DISTRICT Berlin wurde im Jahr 2009 auf dem Gelände der historischen Malzfabrik gegründet. Es bietet einen interdisziplinären Denk- und Arbeitsraum im Schnittfeld von bildender Kunst und anderen Arten der Wissensproduktion.
Psychosquash ist ein neuartiger Freizeitsport, der von den zeitgenössischen Künstler*innen Vladimir Kolesnikov, Michail Levin und Katrin Nenasheva erfunden wurde. Dabei handelt es sich um eine Variante des klassischen Squash, die über die Mauern einer psychiatrischen Klinik oder einer geschlossenen Abteilung gespielt wird. Zentraler symbolischer Bedeutungsträger des Spiels ist die Betonwand. Sie steht für die Restriktionen und die Isolation, mit der die Menschen, die in der Einrichtung leben, tagtäglich konfrontiert sind, während das Spiel, an dem zwei Teams von beiden Seiten dieser geteilten Welt teilnehmen, als Instrument dient, um die Grenzen zwischen den getrennten Bereichen zu überwinden.
Die Regeln sind ebenso schlicht wie komplex. Für das Spiel werden zwei Teams benötigt; das eine wird von den Bewohner*innen einer sozialen Einrichtung gebildet, und das andere steht für die Außenwelt und ist offen für alle, die daran teilnehmen möchten. Als Ausrüstung werden Schläger und Bälle in verschiedenen Größen benötigt; es müssen sechs Spiele absolviert werden. Die Kommunikation zwischen den Spieler*innen findet entweder durch ein Loch in der Mauer bzw. im Zaum oder mithilfe einer Leiter statt.
Das Spiel wurde mit den Bewohner*innen eines Psychoneurologischen Wohnheims in Moskau entwickelt, von denen die meisten dazu verdammt sind, ihr gesamtes Leben in Isolation zu verbringen, und ist für alle geeignet, die man hinter einen realen oder symbolischen Zaun gesperrt hat oder hatte.
Der Russische Psychosquash-Verband und die Russische Psychosquash-Liga wurden 2017 offiziell registriert, und die erste Psychosquash-Saison wurden mit überwältigendem Erfolg ausgetragen. 2018 wird Psychosquash auf beiden Seiten der Betonwand fortgesetzt. Gemäß der Bedürfnisse und Wünsche der Spieler*innen werden neue Teams gebildet und Regeln erfunden.
Nightfall
Kollektive performative Erfahrung zwischen Museum, Zug, Datscha und Wald
STIMME DIE SAITEN DEINER SEELE,
ÖFFNE DIE PFORTEN DEINER TRAUER,
ERGEBE DICH DEM RUF DER DUNKLEN LIEBE!
Night Movement hat schon lange vor dieser Ankündigung begonnen. Die Nacht war immer schon eine Zuflucht für Verrückte und Delinquenten. Dieser dunkle, intime Ort ist Schauplatz einer globalen Routine: ein Anziehungspunkt für die Nekromanten, eitlen Gestalten und Romantiker dieser Welt.
Die wahre Nacht erfordert Professionalität. Das selbstorganisierte Komitee wird Ideen entwickeln, wie man diese oder die andere Nacht verbringt. Es wird ein Kurator[B2] berufen, der für die Organisation und den Ablauf der Nacht verantwortlich ist. Die Nacht dauert bis zum Morgen. Und dann folgt die zweite, die noch tödlicher ist.
Datscha
ein Raum der Opazität
ein Transmitter
von Freude, Wissen, Selbstversorgung, Intersubjektivität, Regeneration, Vertrautheit, Gastfreundschaft, Verbundenheit und neuen Vorstellungen.
Die School Without Center befindet sich in einer Datscha am Stadtrand von Moskau, in der Nähe von Wäldern, Flüssen und Hochhäusern. Wir laden Gäste, Nachbarn und Zufallsbekanntschaften aus Moskau und von auswärts ein. Wir teilen Speisen und Getränke, Feuer, Ideen, Kämpfe, Gelächter und Schmerz, Raum für Gedanken und Praxis und viele weiche Flächen zum Ausruhen und Berühren.
TRANSMISSIONEN
Das ortsspezifische, temporäre Format bietet ein offenes Forum der Reflexion und Dokumentation, des Teilens und der Verbindung von künstlerischen und aktivistischen Praktiken und Inhalten durch vertrauliche Gespräche und andere nichtdisziplinäre Formen der Konversation.
