena hatte mit 99 Luftballons einen Nr. 1 Hit in den USA und die Neue Deutsche Welle kam auf.
Wir haben erst in der Recherche gemerkt, wie spannend das Jahr 1983 auch politisch war. Einer unserer militärischen Berater hat uns erzählt, dass es im Herbst 1983 ein großes NATO-Manöver gab, in dem alle Bewegungen einer nuklearen Eskalation durchgespielt wurden. In der aufgeheizten Atmosphäre haben die Russen das Manöver missverstanden und glaubten, es handle sich um einen verdeckten, echten atomaren Angriff und haben dann mit dem Finger auf dem Knopf dagesessen und überlegt, ob sie zuerst schießen. Wir wären um Haaresbreite wegen dieses gegenseitigen Misstrauens in einer nuklearen Katastrophe geendet. Das war für uns der historische Hintergrund: dieses Spannungsfeld aus deutscher Pop-Blüte und welthistorischem „Nochmal-gerade-so-davon-gekommen-sein“.
Es war Ihnen also durchaus auch wichtig, dass die Serie nicht nur unterhält, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte vermittelt?
Absolut, ja. Wir haben mit Hans Otto Bräutigam gesprochen, der damals der westdeutsche Botschafter der DDR war. Und mit John Kornblum (Anm. d. R.: ehemaliger Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland) gesprochen, der sich sehr gut auskennt im Westberlin der 80er Jahre. Man wusste zwar, es war gefährlich damals, aber man wusste nicht, wie gefährlich es war. Und das haben wir eigentlich erst durch diese deklassifizierten Dokumente im Herbst 2013 erfahren.
Deutschland 83 zeigt die unterschiedlichen Lebensweisen in Ost- und Westdeutschland und baut in jeder Folge für 45 Minuten die Mauer in den Köpfen der Zuschauer wieder auf. Wenn Sie an Deutschland 1983 und an Deutschland 2016 denken – welche Gemeinsamkeiten, Unterschiede oder vergleichbare Herausforderungen sehen Sie?
Ich glaube, es ist insgesamt ein wesentlich moderneres, offeneres und entspannteres Land geworden. Zumindest ist das mein Eindruck. Wir haben mit der Familie Edel in der Serie eine sehr patriarchalische Familienstruktur gezeigt, die meinem Empfinden nach auch den 1980er Jahren entsprach: es gab sehr strenge Eltern, das waren die Kinder der Nazis, die mit gutem Willen auch gute Demokraten sein wollten, aber eben noch sehr autoritär geherrscht haben. Und deren Kinder, die gegen diese Eltern rebellieren.
Ich habe das Gefühl, dass Deutschland sich seitdem sehr geöffnet hat und insgesamt liberaler geworden ist. Auch ein Land in dem die Leute viel offener ihre Meinung sagen. Das führt natürlich auch dazu, dass man den rechten Rand mehr erkennt. Im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise denke ich oft daran, wie das wohl gewesen wäre, wenn 1983 eine Millionen Syrer in Westdeutschland eingewandert wären. Ich glaube, die Reaktionen wären viel schärfer gewesen.
Man merkt auch, dass das Gespräch über Deutschland ein anderes ist. Ich bin wegen meiner amerikanischen Frau in den letzten 20 Jahren viel in den USA gewesen und am Anfang bin ich doch immer wieder bei Gesprächen über den Holocaust gelandet. Deutschland wurde oft unter negativen Vorzeichen diskutiert. Ich glaube das Deutschlandbild hat sich ins Positive gedreht. Es ist für mich immer noch sehr überraschend, wie oft man heutzutage Bewunderung für Deutschland in Gesprächen erfährt. Das hat sicherlich viel mit Berlin zu tun als internationaler Magnet. Und wahrscheinlich auch mit der veränderten europäischen Balance, dass Deutschland einfach ein anderes Gewicht hat in der Welt.
Die Förderung der deutschen Sprache weltweit ist, wie Sie wissen, ein Hauptziel des Goethe-Instituts. Deshalb freuen wir uns ganz besonders darüber, dass Deutschland 83 hier in Großbritannien auf Deutsch mit englischen Untertiteln gezeigt wird. Ein gewagtes Unterfangen! War von Anfang an klar, dass Sie die Sendung im Ausland auf Deutsch ausstrahlen wollten und wie kam die Entscheidung zustande?
Die Entscheidung kann ich mir gar nicht selbst ans Revers heften. Weil meine Frau Amerikanerin ist, zwar sehr gut Deutsch spricht, aber auf Englisch schreibt, hat der ganze Schreibprozess auf Englisch stattgefunden. Und ich habe dann das Buch erst wieder auf Deutsch übersetzt, weil es ja eine deutsche Serie im Auftrag eines deutschen Senders ist. Es war nie als internationale Serie gedacht und wir hatten nicht damit gerechnet, dass es diese Richtung einschlägt. Es hat diese Dynamik angenommen, nachdem eine Kollegin in London das englische Drehbuch an jemanden bei Sundance TV in den USA schickte. Wenn der Drehbuchprozess auf Deutsch verlaufen wäre, wäre das Skript niemals in London oder Los Angeles gelandet. Das ist einfach so passiert zu unserem großen Glück.
Was die Ausstrahlung angeht, liegt das komplett in der Hand der Sender, ob man das ganze synchronisiert oder mit Untertiteln ausstrahlt. Die Engländer machen das einfach nicht. Das große Novum, dass auf einem so großen Kanal zur Primetime ein Programm mit Untertiteln läuft, war ein Wagnis von Channel4. Ich finde das toll, aber hatte selber nichts mit der Entscheidung zu tun.
Zum Abschluss müssen wir Sie natürlich noch fragen, ob Sie uns etwas zu einer möglichen Fortsetzung „Deutschland 86“ verraten können?
(lacht): Deutschland 86… Wir sind gerade in Gesprächen mit dem TV-Sender RTL und Fremantle Media International, unserem in London beheimateten Weltvertrieb, mit UFA Fiction und den internationalen Sendern. Mehr kann ich leider aktuell nicht sagen. Wir wollen es versuchen, nicht um jeden Preis, aber es gibt den Wunsch, eine tolle zweite Staffel zu machen. Sobald wir das Gefühl haben, wir haben was, machen wir weiter.
Wir würden uns sehr freuen und wir denken, die britischen Zuschauer auch. Vielen Dank für das Gespräch!
Vielen Dank Ihnen.
Jörg Winger
UFA FICTION, Executive ProducerJörg Winger, Stoffentwickler und Produzent von DEUTSCHLAND 83, hat über 300 Folgen der vielfach ausgezeichneten TV Serie SOKO Leipzig (ZDF) produziert. Mit seinem YouTube-Krimi-Kanal TRIGGER hat er einen Google/YouTube-Wettbewerb gewonnen. Es gelang ihm als erster Online-Serienentwickler sein YouTube-Format SERIAL KILLERS an den deutschen Bezahlsender RTL Crime zu verkaufen. Aktuell arbeitet er an einer neuen Serie, die auf dem Thriller DAS JOSHUA-PROFIL von Sebastian Fitzek basiert. Fitzek ist einer der bekanntesten deutschen Krimiautoren weltweit.
Winger unterrichtet auch als Dozent für Serienentwicklung und –produktion an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.