Über Techno-Verdrossenheit, Partituren aus binären Codes und das russische Silberne Zeitalter spricht Dmitri Masurow im Interview mit dem deutschen Techno-Musiker Thomas Brinkmann, der im Rahmen des Projekts „Geometrie der Gegenwart“ aufgetreten ist.
Fragen zum Plattenspieler mit Dual-Tonarmen und zum Kerben werde ich nicht stellen, da ich davon ausgehe, dass unsere Leser darüber Bescheid wissen. Erzählen Sie uns doch lieber, was sich in der Techno-Kultur gegenwärtig so tut? Verfolgen Sie die die Musik von heute?
Ich verfolge sie nicht. Ich bin ihr voraus.
Das erinnert mich an ein Zitat von Picasso: „Ich suche nicht – ich finde“. Man merkt, dass Ihr künstlerisches Schaffen mit den Jahren dem Hörer gegenüber kompromissloser geworden ist. Sie gehen weg von der Tanzmusik und bewegen sich hin zur Abstraktion und zur Drone-Musik. Im Jahr 2001 haben Sie in einem Interview mit Andrej Gorochow gesagt, dass man auch in 60 Jahren noch Techno machen und auf Raves gehen kann. Später, im Jahr 2003, haben Sie sich eben jenem Gorochow gegenüber etwas enttäuscht geäußert und Techno als „Musik für Jugendliche“ bezeichnet (Rezension von „Tanks a Lot“). Wie sehen Sie das heute?
16 sind bereits vergangen… und 44 liegen noch vor mir. Aber bis heute stößt man in jedem Track auf eine Große Trommel (Bassdrum) – und Techno in Clubs läuft weiterhin. Anscheinend werde ich mit meiner Prognose recht behalten.
Und ja, im Jahr 2003 war ich des Ganzen etwas überdrüssig geworden. Ich hatte ein paar gute Jahre, als der Minimal Techno noch als eine Art Erfindung galt und etwas Neues war. Jetzt geht alles in Richtung Rokoko. Aber eigentlich war ich nie so richtig Teil dessen, was als „Minimal Techno“ bezeichnet wird. Ich würde mich eher als „maximal“ sehen. Wenn man Tracks wie „Ich will eine Maschine sein“ oder „Variationen“ vor 20 Jahren gehört hätte, hätten sie genauso kompromisslos geklungen wie heute.
Meinem Verständnis nach ist das Album „Klick“ keine elektronische Musik, da Sie keinen Synthesizer und keinen Computer dafür verwendet haben. Mir scheint, es bewegt sich im Grenzbereich von Sound Art und Turntablism.Wollen Sie dieses Konzept fortsetzen und beispielsweise in die Platte „Klick“ Kerben ritzen, um dann das Album „Klick-2“ daraus zu machen? Also das gleiche Verfahren anwenden, aber hier dann in Bezug auf die eigenen Platten?
Muss man unbedingt mitmachen? Und aus der Sicht einer Turingmaschine ist das durch und durch elektronisch. Irgendwann mal habe ich die Ars Electronica davon überzeugt, mich nicht für „Klick“ auszuzeichnen, ungeachtet der Tatsache, dass die halbe Jury versucht hat, mich zur Teilnahme am Wettbewerbsprogramm zu überreden. Weil das Album in der Kategorie „Elektronische Musik“ nominiert war. Für mich war das ein nettes Missverständnis und ich habe darum gebeten, den Preis Theo Parrish zu verleihen. Aber zumindest hat die Reihe „20' To 2000", an der ich damals auch gerade gearbeitet habe, gewonnen. Noch davor war sie in die Sammlung des МoМА aufgenommen worden. Also habe ich selbst nach österreichischen Maßstäben zu viel erreicht, um erfolglos zu sein. Was zum Teufel heißt denn „elektronische Musik“?! Digit means finger.
