Kant, der Billard-Profi | Illustration von Antje Herzog
In diesen neun überraschenden Fun Facts lernt ihr den großen Philosophen Immanuel Kant von einer neuen Seite kennen: Ob als Farbberater in Mode-Dingen, als Billard-Profi oder als Feinschmecker – mit diesen Infos der Ausstellungskuratorin Agnieszka Lulińska gewinnt ihr jedes Kneipenquiz.
Von Agnieszka Lulińska
Kosmos Königsberg
Immanuel Kant verbrachte fast sein gesamtes Leben in der ostpreußischen Residenzstadt Königsberg (heute Kaliningrad). Dort wurde er 1724 geboren, dort studierte und lehrte er an der ehrwürdigen Albertus-Universität, und dort starb er 1804. Die kosmopolitische Hafenstadt war sein Lebensmittelpunkt und kreatives Biotop. Lukrative Lehrangebote anderer Universitäten lehnte Kant stets ab. Doch durch Bücher, Zeitungen und Besucher war er über das Geschehen in der Welt bestens informiert. Kants Briefkontakte reichten über andere deutsche Städte hinaus bis nach England, Frankreich und Russland. Er ging nicht in die weite Welt hinaus – er ließ sie zu sich kommen.
Der galante Magister
Als lebenslustiger Privatdozent verkehrte Kant nach 1755 in Kreisen der Königsberger High Society: adliger Offiziere, reicher Kaufleute und vor allem am hochkultivierten Musenhof des Grafenpaares von Keyserlingk, wo er bei gesellschaftlichen Ereignissen mit seiner Intelligenz und seinem Witz brillierte. Auf eine elegante Erscheinung legte der nur 1,57 Meter große, schmächtige junge Mann größten Wert. Bei der Farbwahl seiner modischen Kleidung orientierte er sich an der Natur: „Weil diese nichts hervorbringe, das dem Auge nicht wohl tut […]. So gehöre zum Beispiel zu einem braunen Oberkleide eine gelbe Weste; dieses wiesen uns die Aurikeln“.
Glücksspiel als Lebensunterhalt
Kant war ein sozialer Aufsteiger. Dank seiner früh erkannten Begabung genoss der Sohn des einfachen Riemenmeisters Johann Georg Kant eine hervorragende Schulbildung, die für seinen Stand ungewöhnlich war. Mit finanzieller Unterstützung seines Onkels konnte er ab 1740 die Königsberger Universität besuchen und besserte sein bescheidenes Budget mit Repetitorentätigkeit gegen Bezahlung „auf Freundschaftsbasis“ auf. Als weit lukrativer erwies sich sein Talent beim Billardspiel, welches er meisterhaft beherrschte. Als niemand mehr gegen ihn für Geld antreten wollte, verlegte er sich auf das damals populäre Kartenspiel l’Hombre.
Kant und die Frauen
Glück im Spiel, Pech in der Liebe? Über das „schöne Geschlecht“ hat sich Kant viele Gedanken gemacht, sein emotionales Engagement bleibt indes im Dunkeln. Nach seinem konservativen Bild der Geschlechterrollen soll der Mann durch seine Neigung noch mehr veredelt, die Frau durch die ihre noch mehr verschönt werden. Den Ehestand hielt Kant „für Bedürfnis und notwendig“, blieb aber – trotz angeblicher Heiratsabsichten in seinen mittleren Jahren – zeitlebens „unbeweibt“. Als Idealtypus der Frau und „Zierde ihres Geschlechts“ verehrte er die hoch gebildete, kunstsinnige Gräfin Caroline von Keyserlingk, in deren Haus er ein gern gesehener Gast war.