Von September bis November 2018 wird von diesen Begegnungen eine Serie von Dacha Transmission Podcasts produziert und im Rahmen der Ausstellung School Without Center auf www.district-berlin.com zugänglich gemacht.
RESIDENZ
Die Dacha Residency bietet Raum für künstlerische Experimente und Forschung, zum Leben und zum Einladen von Gästen. Die in Moskau lebende Künstlerin Alisa Yoffe wird die Dacha Residency bewohnen.
WORK BOOK
Veröffentlichung als Wandzeitung und Zines
Undisciplinary Learning WORK BOOK versammelt künstlerische, aktivistische und theoretische Überlegungen sowie praktische Übungen, bei denen es um die Beziehung zwischen den Kämpfen für Ermächtigung, für Veränderungen und gutes Leben und den Praktiken des Commoning, des Queering und der Dekolonisierung von Wissen geht. Dieses Buch, das in Auszügen und durch die gemeinsame Lektüre in der School Without Center *Moscow vorgestellt wird, ist eine Fortsetzung des Kunst- und Forschungsprojekts Undisciplinary Learning. Remapping The Aesthetics of Resistance, das 2016 bei District Berlin stattfand.
Undisciplinary Learning nimmt den berühmten Roman Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss (1916–1982) – und die Geschichten der Arbeiterklasse und des Antifaschismus, die darin dokumentiert und erzählt werden – als Ausgangspunkt, um sich mit heutigen Formen der Selbstbildung und der Wissenspolitik zu beschäftigen. Die Ästhetik des Widerstands ist im Berlin der 1930er Jahren angelegt, als die Selbstbildung der Arbeiterklasse an Küchentischen und in Gärten, Fabriken, Abendschulen und Museen, bei Tanzveranstaltungen und in Straßenkämpfen stattfand. Das Kollektiv Ver_Lernen und die politische Interpretation von Kunst bilden eine Grundlage, um widerständige und vereinte Subjektivitäten gegen Unterdrückung und Ausbeutung aufzubauen, zu artikulieren und zu mobilisieren.
Undisciplinary Learning bewegt sich parallel zu, aber auch abweichend von den historischen, geografischen, genderspezifischen und weißen Entwicklungslinien des Romans. Die Beiträge gehen von der Vorstellung aus, dass Bildung ein Modus der politischer Vorstellungskraft ist, und aktivieren vielfältige, verkörperte und gemeinschaftliche Wissensformen. Lernen und Forschen werden zu experimentellen Gebieten, welche die toxischen Kategorisierungen und disziplinären Regimes hegemonialer Bildung und Wissenschaft komplexer machen, destabilisieren und Alternativen zu ihnen vorschlagen
Revolt she said
Wenn wir revoltieren, dann nicht für eine bestimmte Kultur. Wir revoltieren einfach, weil wir aus vielen Gründen nicht mehr atmen können. Franz Fanon
Revolt she said hinterfragt, welche Geschichten, Akteure und Stimmen in den dominierenden Narrativen unsichtbar und ungehört bleiben, und wie marginalisierte und verschüttete Wissensproduktionen wieder genutzt werden können, um aktuelle und künftige gesellschaftspolitische Prozesse und Forderungen zu reflektieren und zu gestalten.
Als Teil der School Without Center *Moscow bietet Revolt she said eine Zusammenstellung aus Recherchen, künstlerischen Produktionen und Gesprächen, um die Erinnerung an 1968 und an die globalen Entwicklungen, die zum Aufkommen der verschiedenen revolutionären Bewegungen jener Zeit geführt haben, zu hinterfragen und zu rekonstruieren. Fünfzig Jahre nach 1968 nutzen zwei intersektionale feministische Kunsträume in Berlin – alpha nova & galerie futura und District – die Gelegenheit, sich mit den politischen Landschaften, Protestbewegungen und Paradoxien der 1960er Jahre aus aktuellen feministischen und dekolonialen Perspektiven auseinanderzusetzen. Antiimperialismus und Antikolonialismus, alternative Lebensweisen, Selbstorganisation, Emanzipation, Solidarität, Kooperation und Antirassismus sind Themen, die heute genauso brisant sind wie in den 1960er Jahren. Auch heute stehen wir wieder vor der Aufgabe, für unsere Rechte zu kämpfen; wir müssen die bestehenden Machtverhältnisse und die Art und Weise, wie sie unser Leben und unsere Arbeit prägen, infrage stellen.
