Anleitung für Fotografen
Wie gibt man sein eigenes Buch heraus?
Self-Publishing ist das englische Äquivalent zu dem noch aus Sowjetzeiten bekannten Wort „Samisdat“ [Selbstverlag]. In der UdSSR war damit allerdings vor allem verbotene Literatur gemeint, während heute nichtkommerzielle Werke auf diese Weise veröffentlich werden, die zwar nicht verboten sind, die aber eigentlich auch niemand braucht. Oder fast niemand? Lesen Sie selbst.
Self-Publishing ist für die russischen Fotografen heute fast dasselbe wie die manuelle Herstellung von Sachen bzw. die Umarbeitung von alten Dingen in der sowjetischen Ära – damals eine sehr beliebte Beschäftigung. Not macht erfinderisch. Weil es an Geld mangelte und die Auswahl gering war, erschien die eigenhändige Herstellung von Haushaltsgegenständen das Normalste von der Welt zu sein – damals konnte jeder alles. Die Tradition der Fertigung per Hand hat sich heute in die Sphäre der Buchherstellung verlagert und europäische Sammler beobachten mit Interesse, was da von den jungen russischen Autoren kommt. Gern komplettieren sie ihre eigenen Bücherregale mit deren einzigartigen Werken.
Während es in Europa bereits seit langem ausgereifte technische Möglichkeiten gibt, um qualitativ hochwertige Fotobücher herzustellen, findet man diese in Russland bislang hauptsächlich nur in Moskau und Sankt Petersburg, wobei einige wenige Ausnahmen die Regel bestätigen. Aber umso besser – dafür gibt es unter den im „Selbstverlag herausgegebenen“ Büchern einzigartige Kunstwerke, die handgenäht, -gebunden bzw. -geklebt sind. Mitunter bevorzugen die Autoren auch deshalb die Handfertigung ihrer Bücher, um so die persönliche Note der Fotogeschichte, ihren persönlichen Kontext zu unterstreichen. Auf diese Weise entstehen echte Kunstobjekte für Sammler (zum Beispiel die Bücher Lookbook von Anastasia Bogomolova, City of Brides [Stadt der Bräute] von Alena Zhandarova, Shvilishvili von Jana Romanova).
Anastasia Bogomolova, Autorin des ersten russischsprachigen Blogs über Fotobücher bemerkt in ihrem Überblick von weltweiten Bewertungen der besten Ausgaben des letzten Jahres, dass die entsprechenden Beiträge aus Russland vorwiegend aus dem Bereich des Selbstverlags stammen – „wir haben praktisch keine Institutionen, die sich professionell mit dem Fotobuch beschäftigen”. Dem wäre noch hinzuzufügen, dass im postsowjetischen Raum bislang kein System entwickelt wurde, über welches Stipendien und Geldmittel für die Herausgabe von Fotobüchern vergeben werden. Damit würde eine Entwicklung in diesem Bereich gefördert werden. So jedoch müssen die Fotografen fast alles selbst finanzieren. Aber selbst das hält immer neue Generationen von Fotografen nicht davon ab, den Traum von der eigenen qualitativ hochwertigen Ausgabe selbst zu verwirklichen.
Fotografen können verschiedene Wege einschlagen – entweder sie arbeiten mit einem Verleger zusammen, geben ihre Werke im Self-Publishing heraus oder entscheiden sich für eine Art Hybridvariante, an deren Anfang das Self-Publishing steht und anschließend – sollte das Buch Erfolg haben – der Vertrag mit einem Verleger folgt. Natürlich muss das Buch ganz unabhängig davon, welchen Weg der Fotograf gewählt hat, alle notwendigen Etappen durchlaufen – Idee, Design und Layout, Erstellung eines Fotobuch-Entwurfs (Dummy), Produktion (Druck und Einband), Transport, Lagerung, Vertrieb – nur, dass es jeweils einige Besonderheiten gibt. Betrachten wir alle Varianten doch einmal genauer.
