Dokumentarfilm
„Es gibt kein fertiges Rezept, nach dem sich ein großer Film machen lässt“

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Im September dieses Jahres findet im staatlichen Museum „Rostower Kreml“ das zweite „DocTrain“, ein Training für beginnende Dokumentarfilmer*innen, statt. Als Wissensvermittelnde treten zwei bekannte Gesichter des Dokumentarfilms aus Russland und Deutschland auf: Marina Rasbeschkina und Arne Birkenstock. Die Filmkritikerin Ksenija Reutowa hat mit den Regie-Fachleuten darüber gesprochen, was man in einer Seminarwoche erreichen kann und welche Fehler ihnen bei den Arbeiten der jungen Autor*innen am häufigsten auffallen. Unvermeidbar war auch eine Frage zur Corona-Epidemie: wie wird sich das internationale Filmwesen verändern, wenn sie einmal hinter uns liegt?

Von Ksenija Reutowa

Marina Rasbezhkina © © Privatarchiv Marina Rasbezhkina © Privatarchiv
Marina Rasbeschkina

Welche Eindrücke haben Sie aus dem DocTrain des letzten Jahres mitgenommen?
 
Ich habe mitgenommen, dass wir so ein Training brauchen. Wir hatten auch sehr viele Bewerbungen. Schwierig war, dass die Arbeiten in unterschiedlichsten Stadien waren. Manche hatten gerade erst mit der Recherche für das Projekt angefangen und noch nicht eine einzige Sequenz abgefilmt. Und andere waren im Prinzip schon fertig mit ihrem Film und stellten uns ihren Rohschnitt vor. Es war dann so, dass man einige an die Hand nehmen und ihnen Tipps geben musste, in welche Richtung sie gehen und was sie sich anschauen könnten. Und mit anderen wiederum – denen, die schon auf der Zielgeraden waren – mussten wir uns lange, konzentriert und aufmerksam ansehen, was bei ihrem Projekt herausgekommen war. Das sind ganz unterschiedliche Methoden, Herangehensweisen und Arbeitswege. Man musste ständig hin- und herschalten. In diesem Jahr nehmen wir nur Leute, die schon bis zum Rough Cut gekommen sind, also bis zum Rohschnitt.

Die Teilnehmer*innen des Trainings haben nur eine Woche Zeit. Kann man in dieser Zeit viel schaffen?

Ja, sehr viel. Ich bin überhaupt Fan von solchen Express-Aktionen. Ich verweise da auf die Erfahrung, die wir alle haben. In Swijaschsk veranstalten wir das Festival „Rudnik“. Daran sind zwei Filmschulen beteiligt: Dokumentarfilm und Dok-Animation. Wir nehmen hauptsächlich Leute auf, die noch gar keine Praxiserfahrung haben. Die finden dann heraus, ob das etwas für sie ist oder nicht. Und sie müssen dann im Rahmen des Festivals – mit null Vorerfahrung – einen ganzen Film drehen und ihn am Festivalende zeigen. Fast alle schaffen die Fertigstellung, und die Hälfte dieser Filme sind sehr gut. Und die Teilnehmenden sind dann auch bereit, ihr ganzes Leben so zu verbringen, denn man kommt in diesem Bereich kaum zum Luftholen. Sie arbeiten 24 Stunden am Tag, und das hochkonzentriert.
Genauso ist es auch hier. Wenn die Teilnehmenden bereit sind, zu arbeiten, ohne jemals von ihrem Stuhl aufzustehen, ohne jegliche Erholung, dann wird man das am Ergebnis auch sehen. Das ist eine Herausforderung an sich. Vielleicht muss man sich im Laufe dieser Woche von geplanten Inhalten verabschieden und sich in eine ganz andere Richtung orientieren. Und einsehen, dass man auf einem falschen Weg war.

Warum kommt so etwas vor?

