Residenzprogramm FELD/LAB

FELD/LAB Bild: © O Espaço do Tempo

Mit einem eigenen Förderprogramm unterstützt das Goethe-Institut jährlich Vereinigungen und Kultureinrichtungen, die sich den deutsch-portugiesischen und internationalen Kulturaustausch zum Ziel gesetzt haben. 2022 geht aus der Ausschreibung für dieses Programm das Projekt FELD/LAB der transdisziplinären Kultureinrichtung O Espaço do Tempo in Montemor-o-Novo hervor. FELD/LAB fördert den Austausch zwischen Künstler*innen des zeitgenössischen Tanzes in Portugal und Deutschland und die portugiesische Tanzszene.

Über O Espaço do Tempo

O Espaço do Tempo Foto: © O Espaço do Tempo

O Espaço do Tempo wurde im Jahr 2000 von Rui Horta, einem der international einflussreichsten Choreografen seiner Generation in Portugal, gegründet. Künstlerischer Leiter ist seit 2023 Pedro Barreiro. Die Einrichtung unterstützt nationale und internationale Künstler*innen durch Residenzen in den Bereichen Theater, Tanz, Performance, Musik, Darstellende Kunst und Kunst im Allgemeinen. Außerdem fördert O Espaço do Tempo lokale Projekte und Fortbildungen und Seminare der internationalen Begegnung. Als national und international stark vernetzter Kulturakteur pflegt O Espaço do Tempo durch seinen künstlerischen Leiter Rui Horta einen intensiven Austausch mit Deutschland, der nach Unterbrechungen durch Finanzkrise und Pandemie durch das Projekt FELD/LAB zukunftsorientiert und in neuer Qualität reaktiviert werden soll.

Über FELD/LAB

Feld / Lab Foto: © Bruno Canas

FELD/LAB sieht Residenzen dreier aufstrebender in Deutschland lebender Talente des zeitgenössischen Tanzes vor: Der Choreografin und Tänzerin Ligia Lewis und der Choreografin und Performerin Kat Válastur, beide aus Berlin, sowie des freischaffenden Choreografen Moritz Ostruschnjak aus München. Während jeweils zwei- bis dreiwöchiger Aufenthalte in Montemor-o-Novo können die Künstler*innen an ihren neuen Werken arbeiten und dabei auf umfangreiche (produktions-) technische Unterstützung im neuen Raum XL BOX sowie auf ein Netzwerk an Künstler*innen zurückgreifen.

An der Zusammenarbeit mit Ligia Lewis und Kat Válastur ist das Hebbel am Ufer (HAU) beteiligt. Moritz Ostruschnjak, dessen letzte beide Werke („Tanzanweisungen“ und „Yester:now“) unter der Beratung von Rui Horta Teil des Programms des Centro Cultural de Belém waren, wird in Portugal nicht nur an seiner neuen Produktion arbeiten, sondern auch sein neuestes Stück an mehreren Orten präsentieren. Der kreative Prozess der Künstler*innen wird von dem Filmemacher Bruno Canas in Form einer Videodokumentation festgehalten. Kommunikationspartner des Projekts ist Coffeepaste.

Die Residenzen

Henrike Iglesias: Liars

Das Kollektiv Henrike Iglesias wurde 2012 von Leo G. Alonso, Malu Peeters, Marielle Schavan und Sophia Schroth gegründet. Sie verstehen popkulturelle und massenmediale Phänomene als Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Missstände und haben sich zum Ziel gesetzt, diese aus feministischen Perspektiven zu beleuchten. Dabei nutzen sie Technologie gern auf narrative, interaktive und poetische Weise und erkunden, wie sie unser tägliches Leben in diesem Moment beeinflusst.

In ihrem neuesten Projekt Liars lädt das Kollektiv die australische Dragqueen, Choreografin und Moderatorin Olympia Bukkakis ein, den Einfluss juristischer Prozesse im Kontext von Geschlechter- und sexualisierter Gewalt zu untersuchen. Am Beispiel des Prozesses Johnny Depp gegen Amber Heard hinterfragt Liars, welche Auswirkungen solche medienwirksamen Fälle — mit erheblicher Berichterstattung und Resonanz in sozialen Medien — auf Machtmissbrauch und die Konsequenzen für Betroffene der patriarchalen Gewalt haben können. Während ihrer zweiwöchigen Künstlerresidenz in O Espaço do Tempo arbeiteten Henrike Iglesias und Olympia Bukkakis an Textmaterial, das aus dem Fall Amber Heard und Johnny Depp gesammelt wurde, und führten abschließend ein offenes Gespräch mit ansässigen Künstler*innen und anderen Besucher*innen.
 