Motiviert von dem Wunsch nach Veränderung und angetrieben von historischen Fragen, stellt Revolt she said den Versuch dar, Gesten der Solidarität und des Widerstands festzuhalten. Daher zieht sich Revolt she said durch verschiedene Situationen und künstlerische Positionen hindurch, die in der School Without Center *Moscow versammelt sind. Vor dem Hintergrund der Verbindungen und Unterschiede zwischen dem Kalten Krieg und dem Postsozialismus wird ein spekulativer Raum eröffnet für den Austausch von Perspektiven und Geschichten aus situierten und globalisierten Berliner und Moskauer Kontexten, um voneinander zu lernen und miteinander zu teilen.
D’EST
Im Laufe des Jahres 2018 entsteht mit D’EST eine Plattform für zeitgenössische Videokunst, deren Schwerpunkt auf der Kartierung weiblicher* und kollektiver Positionen liegt, die anhand ausgewählter Themen die postsozialistische Transformation reflektieren. D’EST vermittelt online und in verschiedenen Kunstinstitutionen künstlerische Herangehensweisen an postgeografische, horizontale und genderkritische Historiografien. Von Juni bis Dezember 2018 lanciert die Plattform sechs verschiedene Screening-Kapitel. Diese wurden in mehreren kuratorischen Arbeitsgruppen entwickelt und umfassen Videoarbeiten sowie Experimental- und Dokumentarfilme; sie beschäftigen sich mit der Bedeutung der postsozialistischen Transformationsphase für die heutige gesamteuropäische und globale Lage.
KünstlerInnen
KünstlerInnen
Paula Gehrman
* 1982, lebt in Leipzig, Deutschland
In ihrer gesamten künstlerischen Praxis beschäftigt sich Gehrmann mit räumlichen Mustern und gesellschaftlicher Materialität, die eine enge Verbindung aus Informationen und Potenzialen darstellen. Indem die School Without Center *Moscow Gehrmanns DISPLAY einnimmt und es transformiert, weist sie die vorgebliche, ahistorische Neutralität des White Cube zurück, um die Situiertheit einer großzügigen, einladenden Konstruktion zu feiern und sich von ihr anstecken zu lassen. SWC*M nutzt Gehrmanns Formen und Materialien, die geprägt sind von ihrer Sensibilität für die Fähigkeit industrieller Baustoffe, zu gemeinschaftlichen Orten für die Entstehung kollektiver und individueller Wünsche, Geschichten und Politiken zu werden. Damit die in SWC*M versammelten Menschen, Ideen, Kunstwerke und Situationen dort heimisch werden, versetzen die Museumsarbeiter und Leute von District die braunen MDF-Platten und transparenten Plexiglas-Oberflächen von DISPLAY durch rituelles Streicheln und Verzaubern in klebrige, undurchsichtig-flackernde Zustände.
Victoria Lomasko
In der Ausstellung "Schule ohne Zentrum *Moskau" werden Materialien aus den Workshops für Soziale Grafik für feministische Communities und andere Frauengruppen gezeigt, die in Kirgistan, Georgien und Inguschetien stattgefunden haben.
Victoria Lomasco: "Bei den meisten Workshop ging es um die Herstellung von feministischen Graffiti-Schablonen, doch bei meinem Aufenthalt in Osch 2018 habe ich erstmals versucht, einen Workshop für Reportagezeichnung zu organisieren, und die Mitglieder der Gruppe haben nach meiner Abreise in diesem Genre weitergearbeitet. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist das Zine Learn Osh as Viewed by Activists.
Die Teilnehmerinnen meiner Workshops, die aus verschiedenen Ländern und Regionen kamen, schlugen die Themen vor, an denen sie selbstständig arbeiten wollten – und diese Themen waren überall andere. So wollten die jungen Frauen in Bischkek unbedingt Arbeiten herstellen, die sich mit häuslicher Gewalt und Hausarbeit beschäftigen; in Osch stand – angesichts der Kinderehen in Georgien – der Einfluss der Kirche auf das Privatleben im Mittelpunkt, in Inguschetien die totale Kontrolle männlicher Verwandter über das Erscheinungsbild und die Lebensweisen von Frauen.