Weil ein Film die Wahrnehmung von etwas Ganzem ist. Und das zu schaffen, ist ein besonderes Talent. Viele junge Regisseur*innen sind nicht in der Lage, eine ganze Geschichte zu entwickeln. Dieses Recht geben sie an das Drehbuch zur Regie ab. Ich finde aber, dass es in erster Linie sehr wichtig ist, so etwas selbst zu lernen. Und auch beim Drehen kommt es einem später zugute: du machst einen Film, während du das Endergebnis schon im Kopf hast. Und wenn nicht, dann kommt es so, dass du irgendwelche Schnipsel aus dem Leben filmst, danach aber denkst: Herrje, was habe ich da nur gemacht, das werde ich nie im Leben zusammenschneiden können.
In unserer Schule für Dokumentarfilm und Theater legen wir den Regisseur*innen nahe, den Film vom Anfang bis zum Ende zu begleiten. Sich also vom Inhalt, von der Suche nach einer Hauptfigur, über den Kontakt zu ihr, das Verstehen des Themas bis hin zu einem ganzen Film zu bewegen.

Deswegen ist ein Dokumentarfilm auch keine Wiederspiegelung des Lebens. Sondern eine Projektion deines Interesses am Leben. Wir verwenden niemals das Wort „Wahrheit“ in unseren Seminaren. Denn es ist ja deine eigene Realität, und dann gibt es noch die der anderen, und die können völlig unabhängig voneinander existieren.

Auf welche Fehler müssen Sie bei der Analyse der Arbeiten am häufigsten hinweisen? Was machen beginnende Dokumentarfilmer*innen nicht richtig?

Es kommt vor, dass jemand gutes Material gedreht und auch daraus etwas gemacht hat. Aber danach stellt sich heraus, dass er das, was er gesehen und gedreht hat, nicht versteht und eine Geschichte zusammenschneidet, die sehr weit von der Hauptfigur weg ist, sich am Zufälligen orientiert und das Wesentliche unter den Tisch fallen lässt. Das kann man nur schwerlich jemandem erklären, der nicht im Film arbeitet, doch wir haben in der Filmschule und in unseren Kursen oft damit zu kämpfen. Man muss dann dem oder der Studierenden zu verstehen geben, dass vom Material her eigentlich schon alles da ist. Dass man es nur noch einmal neu sehen muss, es genau durchschauen, damit am Ende auch ein guter Film daraus wird.

Einige Teilnehmer*innen des letztjährigen Trainings haben erzählt, dass sie sich im Nachhinein für neue Hauptfiguren entschieden haben.

Das konnten nur diejenigen machen, die sich noch in einer experimentellen Phase befanden, in der sich der Film sich sozusagen noch auf dem Papier abspielte. Denn die Hauptfigur während des Drehprozesses einfach so auszutauschen, ist fast unmöglich. Das würde bedeuten, dass man mit einem neuen Film beginnt.

Inwiefern unterscheiden sich, Ihrer Meinung nach, Dokumentarfilmer*innen in Russland und Deutschland, und inwiefern unterscheiden sich ihre Arbeitsbedingungen?

In Deutschland können junge Regisseur*innen unter Umständen drei Jahre warten, bis ihnen Gelder bewilligt werden. Und erst dann fangen sie an zu drehen. Dieses System scheint mir unzulänglich. Das betrifft nicht nur konkret Deutschland, sondern alle Länder, in denen Regisseur*innen, um an Filmgelder zu kommen, ständig an Pitchs teilnehmen und sich um Stipendien bewerben müssen. Dieser Weg ist einfach zu lang. Die technischen Mittel sind heute nicht mehr so kostspielig, und fast jede/r Studierende besitzt beim Abschluss des Studiums eine brauchbare Kamera. Eine eigene. Und wenn man dann eine Hauptfigur hat und eine Geschichte, wenn man nicht weiterleben kann, ohne diese Geschichte zu erzählen, dann sollte man auch nicht warten, bis einem 20.000, 50.000 oder 100.000 Euro zugesprochen werden. Sondern hingehen und sie abdrehen. Ohne Geld, und sich damit eine Million Probleme aufhalsen. Aber wenn man drei Jahre herumsitzt, kann es auch passieren, dass sich entweder die Hauptfigur schon nicht mehr filmen lassen will oder sich eine Art Ermüdung eingestellt hat. Du gehst zum Set, aber innerlich bist du leer. Die Leidenschaft und das Brennen für ein Projekt können sehr schnell vorübergehen. Ohne kriegt man aber keinen Film zusammen.

Kann man als russische/r Regisseur*in eine Finanzierung in Europa bekommen?

