Der D21 Kunstraum versteht sich als Plattform und Experimentierfeld für Künstler/innen und Ausstellungsmacher/innen. Im D21 Kunstraum engagieren sich ehrenamtlich Freiberufler, Kulturarbeiter/innen, Wissenschaftler/innen und Studierende.
Based on these new dependencies, we define five normal forms
Ausstellung bis 26. August 2018
16. Mai 2018 - 26. August 2018
Wie können wir in einer komplexen, vernetzten und unbeständigen Welt agieren? In was für Beziehungen stehen wir zueinander und von welchen träumen wir? Von der Kernfamilie bis zu Verbündeten aus menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren – „Based on these new dependencies, we define five normal forms“ zielt darauf ab, die Entwicklung neuer sozialer Beziehungen anzustoßen, unartikuliertes Begehren nach anderen Beziehungsweisen auszudrücken und alternative Vorschläge für das Zusammenleben zu machen. Dafür wird in der Ausstellung der Blick auf einen Moment in der Geschichte geworfen, in dem utopische Formen des Zusammenlebens und -arbeitens ausprobiert wurden. Die Ausstellung und das Begleitprogramm greifen Bruchstücke aus dem Proletkult heraus, um heutige soziale Beziehungen radikal zu rekombinieren.
Die Proletkult-Bewegung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter anderem vom Philosophen und Revolutionär Alexander Bogdanov geprägt. Er sah die Welt als komplexe Beziehungsgeflechte und vertrat die Ansicht, dass für eine wirkliche Veränderung der Verhältnisse zuerst eine neue Kultur entstehen müsse. Innerhalb kurzer Zeit gründeten sich in Russland Hunderte von Proletkultklubs, -ateliers und -fabrikgruppen, in denen durch Selbstbildung eine neue, unabhängige, proletarische Kultur entstehen sollte, die den Geist des Kollektivs widerspiegelte.
„Based on these new dependencies, we define five normal forms“ sucht und spinnt Verwandtschaften und Verbindungen zwischen den Werken der MMOMA-Sammlung und zeitgenössischen Werken. Inspiriert von historischen Arbeiterklubs bietet die Ausstellung Raum für eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungsweisen: als Ort, um Kunst zu erleben, aber auch als Bibliothek, Trainingsfeld und Orakel.
Kuratorin: Lena Brüggemann
Programm
The Elsewhere Logistics
Volatilität, Beschleunigung der globalen Entropie und das Verschwimmen von Grenzlinien sind in unserer komplexen Realität zu maßgeblichen Größen geworden, alternative Fakten gehören heute zum politischen Instrumentarium. Vor diesem Hintergrund stellt sich eine zentrale Frage: wie wird es uns möglich, in Räumen zu agieren, die wir nicht einnehmen können, in denen wir nicht überlebensfähig zu sein glauben? Im Opern-Workshop von Kirill Savchenkov werden neue und hybride Arten von Beziehungen betrachtet, die zwischen Menschen und Objekten bestehen, zwischen Intellekt und Körper, zwischen Wissen und Daten, zwischen Politik und Technik – all dies im Zeitalter von digitalen Medien, globalem Bürgerkrieg und dem Verlust des Privaten.
The Elsewhere Logistics ist konzipiert für 6 Teilnehmer und 6 Mediatoren. Rhythmus ist darin eine wichtige Komponente, zwischen den Übungen liegen daher unterschiedliche Zeitintervalle.
Künstler und Mediatoren: Anna Tsedik, Alisa Smorodina, Aljona Shapovalova, Daria Pasichnik, Daria Getmanova, Daria Tokar
Collective Reading, Affective Reading
Die Performance von Katharina Zimmerhackl „Collective Reading, Affective Reading“ ist eine Collage aus Texten von Alexander Bogdanow, Nikolaj Federov, Ursula K. Le Guin, Octavia E. Butler und anderen. Sie untersucht, wie eine kollektive, inszenierte Form der Lektüre einen neuen „kollektiven Körper“ durch das Potenzial eines anderen „kollektiven Wissens“ zum Leben erwecken kann, wie diese Kollektivität mit einem Raum verwoben werden kann, wie sich der fragile Zustand der Kollektivität aufrechterhalten lässt, wie er den Körper beeinflusst und in welcher Beziehung er zur Individualität und zum Individuum steht.
Familie als Form der Selbstorganisation
Im Seminar von Ilmira Bolotyan soll der Begriff „Familie“ und die Art, wie er heute verstanden wird, mit Teilnehmern aus drei Generationen spielerisch diskutiert werden. Die Künstlerin unterstützt die Teilnehmer dabei, den Aufbau ihrer eigenen Familie unter Aspekten wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen sowie Rollenverteilung zu analysieren und beschreibt verschiedene Familientypen der modernen Gesellschaft.