Dragana Bulut: Interplay

In ihrer choreografischen Arbeit erkundet Dragana Bulut das Theater als öffentliches Forum für kritische Auseinandersetzung. Durch die Aneignung etablierter Formate schafft Dragana Performances, die in dem Spannungsfeld zwischen der materiellen und immateriellen Sphäre, dem Greifbaren und dem Emotionalen, der Realität und der Fiktion wurzeln. Diese sozialen Choreografien bringen oft vergessene Prozesse des Wandels ans Licht, die unser Verhalten als Gesellschaft choreografieren.
 
In Interplay untersucht die in Berlin lebende Künstlerin das komplizierte Wechselspiel zwischen Emotionen und Gesellschaft. Sie erforscht die Kommerzialisierung von Emotionen und wie diese durch kulturelle, technologische und wirtschaftliche Kräfte choreografiert werden. Aufbauend auf früheren Untersuchungen über die Kommerzialisierung von Glück, Angst und Liebe konzentriert sich dieses Projekt nun auf Nostalgie. Interplay war vom 20. Februar bis zum 3. März in O Espaço do Tempo zu Gast. Am Ende des Aufenthalts lud Dragana die Montemor-Gemeinschaft zu einem Gespräch ein, in dem sie über ihre Arbeit sprach und unter Verwendung einiger der in früheren Arbeiten geschaffenen Formate einen Raum für Interaktion in Form von Speed-Dating schuf.
 

O Espaço do Tempo

 

Georg Bütow: Bug Ballet


Hier sind die wahrscheinlichsten Nachfolger der menschlichen Rasse: Insekten. Nachdem die Menschheit ausgelöscht ist, werden die Insekten frei sein, um zu forschen. Glücklich bis ans Lebensende? Möglicherweise. Aber denken Sie daran, dass sie auch einen Weg finden müssen, sich zu unterhalten. Bug Ballet nutzt die physischen Bedingungen, die Sichtweisen und das Leben in der Insektenwelt, um ein Ballett zu kreieren, das das Leben der Insekten in einer posthumanen Ära feiert. Eine Choreografie für eine Gesellschaft, in der es keinen Platz für Individualismus oder Egos gibt, ein Stück, das keine Gefühle kennt. Wird es von der heutigen Weltbevölkerung und den Meistern von morgen positiv aufgenommen werden?

Konzept: Georg Bütow
Choreographie und Performance: Amanda Babaei Vieira, Frederik Von Lüttichau, Raphael Souza Sá, Georg Bütow
Kameras: Felipe Pisano

O Espaço do Tempo

 

Anta Helena Recke, Anna Froelicher, Maxi Menja Lehmann

Anna Froelicher, Anta Helena Recke und Maxi Menja Lehmann arbeiten seit rund zehn Jahren gemeinsam an verschiedenen Projekten. Vom 31. Oktober bis zum 12. November waren sie im Rahmen von FELD/LAB zur künstlerischen Residenz im O Espaço do Tempo.

Ausgehend von dem Stück "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" des Komponisten Helmut Lachenmann arbeiten die drei deutschen Künstlerinnen an einer neuen Kreation im Bereich der Neuen Musik. In Montemor-o-Novo haben sie eine Praxis des tiefen Zuhörens erprobt und nach neuen Wegen gesucht, diese Übung auf ein zukünftiges Publikum auszuweiten.

Espaço do Tempo
Espaço do Tempo

 

Michele Moura: Boca Cova - Delírios de Grandeza

Boca Cova - Delírios de Grandeza ist inspiriert von Sebastião Salgados Arbeit "Febre do ouro", das er in den Minen der Serra Pelada (Pará - Brasilien) fotografiert hat. Es handelt von der Sehnsucht nach der Welt und der Zerstörung sowie von Perspektiven, die sich vom Eurozentrismus entfernen. Michelle Moura erforscht die Unersättlichkeit des Körpers und seine Grenzen sowie die Art und Weise, wie der Kapitalismus Mensch und Natur lenkt.