„Klick“ war etwas, über das alle geredet haben. Es heißt ja „Clicks & Cuts“, aber ich würde eher das Gegenteil sagen: cuts & clicks. Ein Journalist der Zeitschrift „Spex“ hat mir damals noch gesagt, dass er darüber nicht schreiben könne, weil es ihm nicht gelungen sei, es in sein Referenzsystem einzuordnen. Aus der Pop-Musik ins Nirgends. Diedrich Diederichsen, ehemaliger Chefredakteur von „Spex“, hat während einer seiner Vorlesungen an der Kölner Universität gesagt, das klick der Ton und cut die Handlung sei. Wenn es überhaupt ein Projekt gab, das reine Expression wurde… Und er hat noch etwas über Techno gesagt: Das ist keine Musik elektronischer Referenzen, wie es viele sehen, sondern eher umgekehrt eine ununterbrochene Referenz auf sich selbst. Eine geschlossene Kette. Ich habe noch ein anderes Album – „Klick Revolution“. Ich werde etwas daraus in Moskau spielen.
Erzählen Sie von dem Album „The Mortimer Trap“, das im Duo mit einem weiteren Teilnehmer der „Geometrie der Gegenwart“ entstanden ist, Oren Ambarchi. Sie haben eine Variation auf das Stück des Komponisten Morton FelDMan „For Bunita Marcus“ geschaffen. Ehrlich gesagt, ich konnte kaum eine Verbindung zu FelDMann heraushören. Wie haben Sie sein Opus präpariert?
Dort gibt es 1 000 000 000% DNK von FelDMan und John Tilbury und dazu noch ein klein wenig von mir und Oren. Und ich bedaure, dass sich von uns dort so wenig wiederfindet. Wir hatten ein hehres Ziel: Ich wollte, dass „The Mortimer Trap“ genauso radikal wird wie „A 1000 Keys“. Ich musste also erneut mit dem Material von FelDMan arbeiten. Das geschah mit einem bestimmten Maß an Stillstand (der Titel von Thomas Album ist „A Certain Degree of Stasis“ [übersetzt: Ein bestimmtes Maß an Stillstand] Anm der Red.). Das ist zu 99 999 999 999% „Сrippled Symmetry“. Bei FelDMan geht es mehr um Farben, aber das ist nicht das Wesentliche. Ich habe das Original tatsächlich tausend Mal gespielt, weil ich die Zeit in der Musik loswerden wollte: Jede Melodie gleichzeitig, alles sofort, im Kontinuum. Meine Pop-Erwartungen haben den ersten Versuch verdorben, aber dann wurde alles sehr dicht. Ich habe verstanden, dass die Zeit immer noch da war, aber zu einem Surrogat geschrumpft war. Und damit habe ich der gewöhnlichen Erzählweise in der Musik einen Riegel vorgeschoben, soweit das möglich ist.
Dem Album „A 1000 Keys“ merkt man Ihr Interesse für Klaviermusik an. Das Album klingt ziemlich irre und erinnert an die Stücke von Conlon Nancarrow, die über die manuellen Spielfähigkeiten von Pianisten weit hinausgehen. Wie sind Sie zu dieser Stilistik gekommen?
Das ist ganz einfach. Das ist Teil der Partitur. Ein binärer Code wird auf die Tonwelle angewandt. Jede Melodie/Welle wird in der rhythmischen Struktur eines binären Codes gespielt.
Sie unterstreichen die Perkussion-Natur des Klaviers und setzen damit eine Linie fort, die schon Strawinski in „Die Hochzeit“ sowie die als „Urbanisten“ bezeichneten Komponisten entwickelt haben. Es entsteht der Eindruck, dass „A 1000 keys“ auch Techno-Musik ist, die aber auf einem für das Genre ungewöhnlichen Instrument gespielt wird.