Je mehr Workshops ich abhielt, desto mehr wurde mir klar, dass es nicht reicht, die Probleme einfach nur zu benennen. Wir mussten nach Lösungen suchen. Doch während Frauen im relativ demokratischen Georgien an Demonstrationen teilnehmen können, um für ihre Rechte einzutreten, ist es fraglich, was man in Regionen wie dem Nordkaukasus tun kann, wo solche Aktivitäten für Frauen gefährlich sind.
Luis Berríos-Negrón / Paul Ryan
Luis Berríos-Negrón
*1971, lebt in Kopenhagen und Berlin
Paul Ryan
*1943–2013, New York
Threeing Rugs sind Wandteppiche, Requisiten und Sockel für eine performative Praxis, die als „Threeing“ bezeichnet wird. Sie wurde von dem Videokünstler, Semiotiker und Mitbegründer des Raindance-Kollektivs Paul Ryan (1943–2013) entwickelt. Ryan erforschte das Problem des Stillstands in zwischenmenschlichen (Macht-) Beziehungen und insbesondere unser zwiespältiges Verhältnis zur Natur. Um dieses zu thematisieren und zu bearbeiten, schuf er ein umfassendes Werk aus Videos, Texten und Performances. Aus den Performances entstand das „Threeing“. Ryan beschrieb es als „Drei-Personen-Lösung für ein Beziehungsdurcheinander“ und behauptete: „Im Kern beruht diese Lösung auf einer freiwilligen Praxis, bei der drei Personen abwechselnd drei verschiedene Rollen spielen: Initiator, Befragter und Vermittler. Durch dieses Rollenspiel entsteht Klarheit über die Beziehungen und eine gewisse Ungezwungenheit. Diese Klarheit und Ungezwungenheit können durch Übung gestärkt und zu gesunden, langfristigen Beziehungen entwickelt werden.“
Die Geometrie der Threeing Rugs, die in Zusammenarbeit mit Berríos-Negrón entwickelt wurde, beruht auf Dreiecken und Kreisen; Farben und Muster werden eingesetzt, um Bewegungen und Positionen für diese Praxis vorzuschlagen. Die Threeing Rugs beruhen auf Entwürfen, die Ryan in den 1970er Jahren zusammen mit anderen Künstlern als Bodengestaltungen für die Übungen angefertigt hatte, jedoch erst 2012 realisiert wurden.
Die Threeing Rugs waren eine wichtige Inspirationsquelle für das Projekt Undisciplinary Learning. Remapping The Aesthetics of Resistance, das 2016 von District als Teil der School Without Center initiiert wurde. Die Publikation Undisciplinary Learning greift „Threeing“ als ein Beziehungskonzept für redaktionelles Arbeiten und Lernprozesse auf.
Rena Rädle, Vladan Jeremić, Ina Wudtke
Rena Rädle und Vladan Jeremić thematisieren durch transdisziplinäre Forschung und Interventionen mit Texten, Slogans, Zeichnungen, Videos und öffentlichen Aktionen sozialen Widerstand und das Potenzial emanzipatorischer Politik. Ina Wudtke hinterfragt in ihrer künstlerischen Arbeit und als aktivistische Kulturproduzentin hegemoniale Diskurse und versucht, Gegenperspektiven zu Themenfeldern wie Identität, Arbeit, Stadt und Wohnen zu stärken.
In ihren Arbeitsblättern zum lebenden Bild, die Rädle, Jeremić und Wudtke 2016 im Rahmen von Undisciplinary Learning. Rempapping the Aesthetics of Resistance bei District entwickelt haben, beschäftigen sich die Künstler*innen mit der radikalisierten Praxis der Inszenierung von tableaux vivants in der kommunistischen Bewegung. Das Nachstellen historischer Szenen gehörte ursprünglich zum Unterhaltungsprogramm der Aristokratie und des Bürgertums. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es von der sozialdemokratischen Arbeiter*innenbewegung und kommunistischen Agit-Prop-Truppen übernommen und politisiert. In der Weimarer Republik wurde das „lebende Bild“ zu einer Form des Protests und der direkten Aktion. So unterbrachen beispielsweise am 13. Januar 1930 kommunistische Aktivist*innen eine Versammlung der NSDAP im Emdener Lloyd Hotel und inszenierten auf der Bühne der Saals ein tableau vivant. Wudtke reinszenierte ein Bild dieses Ereignisses für die Arbeitsblätter zum lebenden Bild, während die Zeichnungen von Rädle und Jeremić Szenarios für lebende Bilder aktueller politischer Situationen vorschlagen.