Zusammenarbeit mit einem Verlag
Auf eine Zusammenarbeit mit europäischen Verlagen können nicht viele russische Autoren verweisen, unter den bekannten und verdienten Künstlern wären da Nikolay Bakharev, Igor Mukhin und Sergej Chilikov zu nennen, aus der jüngeren Generation die Absolventen der Rodtschenko-Schule für Fotografie und Multimedia Ekaterina Anokhina, Dmitri Lukyanov und Olga Matveeva (übrigens hat das Buch der Letztgenannten im Jahr 2014 auf dem Fotobuchfestival in Wien den 1. Preis [1. ViennaPhotoBookAward 2014] im Wert von 5.000 Euro gewonnen.Was Russland selbst betrifft, so bleibt den Fotografen wohl nur übrig, auf die Gunst eines einzigen unabhängigen Buchverlegers zu hoffen – und zwar auf die von Leonid Gussew, dem Direktor des Moskauer Verlags Treemedia, der seinerzeit Bücher von Valeri Nistratov, Igor Mukhin, Alexander Lapin, Rena Effendi, Irina Popova herausgegeben hat. Einen ausländischen Verleger kann man auf europäischen Portfolio Reviews kennenlernen (zum Beispiel auf dem Fotofestival in Arles oder auf dem Buchfestival in Kassel), nachdem man versucht hat, dessen Interesse durch einen Entwurf von der zukünftigen Ausgabe des Fotobuches zu wecken.
Aber genau wie jeder andere Weg, den man bei der Arbeit an einem Buch einschlagen kann, hat auch die Zusammenarbeit mit einem Verlag ihre Vor- und Nachteile – zwar bekommt man eine erhebliche Unterstützung bei der Produktion und dem Vertrieb, ist aber als Autor gleichzeitig damit konfrontiert, dass die Kosten der Auflage im Vergleich zum Selbstverlag auf ein Vielfaches steigen. „Viele große und mittelgroße europäische und amerikanische Verlage bieten den Fotografen bekanntermaßen an, ihr Projekt entweder zur Hälfte oder in vollem Umfang zu finanzieren“, – erzählt Anastasia Bogomolova, die im Januar 2016 in Tscheljabinsk ihr zweites Fotobuch mit dem Titel Lookbook herausgegeben hat. „Das ist für die Mehrheit der Künstler einfach nicht machbar.“ Gleichzeitig würde das Self-Publishing, so Anastasia, die Möglichkeit bieten, nach eigenen Produktionslösungen zu suchen und den Prozess zu kontrollieren. „Das ist mitunter eine recht stressige, aber letztendlich nutzbringende Erfahrung“, meint die Autorin.
Self-Publishing
Und Stress kommt tatsächlich in nicht geringem Maße auf diejenigen zu, die sich im Self-Publishing ausprobieren möchten. Man muss eine Finanzierung finden (entweder eine eigene oder über eine Crowdfunding-Kampagne im Internet, zum Beispiel bei solchen Diensten wie Planeta.ru oder Kickstarter.com), sich selbst auf die mühselige Suche nach einer Druckerei in Russland oder sogar im Ausland machen (Fotobücher werden in Russland beispielsweise von „Nemakulatura“ in Moskau und „Galeraja Petschati“ in Sankt Petersburg gedruckt; in Europa wären das „Tea Design” in Bulgarien und „Book Factory“ in Deutschland), den gesamten Produktionsprozess überwachen, die Auflage unversehrt transportieren (durch Russland wäre das lediglich mit finanziellem Aufwand verbunden, soll die Auflage allerdings aus dem Ausland eingeführt werden, wird der Autor zwangsläufig mit dem russischen Zoll