Der sesselreisende Weltbürger
Die Menschen des 18. Jahrhunderts frönten einer bis dahin nicht gekannten Reiseleidenschaft. Reiseberichte von Entdeckern, Gelehrten und Kaufleuten wurden als Bestseller gehandelt. Gleichzeitig stand das „armchair travelling“ hoch im Kurs – das Reisen ohne sich vom Fleck zu bewegen und doch einiges in Bewegung zu setzen. So revolutionierte Kant, der vielleicht prominenteste Nichtreisende der Geistesgeschichte, nicht nur das Denken, sondern gilt heute als Wegweiser der Globalisierung. Dabei erschien ihm seine Heimatstadt Königsberg als „schicklicher Platz“ zur „Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis, […] wo diese, auch ohne zu reisen erworben werden kann“.
„Die Suppe ist auf dem Tische!“
Diese Ankündigung eröffnete die Tischgesellschaften im Hause Kant: „Allein zu essen ist für einen philosophierenden Gelehrten ungesund […]. Der genießende Mensch, der während der einsamen Mahlzeiten an sich selbst zehrt, verliert allmählich die Munterkeit.“ Punkt 12.45 Uhr versammelte sich eine illustre Herrenrunde aus Freunden, Stadthonorationen und Kollegen, um leibliche mit den geistigen Genüssen zu verbinden. In der Regel wurden drei Gänge sowie ein Nachtisch serviert. Zu Kants Leibgerichten gehörten Teltower Rüben, Göttinger Würste und Kabeljau, die er mit seinem geliebten, selbst zubereiteten englischen Senf würzte. Auf guten Wein legte er besonderen Wert.
Fitness für den Kopf
Der penibel geregelte Tagesablauf Immanuel Kants bleibt bis heute legendär. Jeden Morgen um 4.45 Uhr weckte der Diener Lampe seinen Herrn mit dem militärischen Zuruf „Es ist Zeit!“ Der Tag war minutiös durchgetaktet: Arbeit, Essen, soziale Kontakte. Zum festen Ritual gehörte auch der tägliche Spaziergang, den Kant zu jeder Jahreszeit und auf einer gleichbleibenden Route in ein bis zwei Stunden absolvierte. Seine Spazierstrecke führte durch verschiedene Stadtviertel mit ihrem sozialen Umfeld und wurde später von Kants Freund und Bürgermeister Theodor Gottfried von Hippel als „Philosophischer Damm“ bezeichnet. Kants Spaziergänge taten seiner angeschlagenen Gesundheit gut, stimulierten aber auch sein Denken und verschafften ihm neue Eindrücke.
Der Herr und sein Diener
Zu den rätselhaftesten Beziehungen in Kants Leben gehörte diejenige zu seinem Diener Martin Lampe. Der Armee-Veteran aus Würzburg stand vier Jahrzehnte lang in Kants Diensten, versorgte dessen Haushalt und wachte über den Tagesablauf. Das eigenwillige, undurchschaubare Dienstverhältnis bietet bis heute Stoff für zahlreiche Spekulationen. Lampes zunehmende Trinksucht und die innerhäuslichen Konflikte führten 1802 schließlich zu dessen Entlassung. Wie schwer sich Kant mit diesem wohl unvermeidlichen Schritt tat, belegt die in seinem Notizbuch formulierte, denkwürdige wie paradoxe Selbstaufforderung: „Der Name Lampe muss nun völlig vergessen werden.“
Worauf Kant alles verwetten würde
Kant war nicht nur Philosoph, sondern auch Naturwissenschaftler. Von seinen gut 70 Publikationen und Aufsätzen befasst sich die Hälfte mit Themen, die man heute den Naturwissenschaften zuordnen würde. Er verfolgte die neuesten Entwicklungen in Physik, Geologie, Geografie, Anthropologie und Astronomie. Das Motto seiner Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels von 1755 lautet: „Gebt mir Materie, ich will euch eine Welt daraus bauen.“ Kants Theorie besagt, dass Sonnensysteme wie das unsere aus einem Materie-Nebel hervorgegangen sind. Später ging er noch weiter: „Wenn es möglich wäre, durch irgendeine Erfahrung auszumachen, so möchte ich alles Meinige darauf verwetten, daß es wenigstens in irgendeinem von den Planeten, die wir sehen, Einwohner gebe.“