Nach mehreren Jahren, in denen der psychologische und physische Zustand in ihrem Werk präsent war, fügt die brasilianische Choreografin, die derzeit in Berlin lebt, nun neue Schichten hinzu, in denen sie das Künstliche und die Manipulation von Bewegung, Ausdruck, Klang und Sprache untersucht. Boca Cova ist das letzte Stück einer Trilogie, die mit Overtongue (2021) und Lessons for Cadavers (2022) begann, einer Serie, die hinterfragt, wie wir unser Verhalten lernen und behalten.

Michelle Moura war vom 1. bis 13. August 2023 zu Gast in O Espaço do Tempo.


 

Kat Válastur: The Farnear

The FarNear von Kat Válastur befasst sich mit dem Konzept von Trauma und Heilung und setzt dabei einen besonderen Fokus auf das verletzte kollektive Unterbewusstsein von Frauen angesichts der Verwendung des weiblichen Körpers als „Wegwerfkörper“. In Anlehnung an die griechische Sage von der Brücke von Arta, bei der der Baumeister seine Frau opfert, damit das Bauwerk nicht einstürzt, greift The FarNear auf volkstümliche Erzählungen zurück, in denen der weibliche Körper im Namen einer Sache geopfert wird.

Vom 13. bis zum 25. Juni war O Espaço do Tempo im Rahmen einer künstlerischen Residenz des Projekts FELD/LAB Gastgeber von The FarNear und hat die Choreografin Kat Válastur und ihr Team in der XL Box empfangen. Das Projekt FELD/LAB wird vom Goethe-Institut Portugal in Partnerschaft mit dem HAU Berlin und Coffeepaste unterstützt. Kat Válastur setzte in Montemor-o-Novo ihre Arbeit fort, in der sie ergründet, welche Kräfte diese Mythen in sich tragen und wie sie in einen von weiblichen Performerinnen inszenierten und besetzten Kontext übersetzt werden können. Höhepunkt war ein kurzes Interview mit dem künstlerischen Leiter von O Espaço do Tempo, Rui Horta:


 

MORITZ OSTRUSCHNJAK: HARD TO BE A GOD

Auf einer namenlosen Insel ist die Erinnerung ein Verbrechen, das es zu vergessen gilt. Der Erinnerungspolizei als Garantin der diktatorischen Herrschaft kommt die Aufgabe zu, sicherzustellen, dass auch diejenigen, die Erinnerungen bewahren wollen, vergessen werden. Moritz Ostruschnjaks neues Stück Hard to be a God basiert auf dem Roman Island of Lost Memory (Insel der verlorenen Erinnerung) von Yoko Ogawa. Ostruschnjak Übertragung befreit sich von den Restriktionen der klassischen Erzählung und stellt die Themen Verschwinden und Vergessen in den Mittelpunkt. Den dystopischen Roman der Autorin versteht er als eine Analogie zu unserer Gegenwart, in der unzählige Daten gespeichert werden und uns als Bits und Byts begegnen, was uns dazu bringt, unsere Vergangenheit und Körperlichkeit zu vergessen.

Hard to be a God war das letzte Stück, das im Jahr 2022 im Rahmen des Projekts FELD/LAB in der XL BOX zu sehen war. In der Zeit vom 8. bis 20. November hielten sich Moritz Ostruschnjak und sein Team im Rahmen einer Künstlerresidenz in Portugal auf, deren Höhepunkt das schon traditionelle Gespräch mit Rui Horta darstellte.

Ligia Lewis: A Plot/A Scandal

Wenn das Leben ein Skandal ist, der nur darauf wartet, heraufbeschwört zu werden, wie positionieren wir uns dann innerhalb seiner Matrix? Skandale sind Vorfälle abseits von Moral und Anstand, bei denen Fantasie und Vergnügen im Vordergrund stehen. Mit A Plot/A Scandal ergründet Ligia Lewis eine Bühne, auf der sich die Skandale häufen und lässt eine Szenerie entstehen, in der Emotionen für das, was sich nicht einordnen lässt, ihren Ort finden können.

Ligia Lewis war vom 1. bis zum 8. August für eine künstlerische Residenz im O Espaço do Tempo. Der folgende Dokumentarfilm zeigt das Ergebnis dieser Residenz sowie ein Gespräch zwischen der Choreographin und Rui Horta:


 

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