Bekanntschaft schließen), einen Ort zur Aufbewahrung finden, (hier sind wiederum angemessene Bedingungen für die Lagerung von Büchern sehr wichtig, andernfalls kann man mit überaus unangenehmen Problemen konfrontiert werden, beispielsweise kann schon eine geringfügig erhöhte Luftfeuchtigkeit dazu führen, dass die im wahrsten Sinne des Wortes kostbaren Exemplare hinüber sind), und schlussendlich muss man die Auflage vertreiben – sich an russische Einzelhändler wenden und sich mit europäischen Buchläden in Verbindung setzen, um das eigentliche Ziel zu erreichen – das Regal des Lesers.Die selbständige Suche nach einer Druckerei am Wohnort, zum Beispiel in Perm oder Krasnodar, kann natürlich dabei helfen, die Kosten geringer zu halten, beschert aber dem Autor, der regionale Drucker beauftragt hat, wiederum einiges an Aufregung – regionale Druckereien verstehen unter „Fotobuch“ in der Regel einen Katalog oder ein Album und mitunter fehlt dann das gegenseitige Verständnis. Genauso gut kann es aber passieren, dass man sich für die einfachste Variante eines Buches entscheidet, eine, bei der man kaum etwas falsch machen kann, und dennoch ein positives Ergebnis erzielt (als Beispiel sei hier das Buch von Fedor Telkov genannt. Es erschien unter dem Titel „Prostye prisnanija“ [Einfache Bekenntnisse] in Form eines Schülerheftes mit Heftbindung, das unlängst in kleiner Auflage in Jekaterinburg erschienen ist).
Noch eine mögliche Variante des Self-Publishings außerhalb der großen Städte ist die vollständige manuelle Herstellung des Buches, was die Auflage auf eine geringe Stückzahl beschränkt und zu einer Rarität für Sammler werden lässt.
Erst das Self-Publishing, dann die Arbeit mit dem Verleger
Junge Fotografen, Absolventen der der Rodtschenko-Schule für Fotografie und Multimedia, konnten in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit dem Berliner Verlag „Peperoni Books“ eine nicht unerhebliche Anzahl von qualitativ hochwertigen Fotobüchern herausgeben. Die Besonderheit dieser Kooperation besteht darin, dass der Fotograf am Anfang eine kleine Auflage auf eigene Kosten selbst herausgibt und sich darum bemüht, diese auf den verschiedenen Buchmessen zu verkaufen, während der Verleger das mögliche kommerzielle Potential der Ausgabe einschätzt und mit dem Autor schon einen Vertrag abschließt (oder nicht).Wenn es an Mitteln und Möglichkeiten fehlt, eine kleine Probeauflage selbst zu drucken, kann man auch versuchen, das Interesse des potentiellen Verlegers mit einem sehr gut gemachten Dummy zu wecken, d.h. mit einem von Hand geklebten Entwurf des zukünftigen Fotobuchs. „Ein Fotobuch-Dummy weckt anscheinend unwillkürlich das Interesse eines Verlegers“, meint Leonid Gussew, Direktor des Verlages Treemedia, „und wenn es nur aus dem Gefühl heraus entsteht, der Zeit und Energie, die der Autor bei der Vorbereitung und Erstellung des Prototyps des Buches aufgewendet hat, mit Achtung zu begegnen. Jedenfalls ist mir das schon mehrmals so gegangen. Außerdem zeugt die Existenz eines Dummys zumindest von dem Wunsch des Autors „mit den Mitteln des Buches zu denken“.