Im Westen gibt es da natürlich bessere Unterstützung. In Russland existiert fast gar keine Finanzierung. Aber es ist auch schwierig, im Westen eine zu bekommen, denn es gibt einen riesigen Wettbewerb darum. Ich habe mal in Deutschland auf dem Leipziger Festival einen großen Stipendiengeber gefragt, ob wir uns an ihn wenden könnten. Ihm erzählt, dass wir viele talentierte Studierende haben. Und er meinte: „Wissen Sie, wenn Sie sich bewerben würden, würden wir ihnen etwas geben. Aber Studierende sollen doch erst mal versuchen, etwas auf die Beine zu stellen.“ Ich glaube, dass das richtig ist. Es wird sich ja kaum jemand bereit erklären, einem fremden Menschen Geld zu geben. Versuch’ doch erst mal selbst, einen, zwei oder drei Filme zu machen. Und dann sehen die Leute schon, was du kannst. Und können mit dir arbeiten.

Können Regisseur*innen die Situation, in der wir uns gerade befinden, für sich nutzen? Ich meine damit Selbstisolation und Quarantäne, wenn wir von Deutschland sprechen. Birgt die Corona-Krise denn nicht auch irgendwelche Vorteile?

Wir werden jetzt eine riesige Anzahl an Bewerbungen für Filme zu den gegenwärtigen Ereignissen bekommen. Aber diese Filme wird niemand mehr brauchen, wenn sie einmal fertiggestellt sind. Erstens will sich das Publikum nicht an diese Zeit erinnern. Zweitens zwingen die räumlichen Einschränkungen alle zur gleichen Form, zu den gleichen Themen. Daher: nein, ich denke nicht, dass dieses globale Unglück uns die Möglichkeit eröffnet, gute Filme daraus zu machen. Gewinnen werden – wenig verwunderlich – die Leute, die schon etwas dazu gemacht haben. Nicht konkret zum Coronavirus, sondern ganz allgemein zur Entsetzlichkeit der Existenz. Wenn du sterben kannst, indem du einfach nur über die Schwelle deines Zimmers trittst, das du nach einem Monat des Herumsitzens bereits hasst. Und vor dir liegen vielleicht noch zwei solche Monate, oder drei. Die Erwartung einer Hölle, eines Unglücks und das Gefühl, dass man keine Kontrolle über das eigene Leben und den eigenen Tod hat – das ist ja eine absolut antike Situation. Sie wiederholt sich in der Geschichte der Menschheit immer wieder. Und dazu ist schon eine Vielzahl an Filmen gedreht worden.

Viele schreiben, dass die Welt nach der Pandemie eine andere sein wird. Was glauben Sie: Wird sich auch der Film verändern? Kommen die Festivals und Kinos zurück?

Wenn wir von Inhalten sprechen, dann denke ich, dass sich fast gar nichts verändern wird. Es wird genauso viele schlechte und genauso viele gute Filme geben wie vorher. Aber was die organisatorische Seite angeht, wird es zu einer großen Zäsur kommen. Das Leben reagiert ja ganz allgemeinhin empfindlich auf Stillstand, es mag keinen Stillstand. Und das Leben einer Produktion ist überhaupt nicht in der Lage, mit so etwas umzugehen. Bei vielen meiner Freunde sind Projekte den Bach runtergegangen. Ich denke, dass der Spielfilm da häufiger betroffen ist, genauso wie der Verleih und die Festivals. Manche Filmvorführungen weichen jetzt schon auf Online-Formate aus, aber das ist ja auch keine Lösung. Auf jedem Festival sind es in erster Linie der Austausch und ein großer kreativer Elan, den die Filmschaffenden mitnehmen, wenn sie miteinander in Kontakt getreten sind. Wenn man auf das Internet ausweicht, gewinnt man dabei nichts. Dein Film wird eben nur mal irgendwo gezeigt. Leider wird die Festival-Bewegung der ganzen Welt nach der Krise stark gelitten haben. Und das ist sehr schade.

Arne Birkenstock ©  © Privatarchiv Arne Birkenstock © Privatarchiv
Arne Birkenstock

Welche Eindrücke haben Sie aus dem DocTrain des letzten Jahres mitgenommen?

Das letztjährige Seminar ist super gelaufen. Ich habe eine enorme Menge talentierter junger Regisseur*innen kennengelernt. Sie alle hatten interessante Geschichten zu erzählen, jedoch im Vergleich zu Deutschland – was Finanzierung und Ressourcen betrifft – etwas bescheidenere Möglichkeiten, diese umzusetzen. Alle Mitwirkenden waren offen, interessiert und wissbegierig. Und ich hatte den Eindruck, dass nach dem Training sehr gute, starke Filme entstehen.