Das ist ein Ergebnis der Rammdösigkeit. Bartok, Strawinsky. Zum Schlüsselerlebnis wurde hier sicher mein Kampf mit dem Klavier in meinen Jugendjahren. Ich habe mir die Instrumente (und besonders das Klavier) als Raumschiffe vorgestellt, die ich für Reisen in ferne Galaxien benutzt habe. Vom Techno-Standpunkt aus gesehen hätte das vielleicht der Soundtrack zu dem Film „Kin-dsa-dsa“ von Giorgi Danilia sein können.
Übrigens haben Oren, Mark Fell, Michaela Benneton und ich mal zusammen das Grab von Strawinsky in Venedig besucht. Ich habe den orthodoxen Teil des Friedhofs wegen Brodsky aufgesucht. Auf Strawinsky und Djagilew sind wir zufällig gestoßen. Ich kann dir ein Foto von der Insel San Michele schicken. Auf dem Rückweg hatten wir keine Tickets für das Wassertaxi. Charon war erzürnt, dass wir es geschafft haben, dem Reich der Toten zu entkommen.
Vor einigen Jahren bin ich zum Haus der Zwetajewa in Koktebel gefahren. Sie hatte mal erwähnt, dass der Eingang in den Hades unweit des Hauses von Maximilian Woloschin sein würde. Die Griechen dachten, dass dieser sich auf dem Peleponnes befindet, aber Zwetajewa hatte recht.
Ist es für Sie interessant „A 1000 Keys“ auf einem Konzert darzubieten? Es für einen Flügel zu adaptieren, einen Pianisten einzuladen?
Ich verrate dir ein Geheimnis, das sich in den Platten verbirgt. Du kannst jeden beliebigen Track mit jedem beliebigen andern Track spielen – einfach zwei Platten im Dauerdrehmodus ohne Ende. Ich verfahre so, allerdings nicht endlos, nur potentiell. Das heißt, das Album ist nicht abgeschlossen. War es auch nie. Wenn es einem irgendwann über wird (und das passiert), hat man Varianten für den Rückzug.
Ich muss die Frage stellen, die ich allen Schöpfern von Tanzmusik stelle. Diese Kategorie von Musik basiert auf der unveränderlichen Regel „4-to-the-floor“ (4/4-Takt, bei dem die Bassdrum auf jedem Schlag gespielt wird). Es ist unschwer zu erkennen, dass dieses Merkmal zum Attribut der gesamten Popmusik des 20. Jahrhunderts geworden ist. Allerdings muss man auch nicht tief graben, um Beispiele für rhythmische Lösungen in der Musik zu finden, die von einer größeren Vielfalt zeugen. Man denke nur an die Polyrhythmik traditioneller (bspw. afrikanischer) Musik, an den Free Jazz und die Erfahrungen akademischer Komponisten. Ist 4/4 das unerschütterliche Fundament von Techno-Musik?
Keine Sorge. Das war kein schlechter Soundtrack zu den schwarzen Kisten, die man in den 90ern Clubs nannte. Zehn Jahre später empfindet eine neue Generation vielleicht wieder so. Und nach weiteren zehn Jahren wieder eine neue Generation usw. „Die unerschütterliche Referenz auf sich selbst“. Das eine in dem anderen gespiegelt. Mise en abyme (das Prinzip des Bilds im Bild – eine rekursive künstlerische Technik – Anm. der Red.).
In einigen Alben wenden Sie sich der Poesie zu und dabei ziemlich häufig hin zum Erbe des Silbernen Zeitalters: Majakowski, Chlebnikow, Krutschjonych. Dabei zitieren sie zwar einige Dichter auf Russisch, die Zwetajewa aber auf Japanisch. Womit hängt diese recht exotische Wahl zusammen?
Muss es dafür einen Grund geben? Dyr byl schtschyl (Gedicht von Alexej Krjutschjonych, das in der sogenannten „Sprache jenseits der Vernunft“ geschrieben wurde – Anmerkung der Red.).
Was wollen Sie bei der „Geometrie der Gegenwart“ darbieten?
„Klick“ (leider ohne Oren).