Bolotyan betrachtet die Familie als eine Form von Selbstmanagement: Ordnung schaffende Alltagstechniken sind hier ebenso Teil des Prozesses wie Mechanismen gegenseitiger Unterstützung, Hierarchien und deren Ausdruck zum Beispiel durch besondere, nur in der Familie verwendete Namen (naming). Im Seminar dürfen die Teilnehmer einen bewussteren und kritischen Blick auf die verborgenen Funktionsmechanismen ihrer eigenen Familie entwickeln und sich fernab von romantischen und utopischen Vorstellungen vielmehr praxisbezogenen Fragen des Familienlebens zuwenden – zum Beispiel der heiklen Frage nach der Wertigkeit von Hausarbeit.
Im Verlauf des Seminars erstellt jeder Teilnehmer sein eigenes Zine (von engl. „magazine“: ein mit einfachen Mitteln angefertigtes Heft). Darin dechiffriert er Begriffe, die für das Selbstmanagement der Familie von Bedeutung sind: ganz persönlich für sich und seine Familie – sei sie existent oder für die Zukunft geplant. Diejenigen Zines, die die Teilnehmer öffentlich zu zeigen bereit sind, werden Teil der Ausstellung.
Die drei Seminare richten sich an drei Teilnehmergenerationen: 10-14 Jahre (Seminar am 9. Juni), 25-45 Jahre (Seminar am 7. Juli) und 55 Jahre oder älter (Seminar am 25. August).
Tarot for Collective Bodies
„Tarot for Collective Bodies“ lädt Menschen ein, sich Tarotkarten für ein Kollektiv legen zu lassen, dem sie selbst angehören. Die Arbeit entstand (im Rahmen des Projekts „Intercity/Switchcity“, produziert von Pogon Zagreb, kuratiert von Kristina Semenova und Lea Vene) in einem zweijährigen Austausch zwischen Pavle Heidler, Marko Gutić Mižimakov, Silvia Marchig, Sonja Pregrad und Elli Kuruş – einem Tanzkollektiv aus Zagreb/Stockholm und einem Kunstkollektiv aus Leipzig. „Tarot for Collective Bodies“ verwendet ein Tarotkartenspiel, das im Lauf eines Jahres im Kontext von „It could be a community“ entstand.
„It could be a community“ diente als eine Art gemeinsamer Grundlage für die Praktiken von Kollektiven und ihr Interesse, Situationen zu schaffen, die unausgesprochene Machtverhältnisse untersuchen und mit ihnen spielen. Das Spiel, das in verschiedenen Städten weltweit gespielt wurde, ermöglichte eine Neuverteilung von Handlungsmacht und Performativität, indem es während des Spielens immer wieder neu erfunden wurde. Dabei fungierte das Tarotkartenspiel als eine Art Vermächtnis. Es wurde in jeder Sitzung von den jeweiligen Teilnehmer/innen verändert, indem jede Gruppe ihr Wissen über Kollektivität auf den Karten dokumentierte.
KünstlerInnen
Elsa Artmann und Samuel Duvosin
Die Gemälde-Serien von Elsa Artmann und Samuel Duvosin entstehen im Rahmen verschiedener gemeinsamer Projekte. Ihre Absicht besteht darin, die Choreografien kollektiver Kompositionspraktiken in Malerei zu übersetzen und im Zusammenspiel und in den Überlagerungen ihrer individuellen Interessen als Autor/innen zu fungieren. So kopieren sie in »Rorschach« und »Synchron kopieren« jede Malbewegung, die der jeweils andere gerade ausführt. Für »Family Scores« haben sie zusammen mit den Tänzerinnen Diana Treder, Chengcheng Hu, Sooyeon Kim und Anne-Lene Nöldner eine Gruppe von Partituren entwickelt, um gemeinsam Vorstellungen von der Kernfamilie zu überdenken. Die Partituren zielen darauf ab, eine öffentliche Reflexion von privaten, mit der Familie verknüpften Wertvorstellungen zu ermöglichen; Sentimentalität und Kritik an der Kernfamilie in ihrer ganzen innewohnenden Zwiespältigkeit sollen gleichermaßen akzeptiert und praktiziert werden können. »Family Scores« existiert sowohl als Tanzvorführung und als Buch und versammelt malerische und choreographische Notationen, die man allein, in einer Gruppe oder einfach durch die Lektüre erfahren kann.