Die Teilnehmer*innen des Trainings haben nur eine Woche Zeit. Kann man in dieser Zeit viel schaffen?

Ja. In dieser Zeit kann man neue Fragen stellen und Einwände zulassen. Es spricht ja nicht nur der Seminarleiter mit den Teilnehmenden. Sondern sie diskutieren auch untereinander. Vielleicht gibt es im eigenen Projekt etwas zu überdenken oder eine Herausforderung, der man sich stellen kann.  Wenn man an einem Film arbeitet, ist man ja total in ihm „drin“ – entweder alleine oder innerhalb einer kleinen Gruppe – und dann ist es schwierig, die eigene Arbeit mit etwas Abstand zu betrachten. Das Seminar bietet die Möglichkeit, ein konstruktives, oft kritisches und manchmal schmerzhaftes, aber sehr notwendiges Feedback zu bekommen. Und das ermöglicht es widerum, einen riesigen Schritt vorwärts zu machen.

Wie gehen die Teilnehmer*innen mit Kritik um? Gerade dann, wenn diese, wie Sie sagen, weh tun kann…

Das ist unterschiedlich. Aber die Mehrheit der Regisseur*innen ist bereit dazu, damit umzugehen. Schmerzhaft heißt ja nicht, dass das Feedback furchtbar ist. Doch es ist eben klar, dass so ein Film für Filmschaffende wie ein Kind ist. Der Autor oder die Autorin investiert viel kreative Energie, Kraft und persönliche Zeit in das Werk. Deswegen kann Kritik zwar empfindlich treffen, aber wenn sie deinen Film nach vorne bringt, kann man sie trotzdem als wertvoll und positiv begreifen.

Auf welche Fehler müssen Sie bei der Analyse der Arbeiten am häufigsten hinweisen? Was machen beginnende Dokumentarfilmer*innen nicht richtig?

Hier finde ich die Frage nicht optimal gestellt. Im Film gibt es kein „richtig“ und „falsch“. Er ist ja keine mathematische Gleichung. Es gibt kein fertiges Rezept, nach dem man einen großen Film machen kann. Sondern es geht darum, ob man eine gute Geschichte hat, die nicht nur von persönlicher Relevanz ist, ob man einen Zugang zu den Menschen findet, die in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielen und ob man eine dramaturgische und visuelle Vorstellung davon hat, wie man diese Geschichte erzählen will. Der Entstehungsprozess eines jeden Films ist eine Suche und ein Abenteuer.

Einige Teilnehmer*innen des letztjährigen Trainings haben erzählt, dass sie sich im Nachhinein für neue Hauptfiguren entschieden haben. Was stimmte da nicht?

Man muss sich als Autor oder Autorin absichern, dass die gewählte Hauptfigur dazu in der Lage ist, den Film zu tragen. Manchmal wird ein bestimmter persönlicher Eindruck überbewertet und man glaubt, dass man diesen Eindruck 1:1 auf die Leinwand übertragen kann. Manchmal kann man auch nicht absehen, wie sich jemand verhält, wenn ein ganzes Filmteam um ihn oder sie herumsteht. Es kann sein, dass sich die Person verschließt und ein völlig anderes Verhalten an den Tag legt. Oft braucht die Hauptperson Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass gedreht wird. Es gibt eigentlich sehr viele Aspekte. Manchmal ist es auch eine Frage der Bequemlichkeit. Der Regisseur oder die Regisseurin denkt: ich finde es so angenehm mit diesem Menschen, da mache ich doch gleich mal einen Film mit ihm. Und hat nicht die Energie, sich auf die Suche nach etwas anderem zu machen.   

Inwiefern unterscheiden sich, Ihrer Meinung nach, Dokumentarfilmer*innen in Russland und Deutschland, und inwiefern unterscheiden sich ihre Arbeitsbedingungen?