Natürlich ist die Arbeit mit einem Verleger schon kein Self-Publishing mehr, aber Elemente davon finden sich auch hier – wie schon erwähnt wurde, wird man Sie höchstwahrscheinlich darum bitten, einen erheblichen Teil des Drucks zu bezahlen. Das von dem Autor investierte Geld ist für den Verleger so eine Art Versicherung: Wenn der Verkauf schlecht läuft, macht er wenigstens keinen Verlust. „Meine Erfahrung zeigt, dass ein Autor normalerweise einen bestimmten Teil der Mittel in die Ausgabe investiert, selbst wenn er mit einem Verlag zusammenarbeitet“, erzählt Dmitry Lookianov, dessen Buch „Instant Tomorrow“ schon sehr bald bei dem Berliner Verlag „Peperoni Books“ erscheint. Wenn er kein Superstar oder seine Arbeit nicht zu 100 Prozent ein Bestseller ist. Honorare sind dennoch nicht vorgesehen, zumindest nicht für junge Autoren. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, das eigene Projekt veröffentlicht zu sehen und einen bestimmten Teil der Auflage für eigene Vorhaben zu bekommen. Die Herausgabe eines Buches ist eine teure Angelegenheit, die sich bei weitem nicht immer bezahlt macht. Nach der Aussage von Hannes (Hannes Wanderer ist der Direktor von „Peperoni Books“ – Anm. der Red.) ist der vollständige Verkauf einer Auflage eher die Ausnahme.
Die Arbeit mit einem Verleger ist hilfreich, um eines der wichtigsten Probleme beim Self-Publishing zu lösen: das Problem des Vertriebs. Ein Autor kann zwar ein hervorragendes Buch in einer Auflage von beispielsweise 200–300 Exemplaren drucken, aber zu Gesicht bekommt das kaum einer bzw. wenige erfahren überhaupt davon. Das heißt, die Auflage verstaubt vielleicht bei ihm zu Hause in den Kisten. Während Verleger eigene Kataloge herausgeben, in denen sie die geplanten Neuerscheinungen ankündigen (wie das auch bei anderen saisonalen Katalogen der Fall ist). Diese werden dann an die Einzelhändler verschickt, die dann die für sie interessanten Ausgaben bestellen.
Das Problem der Vermarktung der Früchte der eigenen Arbeit muss jeder auf seine eigene Weise lösen – der eine mag russische Gegebenheiten nutzen (das Geschäft der Galerie „Fotodepartament“ in Sankt Petersburg und die Abteilung mit Fotobüchern von Autoren und des Selbstverlags in der Galerie Lumiere in Moskau), einer anderer wiederum widmet sich selbst aktiv dem internationalen Verkauf (wie zum Beispiel die Gruppe von Moskauern, die sich “Russian Independent Selfpublished” nennt; ihre Mitglieder Alla Mirovskaya, Elena Kholkina und Natalia Baluta bereisten schon seit fast einem Jahr die europäischen Buchmessen und verkaufen dort russische unabhängige Fotobücher).
Die Arbeit, die bei der Herausgabe von Fotobüchern von russischen Autoren aktiv geleistet wird, beginnt bereits offensichtliche Früchte zu tragen: Unlängst wurde in Jekaterinburg im Fotomuseum „Dom Metenkova“ die erste museale Ausstellung eröffnet, bei der sich alles um das zeitgenössische russische Fotobuch dreht. In der Ausstellung werden Bücher vorgestellt, die dem postsowjetischen Raum gewidmet sind oder durch ihren Gesamtkontext mit dem russischen fotografischen Leben verbunden sind. Dabei werden die Werke der zeitgenössischen Künstler so präsentiert, dass ihr historischer Bezug zur Entstehung des Genres im Lande ab den 1930er Jahren hergestellt wird. Auf diese Weise finden sie sich neben den Arbeiten solch legendärer Pioniere des sowjetischen Designs und der Fotografie wie Alexander Rodtschenko und El Lissitzky.
Welchen Weg der Fotograf auch einschlägt, in erster Linie muss er sich zu Beginn der Arbeit die wichtigste Frage stellen: Warum soll es gerade ein Fotobuch sein? Wie werden meine Serie bzw. mein Projekt im Buchformat wirken? Wie wird sich das Fotobuch von einem üblichen Portfolio meiner besten gedruckten Arbeiten unterscheiden? Von einer Ausstellung? Einer multimedialen Präsentation? Wenn es überzeugende Antworten auf all diese Fragen gibt, dann muss es das Buch werden!