Alisa Yoffe
*1987, lebt in Moskau
Situations
Acryl auf Leinwand und Stoff
2018
Alisa Yoffe arbeitet vorzugsweise großformatig auf Leinwänden, Wänden, Papierbögen oder Stoffen. Ihre Gemälde gehen oft über die Bildfläche hinaus und füllen ganze Räume. Sie arbeitet mit visuell eindrucksvollen Gesten in Schwarzweiß, wobei die schwarze Farbe ihren Bildern eine skulpturale Wirkung verleiht.
Für School Without Center *Moscow nutzt Alisa Yoffe ihre expressiven schwarzweißen Wandgemälde, um historische und aktuelle gesellschaftspolitische Fragen im Ausstellungsraum sichtbar zu machen. Diese beschäftigen sich mit den (Un-)Möglichkeiten von Individuen innerhalb eines Systems, mit Informationsfreiheit und der Zensur der Kreatitvität und des Denkens. Ein besonderes Interesse gilt der Beziehung zwischen Menschen und Maschinen.
Mit Bezug auf Formen des Protests im öffentlichen urbanen Raum, auf temporäre Communities und dissidente Kommunikation schafft Yoffe eine Reihe von Instrumenten des Widerstands und der Fürsorge. Die weichen, nomadischen Bilder sind dazu gedacht, dass man sie am Körper oder als Flaggen trägt, an Mauern hängt oder damit Tische, Kissen oder Augen bedeckt.
Als Zeichen und Werkzeuge verbinden sie die drei unterschiedlichen Räume, in denen School Without Center *Moscow stattfindet: die Institution des MMOMA, die Datscha am Stadtrand und die performativen Akte des Reisens, der Zusammenkünfte und der Bewegung zu verschiedenen Orten innerhalb der Stadt, in den Transportmitteln und zwischen den verschiedenen Orten. Jedes Werkzeug verbindet Menschen und Orte und vermittelt dadurch seine eigene Geschichte des Widerstands.
Karina Griffith
lebt in Berlin
Das Archiv ist ein Tor zur Vergangenheit, aber es ist zugleich ein Spiegel der Gegenwart. Wir können nur aus dem gegenwärtigen Moment zurück in die Vergangenheit reisen – durch unsere Erinnerungen, unsere mündlichen Quellen und unsere Beschäftigung mit Dokumenten im Hier und Jetzt. So gesehen, erfordert jede Dekolonisierung der Vergangenheit eine Dekolonisierung der Gegenwart. Karina Griffith
Die Filmemacherin, Künstlerin und Kuratorin Karina Griffith ist District-Atelierstipendiatin 2018 und wird im Rahmen der kooperativen Forschungsprojekte Decolonizing 1968 und Revolt she said arbeiten. Diese beiden zusammenhängenden Projekte, die in enger Beziehung zu Griffiths Arbeit stehen, zielen darauf ab, die Produktion von Geschichte zu hinterfragen und die Student*innenbewegungen der 1960er Jahre in Deutschland aus den Perspektiven ihrer antikolonialen, diasporisch-feministischen und Schwarzen Organisierungen (neu) zu erzählen. School Without Center *Moscow zeigt Karina Griffiths Arbeit in einer Installation mit zwei aufeinander folgenden Zuständen:
Vom 1. September bis 5. Oktober gibt Karina Griffiths Film Repair (2017) einen Einblick in die Geschehnisse der 1960er Jahre, als Guyana, ein Staat im Norden des südamerikanischen Kontinents, aus dem Griffiths Familie stammt, seine Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft erlangte. Die US-amerikanische Regierung fürchtete 1966, das Land, das aufgrund seiner engen kulturellen, historischen und politischen Beziehungen oft als Teil der Karibik angesehen wird, könne zu einem weiteren Stützpunkt des Kommunismus werden. Verdeckte CIA-Interventionen vertrieben so viele Menschen, dass man heute annimmt, dass außerhalb der Landesgrenzen mehr Guyaner*innen leben als innerhalb. Repair zeigt, wie sich menschliche und organische Strukturen danach sehnen, sich wieder zu vereinen.