Es gibt sehr viele Dokumentarfilm-Regisseur*innen, und sie sind alle verschieden. Das betrifft sowohl Russland als auch Deutschland. Es gibt keine typisch russischen oder deutschen Dokumentarfilmschaffenden. Aber die Bedingungen in unseren Ländern unterscheiden sich. In Deutschland gibt es in fast jedem Bundesland einen eigenen Filmfonds, und die sind jeweils bereit, den Bereich Dokumentarfilm zu unterstützen. Als weitere Geldgeber treten die Fernsehkanäle auf. Trotzdem ist es nicht leicht, denn es gibt natürlich Konkurrenz unter allen denjenigen, die Anspruch auf solche Mittel erheben. Aus finanzieller Sicht ist Dokumentarfilm-Regie selbst in Deutschland kein Beruf, mit dem man reich werden kann. Aber deutsche Filmemacher*innen haben es in vielen Aspekten leichter, ihre Filme durch Produktion und Post-Produktion zu bringen. In Russland sind viele Kolleg*innen, soweit ich das weiß, auf sich selbst angewiesen. Und oft sind sie dazu gezwungen, einen Film komplett fertigzustellen, bevor überhaupt klar ist, ob es irgendeine Form der Unterstützung für ihn gibt.

Kann man als russische/r Regisseur*in eine Finanzierung in Europa bekommen?

Wenn man noch nicht bekannt ist, ist das ziemlich schwierig.

Erwirtschaftet der Dokumentarfilm Geld mit dem Verleih? Können Sie die erfolgreichsten Dokumentarfilmprojekte der letzten Jahre nennen?

Da gibt es nicht viele. In Deutschland werden Dokumentarfilme durch staatliche Subventionen und öffentlich-rechtliche Fernsehsender finanziert. Aber nur wenige von ihnen fahren ihr Budget über den Verleih wieder ein. Manche Filme werden ins Ausland verkauft, dann gehen die Aufführungsrechte an andere Länder. Es gibt Filme, die beim Kinopublikum Erfolg haben, aber das ist nur ein ganz kleiner Teil. Dann gibt es noch den Erfolg in Festivalkreisen. Der Film hat dann zwar nicht so viele Zuschauer*innen, aber immerhin wird er durch diese Perspektive hinsichtlich seines künstlerischen Werts beurteilt. 

Können Regisseur*innen die Situation, in der wir uns gerade befinden, für sich nutzen? Ich meine damit Selbstisolation und Quarantäne, wenn wir von Deutschland sprechen. Birgt die Corona-Krise denn nicht auch irgendwelche Vorteile?

Wir werden ganz offensichtlich im Laufe der nächsten Jahre viele originelle „Corona-Filme“ zu Gesicht bekommen. Aber im Endeffekt ist es gerade so, dass die Existenz von Filmschaffenden – sowohl die wirtschaftliche als auch die kreative – bedroht ist. Leute verlieren ihre Jobs und alle Drehs werden unterbrochen. Regisseur*innen, Produzent*innen und andere Spezialist*innen sitzen ohne Arbeit da. Die Kinos sind geschlossen, aber die Miete für ihre Räumlichkeiten muss ja weiterhin gestemmt werden. Das belastet alle: Die Filmverleihe, diejenigen, die Ausrüstung herstellen und verleihen und alle, die am Dreh beteiligt sind. Ich sehe da keine Vorteile. Für die Filmproduktion ist die Krise eine absolute Katastrophe.

Viele schreiben, dass die Welt nach der Pandemie eine andere sein wird. Was glauben Sie: Wird sich auch der Film verändern? Kommen die Festivals und Kinos zurück?

Die Festivals kommen auf jeden Fall zurück, denn ein Bedarf daran besteht sowohl beim Publikum als auch bei den Filmschaffenden. Und das Filmwesen selbst verändert sich unabhängig von der Coronavirus-Epidemie. Dieser Prozess hat ja auch nicht erst gestern begonnen. Einerseits wird es, wie immer schon, eine Nachfrage nach Filmen geben – wie die nach einer kollektiven Erfahrung. Andererseits haben mittlerweile alle die Möglichkeit, auch zuhause Filme in hervorragender Qualität zu sehen. Und die Auswahl ist dank Netflix und anderer Plattformen mittlerweile riesig. So hat das Filmwesen in seiner traditionellen Gestalt Konkurrenz bekommen. Da braucht es schon einen großen Anreiz, damit jemand das Haus verlässt, ins Stadtzentrum fährt, Geld bezahlt und sich in einen Kinosaal setzt. Diese Transformation wird sich weiter fortsetzen, und in dieser Hinsicht ist es gar nicht wichtig, ob das Corona-Virus existiert oder nicht.

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