Zbyněk Baladrán
Zbyněk Baladrán (geb. 1973, Prag, Tschechoslowakei) ist Künstler, Autor und Kurator. Als posthumanistischer »Archäologe« arbeitet mit Methoden, die denen von Ethnografen, Anthropologen und Soziologen ähneln, und gräbt bewusst die Überreste der nicht so fernen Vergangenheit aus. Er sucht nach räumlichen »Einschlüssen«, wo sich Lebensweisen in ihren Systemen, Regeln und Koinzidenzen widerspiegeln, und nach Objekten, mit deren Hilfe eine von sich selbst besessene Menschheit das Bild ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft erzeugt. Die Installation »Automatic[B1] Subject« ist eine spekulative Betrachtung der Transformationen von Subjektivität, die durch Maschinen, Infrastrukturen, Sensoren, Schnittstellen sowie menschliche und nichtmenschliche Nutzer/innen ausgelöst werden. Die Installation beruht lose auf Gedankenexperimenten aus Büchern von Stanislaw Lem und Andrei Platonow und zeigt eine Welt, in der eine traditionelle Vorstellung von menschlicher Subjektivität in globalem Maßstab erweitert wird, um jedes vorstellbare Wesen einzuschließen.
Paula Gehrmann
Paula Gehrmann (geb. 1982, Ostberlin/DE, lebt in Leipzig) untersucht systematisch die gegenwärtige Lage und Gegebenheiten von Situationen, Kontexten und Bedingungen, die sie vorfindet. Ihre Installationen werden in situ aufgebaut und im Hinblick auf einen wahrgenommenen Raum, seine architektonischen, kulturellen und sozialen Voraussetzungen, oder einfach in Bezug auf den Ausstellungsraum und seine Mit-»Bewohner« organisiert. Ihre Arbeitsmethode geht für gewöhnlich von einem fotografischen Beobachtungsprozess aus, durch den räumliche Muster und der gesellschaftliche Charakter von Materialität als ein dichtes Bündel von Informationen und als Potenzial aufgedeckt werden. Überdies beschäftigt sich Gehrmann mit einer Reihe industrieller Baustoffe wie Aluminium, MDF-Platten und Plexiglas, die eine dreidimensionale Ausdehnung haben und den illusionistischen Charakter des Bildraums ergänzen. »DISPLAY« erfüllt wechselnde Funktionen als Rahmen, Hintergrund oder Ausstellungsarchitektur und erweist sich somit als eine relationale Skulptur, die Veränderungs- und Partizipationsmöglichkeiten bietet. Dadurch, dass die Anatomie von Produktion und Rezeption betont wird und die Grenzen zwischen funktionalen und kulturellen Objekten verwischen, können die performativen Elemente – einschließlich des Publikums – mit ihrer eigenen Verhandlungsfähigkeit konfrontiert werden.
Anne Krönker
Anne Krönker verarbeitet Teile des Fußbodens des D21 Kunstraum zu skulpturalen Ordnungen. Diese werden, beeinflusst von den Assoziationen und Geschichten des Publikums, in einem Workshop verändert, wobei die Spuren sichtbar bleiben.
Adelita Husni-Bey
Die Videoinstallation »2265« ist das Ergebnis eines Workshops am Southeastern Center for Contemporary Art, den Adelita Husni-Bey (geb. 1985, IT) zusammen mit Authoring Action – einer von dem Schriftsteller Nathan Ross Freeman geleiteten Gruppe jugendlicher Autoren – durchgeführt hat. Der Workshop untersuchte in Schreibübungen und mithilfe experimenteller pädagogischer Praktiken kolonialistische Zukunftsvorstellung und insbesondere die Aussicht, den Mars zu besiedeln. Die daraus entstandene 2-Kanal-Videoinstallation zeigt sowohl die Performance, die von den Mitgliedern von Authoring Action gemeinsam mit der Künstlerin entwickelt wurde, als auch Teile des Workshops, die beide in einem leeren Theater stattfanden.
Im Zentrum von Husni-Beys Praxis stehen »radical education« (radikale Bildung), neue Formen von Pädagogik und die politischen Kämpfe von Kollektiven. Die Künstlerin entwickelt regelmäßig Workshops, Diskussions-Plattformen und Rollenspiele, um in einem Zeitalter der patriarchalischen kapitalistischen Unterdrückung Debatten anzustoßen und die Grenzen des Konsenses und des kollektiven Gestaltens auszuloten.
Katharina Zimmerhackl
Katharina Zimmerhackl (geb. 1983, DE) arbeitet auf den sich überlagernden Gebieten von konzeptueller Kunst und Theorie. Ihr thematischer Fokus richtet sich auf visuelle und literarische Sprachen und auf die Produktion von Wissen, Kollektivität und kollektiver Arbeit, aber auch auf Geschichte und Überlegungen dazu, wie Geschichte – insbesondere aus einer feministischen Perspektive – geschrieben und gemacht wird. Katharina Zimmerhackls Arbeiten beruhen oft auf einer Wiederaneignung wissenschaftlicher oder künstlerischer Materialien, die zu Drehbüchern, Partituren oder Notationen als Systemen der »Übersetzung« und Umstrukturierung des recherchierten Materials transformiert werden.