Im Oktober wird sich die Präsentation in eine Übersetzung von we Call It Love: An Oppositional Screening transformieren – der Ausstellung bei District, die parallel zu School Without Center *Moscow stattfindet und den Abschluss von Karina Griffiths Atelierstipendium bildet. Ausgehend von ihren Recherchen zu dem Film They Call It Love (1972) des Ghanaers King Ampaw, begab sich Griffith auf die Spuren Schwarzer und PoC-Filmemacher*innen in deutschen Filmarchiven. Mit ihrer Arbeit zielt sie darauf ab, die Genealogien des Schwarzen Autorenkinos in Deutschland zu erweitern und die dekoloniale Rolle des bewegten Bildes zu erforschen.
Doch die Aufgabe einer Dekolonisierung der Geschichte wird zusätzlich erschwert, wenn der Zugang zum Archiv verwehrt wird. Die Mixed-Media-Installation spiegelt dieses Wissen und diese Erfahrung wider; sie kombiniert Fragmente aus Griffiths Recherchen und nutzt ihre oppositionelle Distributionspraxis, das Format des Daumenkinos, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das Archiv wieder sichtbar gemacht werden kann.
Bildnachweis: Karina Griffith, we Call It Love: An Oppositional Screening, 2018. Foto: Luisa Jürgens
Kristina Markowa
geboren 1996, lebt in Moskau.
Einerseits existiert das Gefängnis, als ein bedeutendes Element des Staatsapparats, außerhalb des Alltags: Es ist schwierig, Informationen über die tägliche Gefängnisroutine zu erhalten, und ein Mensch, der bereits eine Haftstraße abgesessen hat, ist mit zahlreichen Einschränkungen konfrontiert, die seine Rückkehr in die Gesellschaft und das Wirtschaftsleben weitgehend verhindern. Andererseits ist das Gefängnis, obwohl es grundsätzlich nicht Teil der Gesellschaft sein kann, auf einer Metaebene ins alltägliche Leben integriert: Er erzeugt spezifische Netzwerke, bekundet seine eigenen Werte und bringt eine Poesie und Mythologie hervor, die in Beziehung zu seiner Abgeschlossenheit stehen. In Russland hat praktisch jedes Gefängnis einen inoffiziellen Namen. Vier der fünf
Hochsicherheitsstrafkolonien tragen besonders romantische Bezeichnungen: „Weißer Schwan“, „Schwarzer Adler“, „Schwarzer Delphin“ und „Polareule“. Die überzogene Romantisierung der Haft betrifft nicht nur die Wahrnehmung des Gefängnisses durch die Gefangenen, sondern auch die Kultur im Allgemeinen: In den Gefängnissen gibt es Souvenirläden; Webseiten über Gefängnisse haben Unterseiten zu „berühmten Gefangenen“; Prominente geben dort Vorstellungen und das staatliche Fernsehen verwendet vorzugsweise ihre romantisierenden Namen. Statistisch gehört Russland zu den Staaten mit den höchsten Anteilen an Inhaftierten, nach den USA, El Salvador, Turkmenistan, Kuba und Ruanda. Den Angaben der FSIN (Sondereinheiten des föderalen Strafvollzugsdienstes) zufolge gibt es offiziell 600.000 Gefangene im Strafvollzug. Davon sind 2.000 Insassen zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ihre durchschnittliche Lebenserwartung in Hochsicherheitsstrafkolonien zwischen fünf und sieben Jahren liegt.
In jedem der erwähnten Gefängnisse gibt es Skulpturen, die ihre inoffiziellen Namen symbolisieren. Die Entstehungsgeschichte dieser Skulpturen ist weitgehend unklar, und es ist nicht einmal bekannt, was zuerst da war – der Name oder die Skulptur. Die Figuren sind kleinformatige Kopien der Skulpturen in den Gefängnissen und imitieren traditionelles russisches Spielzeug, wobei malerische Elemente verwendet werden, man von Dymkovo- und Filimonovo-Figuren kennt.